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Lausitzer Dorfgeselligkeil Von D r. Curt Müller, Löbau Bei allen deutschen Stämmen finden wir in früherer Zeit eigenartige Formen der Geselligkeit auf dem Lande, aber nicht im Wirtshause, wohin der Bauer einst selten kam, sondern im Hause, in der Familie. Sowohl die Alten wie die Jungen hatten das lebhafte Bedürfnis, miteinander im Winter besonders zu verkehren, nach Feierabend zu sammenzukommen und sich bei leichter Hausarbeit zu unter halten und zu vergnügen. Aus diesem Bedürfnis heraus sind die Winterzusammenkünfte hervorgegangen, die einst vor allem an das gemeinsame Spinnen anknüpften, die Spinnabende, Spinnstuben, Rockenstuben und dergl. Den sinnigsten Namen tragen sie in den östlichen Alpengebieten,' so geht man in Tirol und Steiermark in den „Heimgarten", wie aber sowohl die sommerlichen wie die winterlichen Zu sammenkünfte benannt werden. Auch in unserer Oberlausitz finden wir solche Formen volkstümlicher Dorfgeselligkeit, und zwar sowohl bei den Deutschen wie bei den Wenden. Während man über die wendischen Spinnstuben und Spinn gesellschaften schon vor über hundert Jahren berichtet hat, als man begann, sich für die Sitten der Wenden überhaupt zu interessieren, machte auf ähnliche Erscheinungen in der deutschen Lausitz erst Ernst Willkomm aufmerksam, der ein wertvolles Sittenbild „Die Lichtengänger" 1842 in seiner Novellensammlung „Granzer, Narren und Lotsen" ver öffentlicht hat. Aus diesen sowie aus allerlei Nachrichten von Georg Pilk, endlich aus mannigfachen eigenen Er kundungen entnehmen wir die Angaben zu folgender Dar stellung,' für die wendischen Verhältnisse sind außerdem Willkomms Aufsatz über „Gesellige Vergnügungen der Wenden" in seinen „Deutschen Gauen" und Neutschs Dar legungen in der „Sächsischen Volkskunde", S. 357 ff. heran zuziehen. Leider sind ja heute diese ländlichen Winter zusammenkünfte, die als Heimstätten und Herde der Volks überlieferung hochbedeutsam waren, nahezu verschwunden. In den deutschen Langdörfern der mittleren und südlichen Oberlausitz kam die Dorfjugend am „Lichtenabend" oder beim „Lichtengang" oder auch beim „Fcdernschleißen" zu sammen. „Zu Lichten gehn" war gleichbedeutend mit dem anderwärts gebrauchten Ausdruck „zu Rocken gehn", was bei uns seltener gesagt wurde. Bei all diesen Formen der Dorfgeselligkeit handelt es sich um gemeinsames Spinnen bei Scherz und Gesang an langen Winterabenden, also bei Licht, früher bei Kienspanbelenchtung oder auch im Scheine einer gläsernen Öllampe. In Weifa gab es z, V. drei Lichtenabende, nämlich zwei große „Mädellichtgänge" und einen „Weiberlichtgang". Meist fanden solche Lichtenabenöe von Beginn des Winters an bis zu Beginn der ersten Frühlingsarbeiten statt, mancherorts jso in Taubenheim) nur zwischen Neujahr und Fastnacht. Die Teilnehmer waren zumeist die jungen Mäd chen oder Frauen. Es war durchaus natürlich, daß sich die Dorfbevölkerung nach Altersklassen gruppierte und sich nach diesen auch die Dorfgeselligkeit in den Lichtenabenden bestimmte. So bildete, wie Pilk berichtet, in Neukirch die männliche Jugend drei Altersklassen: die jüngsten Bur schen im Alter von 14 bis 16 Jahren durften noch keinen Tanzboden betreten, die 16- bis 18 jährigen durften an den Eingängen zum Tanzsaal ein wenig zuschauen. Beteiligung am Tanze wurde aber nicht geduldet. Erst vom 16. Jahre an stand nach Gewohnheitsherkommen das Tanzen frei, und diese älteste Jugendklasse übte eine Art Polizeigewalt gegenüber den Minderjährigen aus. Dem entsprachen sicher ähnliche Altersschichtungcn unter der weiblichen Jugend, und entsprechend diesen Jugendgruppen gestalteten sich wohl auch die Lichtengänge und Rockenstuben. Nach Beendigung der Erntearbeiten sah man früher Mädchen und Frauen „zu Lichten" oder „zu Rocken" gehen, indem sie mit dem Spinnrocken am Gürtel, das Spinnrad in der Hand, zu der vorher verabredeten „Lichten-" oder „Rockenstube" pilgerten. „Man setzt sich zusammen auf die rings um die Valkenwände laufenden Bänke und läßt die Räder lustig schnurren, indem man dieses oder jenes Volks lied singt. Die älteren Frauen drehen die Spindel, nur selten sieht man hier oder dort eines der jungen Mädchen mit Nadel oder Strickstrumpf umgehen. Die Pausen füllen Gespräche, dem Kreise ihres Lebens entnommen, aus- dann schweigen wohl auch einmal die eintönig schnurrenden Räd chen, und es wird gemeinschaftlich geweift. Auch an artigen Wetten fehlt es nicht. Um ein Busen- oder Kopftuch unter fängt man sich, in Zeit von zwei oder drei Stunden eine gewisse Menge Garn von einer solchen Feinheit zu spinnen, daß sich ein voller Strähn durch den silbernen Fingerring eines Mädchens ohne Anstrengung ziehen läßt. Hier und da wird das Gelingen dieses Kunststückchens für das Zeichen einer baldigen glücklichen Heirat gehalten." (Ernst Will komm, „Die Lichtengänger".) In Ringenhain bei Neukirch hielt sich sowohl das männ liche wie das weibliche Geschlecht im Winter eine Stube zu geselligen Zusammenkünften, nämlich eine „Burschenstube" und eine „Roüenstube". In ihre Rockenstube gingen die Mädchen täglich außer Sonnabends, sie spannen dort Flachs für ihre Herrschaft. Hier wie anderwärts erhielten die Mädchen einen Teil ihres Gesindelohnes in Flachs, der damals häufiger als heute in der Oberlausitz angebant wurde. Diesen spannen die Mädchen ebenso in der Rocken stube. Dienstag und Donnerstag war es Brauch, daß die Burschen ihren Besuch in der Mädchenrockenstube machten. Beim Eintreten der Burschen wurden sie von je einem Mädchen aufgerufen, sich an ihre Seite zu setzen, so hieß es z. B. „Steinmüllers August zu mir!" Dieser Rockenbursche brauchte keineswegs der Herzallerliebste des betreffenden Mädchens zu sein, denn sie ließ sich beim Heimgang nicht immer von diesem, sondern vom Erwählten ihres Herzens begleiten. Der aufgerufene Bursche setzte sich unweigerlich an die Seite des Mädchens, das ihn gerufen hatte, sonst hätte er sie schwer beleidigt. Er sorgte nun während des Spinnabends für die Unterhaltung seiner Nachbarin. Kamen auswärtige Burschen zu Besuch, so wurden diese vorgezogen, und Sie einheimischen ließen jenen den Vor rang. Es kam aber auch vor, daß unbeliebte Burschen ver gebens auf eine Aufforderung eines Mädchens harrten und sich deshalb eine Zeitlang mißmutig auf der Ofenbank herumdrückten, bann aber wortlos wieder verschwanden. Die Nockenstubenmutter beleuchtete das Zimmer mit Buchenspänen. Um elf endete meist das Spinnen, dann wurden noch Gesellschaftsspiele veranstaltet (Pilk). Beim schwachen Scheine einer einzigen gläsernen Öllampe span nen oft bis 26 Mädchen und sahen alle, wie eine Siebzige rin berichtete, ganz gut. Wie sind wir heute verwöhnt in unseren Lebensbedürfnissen! Bon alten Gesellschaftsspielen in der Rockenstube erwähnte diese Berichterstatterin zwei mit den Anfangswort: Ich reite mein Rößlein aus. — Ich schwänze mein Pferd. Waren in späten Stunden einige Spinnerinnen eingeschlafen, so schlichen sich wohl drei Mäd chen hinaus, verschränkten sich mit den Armen so, daß sie eine Gesamtfigur bildeten und überdeckten sich mit einem langen Tuche. Diese nickende Gestalt nahte sich nun den Schlafenden und es hieß von ihr: „Es kommt der Storch." (Weifa, Pilk.) Beim Lichtengang wurden gern allerlei kurzweilige, vor allem auch gruselige Geschichten erzählt, unsere Märchen, Sagen und Anekdoten hatten hier ihre Stätte, dann wurden Spiele gemacht, Pfänderspiele und manche unserer jetzigen Kinderspiele, die mit Reimen und Liedern verbunden sind. Rätsel wurden aufgegeben, dar unter häufig ziemlich zweideutige, und sonst allerlei Scherze gemacht. Heitere und ernste Gesänge wechselten mitein ander ab und die alte Volksdichtung gab die beste Würze zur gemeinsamen Arbeit. Manchmal ging es am Lichten-