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Ein Neuansiedlungsversuch.des Weißen Storches durch Bau eines künstlichen Nestes in der sächsischen Oberlausitz Bon Walter Scholze, Bautzen Es gibt eine ganze Reihe von Vögeln, denen unser Volk schon von den frühesten Zeiten an besondere Anteil nahme entgegengebracht hat, aber keine andere Vogelart erfreut sich einer so großen Volkstümlichkeit und Beliebt heit und ist jung und alt so an das Herz gewachsen, wie gerade der Storch. Sein volkstümlicher Name „Klapper storch" ist in aller, ganz besonders in aller Kinder Munde. Einen reichen Kranz von Märchen, Sagen und Fabeln hat das Volk um diese eigenartige Vogelgestalt gewunden und dem Storche so gewissermaßen für alle Zeiten eine Art Freibrief ausgestellt, der ihm von altersher bis in unsere Zeit hinein oftmals besseren und wirksameren Schutz ge währt hat, als die schärfsten und strengsten Gesetze. Schon unsere Vorfahren zeigten großes Interesse für den Storch. Sie brachten ihn mit Wotan in Verbindung und sahen in dem Abschuß des Vogels eine schwere Sünde. Ebenso hören wir von den Tierverehrungen der alten Ägypter, die dem Storche allen nur erdenklichen Schutz an gedeihen ließen sowie von den Indern und verschiedenen anderen Völkern, die ihre Gottheiten oftmals durch Vögel sinnbildlich darstellten und auch im Storche einen heiligen Vogel sahen. Bis in unsere Zeit hinein haben sich die merkwürdig sten abergläubischen Vorstellungen erhalten. Noch heute gibt es Jäger, die sich scheuen, den Storch abzuschießen, weil sie das Sunkle Gefühl nicht loswerden können, daß „Adebar" der Gottheit geweiht sei. Fast alle Landbewohner, deren Dach ein Stvrchnest trägt, sind davon überzeugt, daß ihre Gebäude vor Feuersgefahr bewahrt bleiben, solange „Ade bar" mit seiner Familie friedlich auf ihrem Dache haust,- und oftmals stützt der Zufall diesen Glauben. So brannten vor ungefähr zwanzig Jahren in Jetscheba, einem Dorfe der Oberlausitz, sämtliche Gebäude eines Gehöftes nieder, bis auf das, welches das Storchnest trug. Wenn es auch ein bloßer Zufall war, der das Gebäude verschonte, so stärkte er doch den Glauben der Bevölkerung, daß der Storch die Feuersgefahr abwende,- unserem Storch kommt dieser Glaube aber insofern zugute, als man dann in solchen Fällen doppelt auf sein Wohl und seinen Schutz bedacht ist. Vielfach kommt es auch vor, daß der Storch in besonders trockenen Jahren, in denen er unter Nahrungsmangel zu leiden hat, sich eines seiner Eier oder auch eines seiner Jungen entledigt, indem er es aus dem Neste wirft. Dann sagt der Volksmund, der Storch zinst. Man glaubt, er bringt dem, der ihm ein gastliches Dach gewährt, in dieser Form seinen Dank zum Ausdruck. Dieser Glaube ist ganz besonders in Norddeutschland weit und breit bekannt. Wenn auch der Storch, wie wir oben gesehen haben, aus ganz anderen Gründen sich eines seiner Eier ober Jungen entledigt, so lassen wir unseren Landsleuten, die ihm das gastliche Dach gewähren, noch lange ihren Glauben, birgt doch das Leben so manche Täuschung. In welchem hohen Ansehen der Storch steht, beweist auch der Umstand, daß man mir bei meinen neuesten Be standsaufnahmen des Storches in West- und Ostsachsen überall bereitwilligst und oft mit größter Wichtigkeit die Geschichte des Storchennestes erzählte. Oftmals wußten die Besitzer der Gehöfte einen ganzen kleinen Roman zu be richten und betrachteten den Storch förmlich als lieben Familienangehörigen. Ähnlich erging es mir bei meinen Storchberingungen. Die Besitzer der „Storchnestgehöfte" zeigten vielfach eine große Ängstlichkeit und Besorgnis um das Storchnest und seine Bewohner, sobald ich ihnen er öffnete, daß ich jedem der Jungstörche einen Aluminium ring der Vogelwarte Helgoland umlegen wollte. Sie be stürmten mich mit Fragen, ob ^jhren" Störchen auch wirklich kein Leid dabei geschehe, ob ich etwa gar „ihre" Störche mitnehmen wollte und dergleichen mehr. Erst nach dem ich ihnen die völlige Harmlosigkeit dieses wissenschaft lichen Experimentes auseinandergesetzt hatte, beruhigten sie sich allmählich wieder. Um so merkwürdiger muß es er scheinen, daß der Bestand des Weißen Storches in Sachsen sowie im übrigen Deutschland schon seit Jahrzehnten im steten Rückgänge begriffen ist und seine Art in kürzester Zeit aus zu st erben droht, trotz allem Schutze, den ihm die Bevölkerung seiner Brutgebiete entgegenbringt und von jeher entgegengebracht hat, sowie der großen Volks tümlichkeit und Beliebtheit, der er sich bei allen übrigen Teilen unseres Volkes erfreut. Nur ein ganz winziger Teil der Bevölkerung Sachsens darf sich rühmen, jemals unseren sagenumwobenen Freund „Adebar" dort gesehen zu haben, wo er als herrliches Naturdenkmal noch in goldener Freiheit lebt. Noch viel geringer ist jedoch die Zahl derer, denen es einmal vergönnt gewesen ist, das muntere Leben und Treiben „Adebars" an seinem Neste selbst zu beobachten. Man muß heute schon eine verhältnismäßig weite Wanderung an treten, tief hinein in die Lausitz, wo noch die uralten, stroh gedeckten Wendenhöfe zu finden sind, um an einen bewohn ten Brutplatz des Storches zu gelangen. Es heißt allerdings nicht nur sehr weit, sondern auch bald wandern, wenn wir nicht vergebens nach einem besetzten Storchnest suchen und nicht vor verlassenen Stammburgen „Adebars" stehen wollen,' denn die Tage unseres Storches sind gezählt! Noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts waren in Sachsen annähernd 100 besetzte Storchnester vorhanden, und schon im Jahre 1900 war der Bestand um ungefähr die Hälfte zurückgegangen. In den folgenden Jahrzehnten setzte ein derartig starker und schneller Rückgang ein, daß ich im Jahre 1928 bei einer von mir veranstalteten Zäh lung in ganz Sachsen nur noch 11 besetzte Storchnester feststellen konnte. Wahrhaftig ein trau riges Resultat, wenn man bedenkt, daß der einst so blühende Bestand innerhalb weniger Jahrzehnte auf 102L zusammen geschmolzen ist! Daß dieser außerordentlich starke Rück gang keine lokale Erscheinung ist, beweisen uns die statisti schen Zählungen, die man erst seit Beginn des neuen Jahr hunderts in verschiedenen deutschen Ländern veranstaltet hat, die ähnliche traurige Ergebnisse zeitigten. Es ist somit nur noch eine Frage der Zeit, dann hat den Weißen Storch dasselbe Schicksal wie seinen nächsten Verwandten, den Schwarzen Storch, ereilt, dessen letzter sächsischer Brut platz schon längst verschwunden ist. Betrüblich ist die Tatsache, daß gerade die Schönsten, Größten und Edelsten unserer Tierwelt zuerst der Kultur des Menschen weichen müssen. So können wir neben dem Schwarzen Storch auch den Fischreiher schon längst nicht mehr zu den sächsischen Brutvögeln zählen. In Sach sen dürfte die Brutkolonie auf einer Insel des Horstsees bei Wermsdorf die letzte gewesen sein, die schon vor Jahr zehnten ein Opfer des Unverstandes und der Selbstsucht des Menschen geworden ist. Ähnlich ist es dem stattlichen Kranich ergangen, und die Zeit ist nicht mehr fern, wo auch die dumpfen Rufe der letzten Rohrdommel für alle Zeiten verklungen sind, und mit ihr dem sächsischen Teichgebiet ein Stück Frühlingsnacht-Zauber verloren gegangen ist. Noch liegt es in unserer Hand, Mittel und Wege zu finden, die den starken Rückgang des Storches und sein völ liges Aussterben in unserer Heimat, wenn auch nicht mehr verhindern, so doch wenigstens verzögern können. So eindeutig uns die Tatsache des unaufhaltsamen Rückganges des Storches in den Zählungsergebnissen ent-