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Nur hin und wieder zerreißt ein schriller Lokomotivpfiff aus der Talebene des Laubaner Haupt- oder des Kerz- dorfer Rangierbahnhofes die bleierne Stille der Nacht. Traumverloren zirpt ein schlafender Singvogel im dichten Gebüsch der Anlagen. Du hörst deine Wanderschritte, fühlst dein Herz schlagen. Nacht und still ists um dich her! Auch im Wandel und Laufe der Jahreszeiten offenbart dir eine Steinbergwanöerung ihre eigenartigen Schön heiten. Wenn an einem lichten Frühlingstage an den Ab hängen des Steinberges die Schlehdornbüsche in ihrer brautweißen Blütenpracht heraufwinken, wenn die Hänge birken am Wege im Schleier ihrer Frühlingsblätter schwan kend im Winde wehen, wenn die Bäume und Sträucher der Anlagen knospenfrisch duften und Lerchenwirbel und Amselschlag zu dir einsamen Spaziergänger herauf- und herüberklingen, dann lohnt sich eine Wanderung um den alten Berg, der mit der Geschichte unserer alten heimischen Sechsstadt so eng verbunden ist, wahrscheinlich viel enger als wir es ahnen nnd wie die Historiker der Stadt es in der Stadtchronik ausgeschrieben und verzeichnet haben. Du warst gewiß in der Walpurgis-, der Johannis- oder Sonnenwendnacht einmal auf dem Steinberge. Feuer flammten da auf den Bergen, nah und fern. Erst war ein Lichtpunkt in der Ferne zu sehen. Dann zwei. Dann flamm ten wohl mehr als ein Dutzend Bergfeuer auf. Glüh würmchengleich umtanzt die Dorf- und Stadtjugend mit brennenden Besen die angezündeten Feuerhaufen. Juchzend springen Burschen und Mädels durch die hvchaufschlagenöen Flammen. Sonnenwende! Die hohe Zeit des Jahres! Der Herbst prägt der Steinbergaussicht einen eigenen Stempel auf. Höckrig liegen die fernen Berge im Höhen rauch eines kühlen Herbsttages. Unten in der Ebene am Fuße des Steinberges flammen die Kartoffel- und Quecken feuer, lange qualmende Rauchfahnen in ihre Umgebung sendend. Flammend begrüßt dich da der Herbst im herben Bunt seiner flammenden Ahorn-, gelbleuchtenden Birken- und blutfarbigen Buchenblätter. Fallende Blätter, die herbstmüde zur Erde herunterwirbeln, sind der Abschieds gruß der klarkühlen Herbsttage, denen oft ein feinrieseln- der Regen ein jähes Ende bereitet. Voll geheimnisvoller Naturwunder ist ein klarer Wintertag, der am Spätnachmittage in ein leises Schnee- geriesel übergeht. Dann schallt hinter dir das frohe Jauch zen der Jugend von der Rodelbahn des Lindenweges zu dir herüber. Hoch in den Steinbergbirken und Ulmen grü ßen dich da die rotbrüstigen Dompfaffen, die gelenken Kreuzschnäbel und die buntfarbigen Seidenschwänze, die steten Gäste des fernen Nordens. Auf den weißüberschneiten Wiesen des Pfohlschen Gutes sitzen gleich schwarzen Punk ten Hunderte von Schwarzkrähen. Im kühlen Schauer des sinkenden Wintertages fliegen sie ihren fernen Horsten im Nonnenbusche, krächzend und mißlautig schreiend zu. „Wo sind des Frühlings Lieder, des Sommers bunt Gefieder und dein beblttmtes Festgewand?" Vergangen, verweht, verrauscht! Doch die winzigen Knospen in den Blatt- und Astwinkeln der Steinbergziersträucher, sie sind die ersten Frühlingsboten, die uns im strengsten Winter auf die Goldklarheit eines einst kommenden Frühlingstages hoffen lassen. „Wohl blühet jedem Jahre ein Frühling, hold und licht,' Auch jener große klare, getrost, er fehlt dir nicht! Er ist dir noch beschieden am Ende deiner Bahn, Dn ahnest ihn hienieden und droben bricht er an!" Bei unseren Tag- und Jahreszeitenwanderungen rund um Laubans Steinberg haben wir das Wegnetz desselben benutzt. Gleich einem großen langgestreckten Oval, in dessen Mittelpunkt längere und kürzere Wegradien führen, ist es weitmaschig über den Steinberg gebreitet. Es umfaßt zu gleich die Anlagen des ehemaligen Basaltsteinbruches, auf dessen Tiefsee und auf dessen Märchenfreilichtbühnenhaus man auch von der hohen Bordkante des westlichen Stein- bergweges hinabblicken kann. Selten schön ist an einem klaren Tage der Ausblick vom Aussichtsturm des Berges. Wer seine Wendeltreppenstufen scheut, kann diese auch von den äußeren Wegrändern des Steinbergwegnetzes in glei cher Weise, doch nach Himmelsrichtungen getrennt haben. Droben in luftiger Höhe genügt ein kurzer Rurtdgang, um uns das gesamte Panorama der Umgegend vor Augen zu führen. Beginnen wir in der Nähe! Lauban selbst faßt mit seinen bergnahen Außenstraßen, seinen Villenreihen und seiner neuen Siedelung wie mit verlangenden Armen um und nach dem Steinberge. Können wir es der altersgrauen Stadt verdenken? Stammen ja doch die harten Basaltbau steine ihrer Straßen, die Bausteine ihrer Häuser und Kir chen vom Steinberge. In seinem jetzt eingegangenen Stein bruche wurden sie gebrochen. Art läßt nicht von Art! Stein nicht von Stein! Über die Stadt hinweg aber schweift von des Stein bergs Gipfelzinne der Blick hinaus ins Weite. Von Westen her winkt der Heidersdorfer Spitzberg und die Landes krone. Im Nordwesten liegt Altlauban mit seiner Häuser reihe. Nach Norden reicht der Blick über den Kapellenberg, die schornstein- und turmreiche Stadt selbst hin zu den Ort schaften Wünschendorf, Haugsdorf und Ullersdorf bis nach Naumburg am Queis. Weit drüben sehen wir zudem die Rauchfahnen der Siegersdorfer Werke. Im Osten dehnt sich hinter unserer Heimatstadt das Bergland zwischen Löwen berg und Bunzlau, abschließend rechts mit der Burgruine des Talkenstein, an dessen Fuß sich das trauliche Melkers dorf anschmiegt. Unter den Bergen entdecken wir alte Be kannte: den Kreuz- und Hofeberg bei Berthelsdorf, den Butterberg und weiterhin die Höhen von Seiffersdorf und Kleinstöckicht. Am großartigsten ist der Ausblick nach Süden. Über den Türmen von Greiffenberg und Liebenthal baut sich der Greiffenstein und hinter diesem wieder die Hoch gebirgsmasse des Riesen- und Jsergebirges auf. Soll ich die Leser mit der Aufzählung ihrer all- und altbekannten Gipfel langweilen? Ich will es unterlassen. Jeder kann dies an einem klaren Sommertage in eigner Anschauung vom Steinberge selbst aus nachholen. Im Südosten wollen wir die Aussicht auf den Kerzdorfer Rangierbahnhof, das große Ausbesserungswerk und die ausfahrenden Geleise der Ge birgsbahn nicht vergessen. Sie bringen mit ihren aus- und einfahrenden Lokomotiven und Zügen eine lebende Note ins heimatkundliche Lanbschaftsbild. Dieses selbst will ich nur in groben Umrissen in seinen Aussichtsgrenzen andeuten. Jeder Steinbergwauderer kann an der Hand einer Heimatskarte, die für wenige Groschen in jeder Buchhandlung zu erstehen ist, sich die größeren Ge nauigkeiten selbst in sein Steinbergaussichtsbilü hinein zeichnen. Weshalb sollen wir nicht den heimatkundlichen Arbeitsunterricht mit in den Rahmen unserer Stetnberg- wanderung hineinziehen. Das ist zeitgemäß, sinn- und ver standesschärfend! Nun sind wir wohl mit unserer Steinbergwanberung zu Ende. Noch lange nicht. Sie geht in gewisser Hinsicht erst an. Der Steinberg ist nicht öde und leer. Er trägt dank der Fürsorge der Laubaner städtischen Behörden ein grün blumiges Festkleid wohlgepflegter Anlagen. Hochinteressant ist deshalb eine botanische Wanderung nm den Steinberg. Den besten Führer der Gegenwart, den altbetagten Gartenbauinspektor Seidel, der im Verein mit Stadtrat Kunze der langjährige Hüter und Pfleger der Steinberganlagen war, hatte ich mir dazu erkoren. Durch die vierfache Reihe der Steinberglinden, die die Fahrstraße und die beiderseitigen Fußgängerwege säumen, gingen wir bergan. Rechts grüßte das 19 er Denkmal. Sei nen gefallenen Kameraden weihte es der Verein ehemaliger