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Der Müller im Oberlausitzer Volksmunde Von Dr. Curt Müller-Löbau Unter den alten Gewerben nimmt der Müller, der Verarbeiter der Brotfrucht, die erste Stelle ein, er gehört mit dem Schmied, Wagner, Schneider und Schuster zu den alten Dvrfhandwerkern. In den ältesten Zeiten war natür lich auch das Zerreiben der Körnerfrucht zu Mehl Haus werk und die reibende Tätigkeit an der Handmtthle Sache der Mägde in einem Bauernhöfe. Als man dann größere Mühlsteine durch tierische, Wasser- oder Windkraft in Be wegung setzte, da wurde das Mahlen zum besonderen Handwerk und die Mühle ein Handwerksbetrieb, der ent weder im Dienste der Gemeinde oder eines Grundherren stand. Der Lohn des Müllers, der sowohl für den Grund herren wie für die lehnspflichtigen Bauern mahlte, bestand nun in der Hauptsache in Naturallohn, d. h. er bekam von seinem Arbeitgeber den Rohstoff geliefert und hatte dafür eine bestimmte Menge Fertigprodukte zu liefern, durfte sich aber von dem reichlich zugemessenen Rohstoff einen Teil als Lohn zumessen, „metzen". So schafften die Bauern ihr Korn zum grnndherrltchen Müller, so wie ja selbst in den Städten die Frauen alle Stoffe und Zutaten zum Stvllenbacken zum Bäcker bringen, um von ihm die fertigen Weihnachtsstollen zurückzuerhalten. An diese alten Bezie hungen der Bauern zu dem Müller, den es in jedem Dorfe gab, in größeren Dörfern sogar mehrfach, erinnert noch die Redensart: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst". Nach der Erntezeit mögen die Bauern den Müller manchmal um schnelles Auswahlen ihres Anteils gedrängt haben. Der Müller durfte sich nun seinen Teil Korn als Mahllohn zurückbehalten, „metzen", d. h. mit der „Metze", dem ur alten Getreidemaß, abmessen. Daß die Müller oft über mäßig auf ihren Vorteil bedacht waren, liegt auf der Hand. Sie gerieten daher frühzeitig in Verdacht, unehrliche Leute zu sein, ja wurden geradezu zu den unehrlichen Berufs ständen gerechnet. Ein altes Schwankbuch sagt, das wissen die Kinder auf der Gasse zu singen, daß die Müller weiße Kleider und schwarze Gewissen haben. Man erzählte gern vom Müller, daß er seine Hühner, Gänse und Enten mit fremdem Korn füttere. Das wissen auch nach dem Ober lausitzer Volksmunde die Mühlräder, indem sie ein recht bedenkliches Zwiegespräch führen. Das große Rad knarrt schwerfällig: „'s is a Dieb do, 's is a Dieb do!" Die Kammrädcr fragen begierig mit schnellerer Drehung: „Wer is'r, wer is'r?" Worauf die kleinen Räder mit schnellster Bewegung eifrig antworten: „Der Müller, der Müller!" Das große gewichtige Rad erklärt nun mit ruhigem Gange: „A Vartel vun Schaffet, a Vartel vun Schaffe!" Auch sonst kann sich der Lausitzer Volkswitz nicht genug tun, die Vorliebe des Müllers fürs „Metzen" zu geißeln. Manchmal mag er den Bauern auch anstatt guten Mehls zusammengekehrt'es untermischt haben, während er mög lichst viel gutes für sich behielt. Das Metzen und das Kehren, Das ist des Müllers Pflicht, Wer aber das Metzen und das Kehren vergißt, Ist nicht wert, daß er des Müllers Brot frißt. (Friedersdorf b. Löbau.) In ähnlicher Weise wirft man dem Müller vor, daß er unreines Mehl gern den Bauern aufhänge, besonders dann, wenn sie ihm unreines Getreide übergeben haben, das Trespe, Kornrade und andre Unkräuter enthalte. Traspe, Rod und Vogelwicken Dürft'r nich 'n Müller schicken, Von Stöbn und Kehrn muß'r'ch drnährn, Von Matzn und Stahln muß'r'ch drhaln. (Dürrhennersdorf.) Dieser Volksreim wird übrigens variiert einem alten Dorfpfarrer in -en Mund gelegt, -er über sein „Deputat"- oder „Dezemkorn" (Zehntkorn, d. h. ein Zehntel Abgabe) klagt. Traspe, Rod und Vogelwicken Sollt Ihr mir nicht als Daazn schicken. (Ostritz.) Daß die geizigen Bauern auch gern ihren „Dezem" so betrügerisch ablieferten, also nicht viel besser als die von ihnen gescholtenen Müller sind, läßt derselbe Reim er kennen, wie er in manchen Orten den Bauern selbst in den Mund gelegt wird: Rode, Traps und Vogelwicken Woll mer'n Pfarrn zum Daazn schicken. (Olbersdorf b. Zittau.) In demselben Dorfe sagt man in Anknüpfung an einen Spruch: Aller Augen, Der Müller füttert seine Tauben. A hebt seine diebischen Hände auf Und stiehlt 'n Lotten 's Mahl aus'n Säckn, Spricht: 's es drüben, 's es verstuben. (Olbersdorf.) Aus Reihenspottliedern stammen die folgenden Strophen: Wie machen's denn de Müller? Die Müller machn's su: Die giehn das Treppe! uff und nieder Und gahm 'n Leiten 'n Sack ni wieder. (Bärenstein, Kreis Dresden.) Wie machens denn die Müller? So machens sie, und sie machens so: Die Mühle, die geht klipp und klapp, Das beste Mehl in ihren Sack. So machen sie's. (Affalter im Erzgebirge.) In einem anderen Reihenspottliede weist das junge Mädchen auch den Müller als Freier zurück. Nee, Müller, nee, Ken Müller mag ich ne. Der Müller hat so lange Orme, Der greift in Sack, daß Gott erbarme. Nee, Müller, nee, Ken Müller mag ich ne. (Geißmannsdorf b. Bischofswerda.) Man verspottet den Müller gern mit folgendem Liedchen: Lauf, Müller, lauf, der Sack fährt auf, Lauf, Müller, lauf, lauf, lauf, Himmeldonnerwetter, der Sack fährt auf. Lauf, Müller, lauf! (Glauchau.) Etsch, Müller, dei Wehrl is weg, Etsch, Müller, dei Wehrl is weg, Kam ne alte Gans geschwommen, Hat dei Wehrle mitgenommen. Etsch, Müller, dei Wehrl is weg. (Werdau.) Kurze und bündige Stachelreime, die das betrügerische Metzen der Müller andeuten, leben heute als Kinderreime fort, sie werden nun, da man ihre kulturgeschichtliche Be ziehung vergessen hat, auch als Namenspottreime auf alle gemünzt, die den Namen Müller tragen. Müller, Mahler, Matzendieb, Metz mer'n Bauer 'n Sack nich miet. (Einsiedel b. Chemnitz.) Müller, Mahler, Matzenstahler. (Dürrhennersdorf b. Löbau.) Müller, Mahler, Matzenstahler, Hot'n Buckl vull Kotzenlaöer. (Oberoderwitz.) Müller, Mahler, Matzenstahler. (Stollberg i. Erzgeb.) Müller, Pfüller, Katzenschinder, Leineweber, Totengräber. (Stollberg.) Müller, Mahler, Matzendieb, Hat die jungen Mädchen lieb, Kerne jungen kriegt er nicht, Und -te alten mag er nicht. (Bautzen.)