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blem der Entfernungsbewältignng unternommen,' viel später folgte die Eisenbahn, ein gewaltiger Fortschritt, und das Fahrrad. Mit dem Auto aber können wir in einem Stündchen schon gut von Vautzen nach Dresden reisen, und mit dein Flugzeug, ach, da lohnt ja das Aufsteigen kaum. Auch Sie Entfernungen zwischen den einzelnen Teilen der Zukunftsstadt Oberlausitz bedeuten uns kaum noch etwas, sobald wir uns der modernen Verkehrsmittel bedienen kön nen, und ob der eine in Neukirch und der andere in Eibau wohnt, sie beide sind eben Nachbarn. Sollte es gar in Zu kunft gelingen, das Flugzeug so dem allgemeinen Gebrauch zugängig zu machen wie jetzt das Auto, dann werden alle Entfernungen noch mehr illusorisch; der Zusammenschluß wird noch enger, und sogar manche törichte Landesgrenze wird einfach sinnlos werden. Wir müssen uns noch einer sehr wichtigen Seite der Angelegenheit zuwenden. Es ist klar: eine Stadt ist in ihren Eigenarten durch den Wandel der Jahrhunderte hindurch Stadt geblieben, aber — ist das Dorf auch Dorf geblieben? Man kann diese Frage sehr wohl mit nein beantworten. Die Eigenarten des Dorfes, die noch vor 100, ja vor SO Jahren stark ausgeprägt waren, sind in schnellem Ver schwinden, und innerhalb unserer Zukunftsstadt Oberlansitz gibt es schon jetzt wenig echt Dörfliches mehr. Das Land hat gleichsam die Stadt zu sich hinausgezwungen; die weite Landschaft füllt sich mit städtischem Geiste. Wie äußert sich das? Es äußert sich darin, daß dem uniformierenden und nivellierenden Einfluß der Zivilisation der heutige Land bewohner genau so unterworfen ist wie der Städter. Alle neuen Erfindungen sind nicht mehr ein Privilegium des Stadtbewohners, sondern sie breiten sich ungehemmt im ganzen Lande aus. Der Dörfler benutzt ganz so wie der Städter die Eisenbahn, das Fahrrad, das Motorrad, das Auto; er hat draußen ebenso Elektrizität, Gas, Fernsprecher, Telegraph, Radio, und alle diese Erfindungen strahlen den städtischen Geist, den Geist der Zivilisation auf dem Lande aus. Auch die Zeitung spielt eine sehr wichtige Rolle als Sendbote und Wegbereiter städtischen Geistes auf dem Lande. Betrachten wir ferner einmal die Häuser auf den Dör fern! Finden wir nicht überall zahlreiche Steinkästen, die ebenso gut in einer Stadt stehen könnten wie hier draußen? Wird irgendwo, wenn ein neuer Hausbau aüszuführen ist, noch der so reizende Oberlausitzer Stil angewendet, dessen Kennzeichen vor allem das Umgebinöe ist? Entstehen nicht vielmehr in den weitaus meisten Fällen nur nüchterne städ tische Steinhäuser? Es ist nicht schwer einzusehen, daß solche Häuser dann auch in ihren Räumen den städtischen Geist beherbergen. Würde man uns mit verbundenen Augen in solch einen Raum führen und nähme man uns dann dort die Binde ab, wir wüßten wohl nicht zu sagen, ob wir uns in einer Land- oder in einer Stadtstube befinden. Die Möbel, die Vorhänge, die Geräte: es ist hier wie dort dasselbe, und sogar die Lebensweise der Dörfler ist kaum eine andere als die der Städter. Es sind säst dieselben Kleider, fast dieselben Speisen, dieselben Vergnügungen, und die jungen Damen von Großpostwitz oder Reichenau werden sich genau so nach der neusten Mode kleiden und frisieren wollen wie die Bautzener oder Zittauer; sie werden ebenso ins Kino oder zum modernen Tanz gehen wie die Stadtdämchen. Königin Mode herrscht überall, sie schickt ununterbrochen Wellen städ tischen Geistes über die Länder und hat die alten schönen ländlichen Trachten beinahe überall und so auch in unserer Zukunftsstadt schon bis ans winzige Reste beseitigt. Wen sollte nach alledem noch wundern, daß auch die Denkweise überall rasch städtisch wird? Alte Landbewohner sträuben sich oft noch dagegen; aber laßt nur die groß wer den, die jetzt Kinder find, und auch dieser Widerstand be steht nicht mehr. Wieviel an alten Sitten und Gebräuchen ist schon verloren gegangen! Wieviel wird noch trotz aller Bemühungen, sie am Leben zu erhalten, vorhanden sein, wenn die heutige Jugend gereift ist? Ist nicht auch die Mundart in langsamem Rückgänge? Zwar werden sich ge wisse Eigenheiten der Oberlausitzer Sprechweise noch auf absehbare Zeiten erhalten, aber der rechte Dialekt ist doch zumindestens bedroht von der städtischen Redeweise, und einige einheimische Schriftsteller, die das sehr wohl emp finden, treten deswegen so warm für ihn ein und versuchen ihn in ihren Werken zu fixieren. Aus unserer Perspektive gesehen, findet auch der rasche und beklagenswerte Rück gang wendischer Sprache und Art eine natürliche Erklä rung: das Wendentum zivilisiert sich, ist den artfremden und überaus mächtigen Wellen des städtischen Geistes ohne Rückenhalt und Schutz ausgeliefert, nimmt mit städtischen Errungenschaften auch mehr und mehr städtische Gesinnung, städtische Sprache an, wird den deutschen Nachbarn trotz Gegenwehr einzelner angeglichen, soweit es nicht von dem konservativen Geist des katholischen Bekenntnisses erfüllt und gefestigt ist. Um den ländlichen, schlichten Geist, die echte Fröhlich keit und Trautheit des Landlebens zu retten, beginnt man jetzt Wohlfahrts- und Heimatpflege in den Dörfern zu trei ben. Diese gesunden und anerkennenswerten Bestrebungen fügen sich ein in den allgemach auflebenöen Kampf der be sonnenen Menschheit, sich aus der Knechtschaft der Maschine wieder zur bewußten Herrschaft über die Maschine durch zuringen, sich nicht länger von ihr entseelcu zu lassen. Die Erkenntnis, daß die Zivilisation überhaupt furchtbare Ge fahren für die Menschheit in sich birgt, verbreitet sich rasch unter den Einsichtigen; Spengler in seinem „Untergang des Abendlandes" behauptet und beweist, daß die Kulturen immer durch ihre Großstädte unterzugehen pflegen. Nachdem wir uns einigermaßen klar geworden sind darüber, was in den letzten Jahren schon geworden ist, können wir noch einmal die Frage stellen, wie sich die Zu kunft unserer Heimat wohl gestalten werde. Da die Zivilisation sich in schneller Weiterentwickelung befindet, so müssen wir auch erwarten, daß unsere Ober lausitz sich in zunehmendem Maße „amerikanisiert". Es wird nicht jedem gefallen in unserer großen Zukunftsstadt, am wenigsten dem Freunde der Stille und der unverdorbenen Natur. Werden unsere Fabriken sich vergrößern, sich ver mehren? Wird es immer wieder solche Perioden fürchter licher Arbeitslosigkeit geben? Ich weiß es nicht; es wird darauf ankvmmen, ob die Arbeitgeber aller Länder Grund lagen für eine sinnvolle Zusammenarbeit aller Industrien der Welt schaffen. Doch das Häusermeer unserer Zukunftsstadt wird wei terhin anwachsen, namentlich längs der großen Verkehrs straßen. Die künftigen Baumeister werden die Häuser wo möglich noch einfacher und zweckmäßiger errichten als die gegenwärtigen, eines dem anderen überaus ähnlich, zu sammengesetzt aus Betonwänden, die von Fabriken nach Normalmaß geliefert werden. Eine solche Siedlung wird auf den Ästheten wahrscheinlich abstoßend wirken, allein danach wird nicht mehr gefragt werden. Betreffs des kommenden Verkehrs ergeht man sich in den tollsten Befürchtungen; man ist drauf und dran, die Landstraßen einigermaßen für ihn herzurichten, und hofft im stillen auch wieder, daß in nicht zu langer Zeit mehr geflogen als gefahren und gegangen wird. Die Sorgen sind berechtigt, wenn man sich vergegenwärtigt, daß in der säch sischen Lausitz z. V. von 1020 bis 1027 die Zahl der Autos von 190 auf 2S65, die der Motorräder von 109 auf 3329 ge stiegen war. Zur Zeit wird man mindestens 4000 Autos und SOOO Motorräder annehmen können. Werden neue Erfindungen gemacht werden? Zweifel los, und man kann sich im klaren sein darüber, daß ages