Volltext Seite (XML)
Den wilden Mann jagen Fastnachtsbräuche in Nordböhmen jeder einmal ist die Faschingszeit zu Ende. Reich war sie an Lust und Vergnügen. Seit vielen Jahren war es wieder das erste Mal, datz man den Fasching so richtig durchtollt hat. Noch ein mal aber, ehe man sich in Sack und Asche setzt, schäumt alle Tollheit auf zu bunter Ausgelassenheit in der Fastnacht. Überall weiß man an diesem Tage Possen zu treiben auf kecke Art, nirgends aber ist der Fastnachtstrubel echter als in katholischen Gegenden, wo ja recht eigentlich auch seine Heimat ist. Und wenn er anderswo nur allzusehr den Schein des Absichtlichen und Gemachten an sich trägt, so gibt er sich hier wurzelecht, bodenständig und ohne Schminke: in Rom, am Rhein und nicht zuletzt auch in Böhmen. Überall in Böhmen herrscht am Fastnachtsdienstag echtes, rechtes Fastnachtstreiben, auch in den nordböhmtschen Gemein den haben sich Fastnachtsscherze aus alter Zeit bis in unsere Tage erhalten. So wird alljährlich in der kleinen Grenzstadt Schluckenau die alte Sitte vom Jagen des wilden Mannes geübt. Der Brauch geht zurück bis in die Ritter zeit, und was Veranlassung dazu gab, klingt fast wie eine alte schöne Sage. Saß da auf seiner Burg am Tollenstein Ritter Berka von der Dube, ein finsterer und streitbarer Recke, der auch Schloßherr auf Schirgiswalde und Hohenstein war und ob seiner harten Faust gefürchtet war bei groß und klein rings im Lande. Bis nach Meißen hinauf kannte man seinen Grimm, und die Herren in Dresden wie in Prag hörten seinen Namen nicht eben gern nennen. Wie der Herr, so 's Geschirr. Das hatte auch damals schon Geltung. Denn auch die Diener schaft im Schlosse war bei den Bauern in den Dörfern als roh und gewalttätig bekannt. Aller Ränke voll war des Ritters Knappe Knaut. Dem chatte es eine züchtige Zofe, schön Hilde- gard, angetan. So sehr er ihr aber mit Liebeswerben in den Ohren liegen mochte — und er ließ nichts unversucht, ihr Herz zu erobern — es wollte ihm nicht gelingen, die Gunst der lieblichen Jungfrau zu gewinnen. Die übrigen hatten schon ihren Spott mit ihm und nannten ihn einen verliebten Narren. Da beschloß er bei sich, der Schönen hartes Herz auf gar grau- same Art zu brechen. Heimlicherweise schlich er sich in der Schloßherren Kemenate, stahl aus ihrem Geschmeide einen teuren Brustschmuck aus Perlen und Edelsteinen, und als man nach dem Diebe forschte, wußte er es so zu wenden, als habe die Zofe das Kleinod gestohlen. Ergrimmt über solch Untreue, trieb man das Mädchen von der Burg. Da war nun große Not. Tage und Nächte irrte sie in den Wäldern umher, nährte sich von Wurzeln und Kräutern, wie die Jungfrau im Märchen, und Disteln und Dornen, Wetter und Wind zausten ihr das dünne Gewand, rissen ihr ungestüm das güldene Haar und fuhren ihr unsanft über die zarte Haut. Da eines Tages fanden sie Holzfäller im Moose sitzen, ganz durchnäßt und vor Hunger und Kälte zitternd am ganzen Leibe. Sie erbarmten sich des Mägdleins und nahmen es mit nach Hause, wo es im Spital Aufnahme fand. Dem bösen Knappen aber ward bald der ge rechte Lohn. Man hatte sein schändliches Treiben endlich doch erkannt und ihn bei Nacht und Nebel mit Hunden vom Hofe gejagt. Da verwandelte sich sein teuflisches Herz noch vollends in Arg. Er hauste in Höhlen im Gebirge und schreckte die Leute in den Dörfern durch sein räuberisches Wesen. So oft man auch auszog, ihn zu fangen, niemals vermochte man ihn zu finden, bis endlich einmal — es war gerade Faschingszeit — ein Fähnlein mutiger Gesellen aus Schluckenau ihn im Walde ausstöberten. Aber als sie ihn sahen, stoben sie entsetzt auseinander; denn erhalte ein gar schreckliches Aussehen und glich eher einem Tier denn einem Menschen. Sein Gesicht be deckte ein wilder Bart und sein Körper war ganz in Felle gehüllt. Da holte man Hilfe herbei, und es begann eine tolle Jagd durch die Wälder. Bis nach Schluckenau hinein hatte man ihn gehetzt, in der Dresdner Straße sah er sich von allen Seiten umzingelt. Er flehte um Gnade, aber man hatte kein Erbarmen mit dem Unhold, ein wohlgezielter Schwerthieb streckte ihn zu Boden. So war es vor vielen hundert Fahren und so ist es heute noch, nur daß ein lustiges Bolksspiel daraus geworden ist. Das ist ein buntes Völkchen, das sich da am Fastnachtstage auf dem Markte des Städtchens zusammenfindet. Da kommen Ritter auf schweren Hengsten, begleitet von ihren Knappen, Köhler in altertümlicher Tracht, Bauern mit Dreschflegeln und Sensen — gerade wie damals, als sie auszogen, den wilden Jäger zu fangen — natürlich fehlen auch Narren, Landsknechte, Hanswürste und sonstige Faschingsgestalten nicht. Fanfaren signal verkündet die Ankunft des Landvogts. Ehrerbietig gibt die Menge ihm Raum. In der Mitte des Platzes nimmt er Aufstellung, umgeben von seinen Reisigen. Nun zieht er ein altes Pergament hervor. Mit fester, würdiger Stimme verliest er daraus, was die hohe Stadtobrigkeit willens und rechtens ist. Da springt der „wilde Mann" auf den Markt. Unter den Schaffellen, in die er eingenäht ist, schaut ein fleischfarbenes Kostüm hervor, damit sich zum geschichtlich Wahren auch die Faschings-Narretei geselle. Sogleich beginnt eine tolle „Hatz" nach ihm. Dreimal wird er über den Markt und durch die Gassen gejagt, bis er endlich, in die Enge getrieben, sein Leben lassen muß. Mit aller Umständlichkeit und großer Schauerlich- keit wird diese Sterbeszene aufgerollt; denn tolle Lust, gewürzt mit einigen Körnlein Gruselns, das gibt erst die rechte Fast- nachtsstimmung für die sensationsdurstige Menge. Dieses bunte Spiel, das vor dem Kriege in Schluckenau in bestem Schwünge war und zu dem von weit und breit aus dem böhmischen Niederlande und von den sächsischen Grenz- gauen Scharen Schaulustiger herbeigeströmt kamen, hat auch cm anderen Orten Eingang gefunden, unbeschadet darum, daß dort der rechte geschichtliche Hintergrund fehlt. Und ist es kein wilder Mann, so ist es Braun, der Bär, den die Menge hetzt. Im Egerlande zieht ein seltsamer Zug durch die Städte: Türken, Mohren, Chinesen, der Hans Narr mit Klingelschuhen und Schollen an Kleid und Mütze, der Schinder, der Schornstein- feger und noch viele andere seltsame Gestalten gehen darin mit. Sie werden vom Volke, das an den Straßen steht und zu den Fenstern herausschaut, geneckt und verspottet, und jeder von ihnen sucht die Menge durch allerlei Scherze zu belustigen. Da stürmt der Rauchfangkehrer mitten in die Menge hinein, daß sie johlend und kreischend auseinanderstiebt, holt sich ein Mägdlein heraus und malt ihm, weil es ihn zuvor gehänselt, ein rußiges Gesicht. Da schneidet Hans Wurst alle nur erdenk baren Grimmaffen und was dergleichen Allotria mehr ist. Allotria? Gewiß, das ist tolle übersprudelnde Faschings- tust. Aber sie ist doch weit entfernt von jener sinnlosen Aus gelassenheit und zweifelhaften Mutwilligkeit, die man in vielen Gegenden antrifft und nur darum inszeniert wird, weil es halt Mode ist, am Fastnachtstage Ulk zu treiben. Nein, jene Fast- nachtspossen sind ein gut Stück unverfälschten Volkstums. Sie sind hervorgegangen aus Geschichte und Anschauung der Hei- mat und tief in ihr verwurzelt, Großvater und Urgroßvater haben sich schon an ihnen ergötzt. Sie sind ein altes, deutsches Erbe, und Aufgabe unserer Zeit sollte es sein, das Erbe treu lich zu wahren und zu pflegen; denn in ihnen hüten wir gutes deutsches Gemüt. Otto Flösset, Bautzen. Vas vvakre Slück Willst du von Kerzen glücklicb sein, So meide Irug und leeren Scbein, Und tue reckt und deine pklicbt Und stets, wie dein Gewissen spricbt. I^eick kann nickt jedermann kier sein, Neicbtum ist okt nur kodier Sckein, Lin reines IZerz in wackrer IZrust Mackt deines Wertes dick bewußt. Erich Hachj«, Dautzsn.