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Der kluge Mönch von Camenz Tod eines alten Naturforschers in Feilschen Täglich brausen allerhand Züge an Seitschen vorüber, der letzten Station vor Bautzen auf der Strecke Dresden— Bautzen—Görlitz. Viele werden den Namen Seitschen schon gelesen, aber sonst keine Notiz von dem Orte genommen haben. Zu wenig hebt er sich äußerlich aus der großen Reihe der an den vielen Eisenbahnlinien der Lausitz und des ganzen Sachsenlandes gelegenen Stationen heraus. Vielleicht, daß die freundliche Villa in unmittelbarer Nähe der Bahn das Auge des Reisenden für wenige Augenblicke auf sich lenkt' vielleicht auch, daß der Kundige von dem nahen großen Kirchöorfe Gaußig zu erzählen weiß, dem Sitz der Grafen von Schall-Riaucour, die wohl an die 12 Rittergüter ihr eigen nennen. Sonst wird noch wenig be kannt sein von der schönen Seitschener Skala, durch die man nach dem idyllischen Schwarzwassertal nach Nedaschütz und Pietschwitz pilgern kann, wenig von der alten Schanze, die vor Jahrhunderten zum Schutze der alten Handels straße nach Böhmen angelegt wurde und die noch vor 100 Jahren als Schwedenschanze allgemein bekannt war. Und vollends unbekannt wird sein „der kluge Mönch von Ca menz" mit seinem bürgerlichen Namen Matthäus Rudolph, der dem Orden der Franziskaner angehörte und hier in Seitschen nach einem an Wundern und Abenteuern reichen Leben seine irdische Pilgerfahrt beschloß. Auf der uralten Handelsstraße von Böhmen her war es, als im März 1564 sich ein in eine armselige Kutte ge hüllter Franziskaner zeigte. Er kam von jenseits der Grenze, wo er wieder seiner alten Liebhaberei, Kranke zu heilen, gehuldigt hatte. Nicht nur in der ganzen Oberlau sitz und im Meißner Lande, nein auch in Böhmen war er als ein Wundermann von seltenen Fähigkeiten bekannt. Die Kranken riefen ihn von allen Seiten, und nicht nur die Armen nahmen seine Hilfe in Anspruch. Auch die Rei chen verschmähten ihn nicht, denn seine Kunst stand in hohem Ansehen. Aber jetzt war er selbst hilfsbedürftig. Ihn, der so vielen Kranken Hilfe gebracht, hatte jetzt selbst das Gespenst der Krankheit gepackt. Er war so erschöpft, daß er nicht weiter konnte. Man mußte ihn in Seitschen Ob dach gewähren, und hier war es auch, wo ihn der Todes engel ereilen sollte. „Der kluge Mönch von Camenz" konnte seine Heimreise nicht beendigen. Der 29. März 1564 wurde sein Todestag. „Der Himmel war mit düsteren Wolken be deckt," heißt es in den Berichten von damals- „und ein schrecklich Unwetter entlud sich. Es schien, als trauere die Natur selbst um ihren Priester, der ihre Kräfte so genau gekannt." Viele Leute meinten ob des Unwetters sogar, der Teufel habe ihn geholt, denn übernatürlich dünkte vie len sein Wissen und Können. Die Herkunft von Matthäus Rudolph war in Dunkel gehüllt. Niemand hatte seine Eltern gekannt. Selbst sein Geburtsort war mit Sicherheit nicht festzustellen. Es wird angenommen, daß „der kluge Mönch von Camenz" aus Annaberg im sächsischen Erzgebirge stammte. Er studierte in Leipzig, und seine Studien erstreckten sich hauptsächlich auf Magie, Alchymie und ähnliche geheime Wissenschaften, wie sie in der damaligen Zeit vielfach gepflegt wurden. Nachdem er den protestantischen Glauben gegen den katho lischen vertauscht, vergiftete er selbst, wie die Fama zu be richten weiß, sein Eheweib und nahm die Mönchskutte der Franziskaner an. Gleichwohl betrieb er weiter eifrig das Studium der Naturwissenschaften. In Paris erhielt er bjen Meistergrad. Die übrige Zeit verbrachte er jedoch in einer engen Zelle des Klosters St. Anna zu Camenz, in dem er oft Besuche von Armen und Reichen empfing, die seine Hilfe beanspruchten. Dann heilte er durch Formeln und Wundersprttche, Wurzeln, Steine, Kräuter und Pflaster. Auch sonst trieb er verschiedene Kunststückchen, machte aller hand interessante Experimente usw-, die sein Ansehen noch erhöhten und seinen Ruf in immer weitere Kreise trugen. Heute wissen wir, daß wir in Matthäus Rudolph, „dem klugen Mönch von Camenz", einen der namhaftesten Natur wissenschaftler der Lausitz zu erblicken haben. Er beschäftigte sich eingehend mit Physik und Chemie, und bezog, dem da maligen Zeitgeiste entsprechend, zugleich Magie, Astrologie und Chiromantie mit in sein Studium und seine Künste ein. Bei den großen Gelehrten seiner Zeit war er in die Schule gegangen und bahnbrechende Erkenntnisse und Ein sichten hatte er davon mit in seine Heimat, nach seinem heimatlichen Wirkungskreis gebracht. Einsam und verlassen sollte er in Seitschen sterben, fernab der Hilfe, die er so vielen einst gebracht. Am Tage nach seinem Tode kamen drei Ordensbrüder von Kamenz an, um den toten Bruder heimzuholen. Die Heimfahrt erfolgte mit einem Dünger wagen, vielleicht infolge Mangels an einem anderen Fuhr werk, vielleicht auch, um ihre Verachtung gegenüber den Dingen der Welt an den Tag zu legen. In der Tat: ob im prunkvollen Leichen- oder im schlichten Bretterwagen, das war in diesem Falle völlig gleich. Nichts vermochte die stille Größe des „klugen Mönchs von Camenz" zu beein trächtigen, um dessen lichte Stirn sich die Krone tiefen Wissens und edlen Helfertums schlang. G. v. b. R. Zur Erforschung der sächsischen Mundarten Die vor Jahresfrist begonnene Erforschung der säch sischen Mundarten, die im Anschluß an den großen deut schen Sprachatlas erfolgt, hat in ganz Sachsen bei allen Schichten der Bevölkerung außerordentlichen Widerhall ge funden. 2000 freiwillige Helfer haben sich in den Dienst die ser Sache gestellt, sodaß das Germanistische Institut an der Universität Leipzig schon seit Monaten an die wissenschaft liche Auswertung der eingesandten Aufzeichnungen gehen konnte und bereits eine ganze Reihe von Wortverteilungs karten für den Freistaat Sachsen hergestellt hat. Diese unter so glücklichen Umständen begonnene Arbeit wird das Institut noch geraume Zeit beschäftigen. Jetzt erfährt sie eine wesentliche Bereicherung. Seit langem war es der Wunsch führender Männer der deutschen Volkskundesorschung, dieses kartographische Verfahren auf die gesamte Volkskunde zu übertragen. Trotz des Einflusses der Großstädte lebt noch viel vom alten Brauch im deutschen Volke, vielmehr, als man aus eine schnelle Umfrage hin annehmen darf. Noch immer verfügt das deutsche Volk über einen unabsehbaren Reichtum alt hergebrachter Sitten und Brauche, Sagen, Märchen und Lieder. Auch heute noch knüpfen sich an das religiöse, recht liche und gesellige Leben, an Geburt, Krankheit und Tod, an Feldbau und Viehhaltung, an Haus, Arbeitsgerät und Kleidung tausend überlieferte Formen und Meinungen. Und diese Worte und bedeutungsvollen Handlungen tragen im Norden ein ganz anderes Gepräge als im Süden. Die Küste des Meeres, die weite Ebene und das Bergland, ja die einzelnen Landschaftsgaue und Stämme haben bis in die Täler und Dörfer hinein diese Überlieferung zu be deutender Formenfülle umgestaltet und entwickelt: Frei lich dürfen wir uns auch nicht verhehlen, daß wir in letzter Stunde stehen. Industrie, Technik und Verkehr sind starke Mächte. Die alten Formen, die uns mit der Vergangen heit unseres Volkes verbinden, erleiden Veränderungen und Umbildungen oder gehen ganz unter. Die Kunde von diesen Schätzen der Nachwelt zu erhalten und sie wenig stens wissenschaftlich zu retten ist Ehrenpflicht eines jeden Deutschen. In diesen Tagen ist der Lieblingswunsch der deutschen Volkskundler der Verwirklichung nahe. Eine großzügige Organisation ist geschaffen, um die beschriebene Bestands aufnahme »u ermöglichen. Die Vertreter der Volkskunde