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Nr. 24 Gbevlaufltzer Helmatzsltung 377 nicht ersehen, wenn's uns anders gehen soll als ihnen. Fliegt mit euren Plänen nicht so Hoch, sonst stürzt ihr zu tief!" Eine junge Fichtenpflanzung dehnt sich wohlig in der steigenden Wärme in ein sanftes Tal hinab. Über sonnendurchglutetem Heidekraut zittert die warme Luft, ein bunter Falter taumelt über die Lichter der kleinsten Christbäume dahin und umgaukelt in staunendem Spiele den Fingerhut,, der seine roten Glocken über die Pflan zung läutet. In sanftem Decrescendo ist die grüne Sym phonie über Mittag mitten im Takte eingeschlafen, und dort, wo die alten Weidengesveniter wie eine verzauberte Pascherkolonne marschiert und sich schuldbewußt in den schützenden Hochwald drückt, murmelt der niederträchtige Bach allerhand gruselige Geheimnisse den grauen Weiden männern nach. Schließlich macht auch er nur noch ein paar gulkernde Seufzer über seine verkannte Reinheit und skkläst auch ein. Wo die hohen Fichtenstämme den steilen Abbang wieder emvorstürmen, liegen oben auf der Höhe Felsen zu gigantischen Klivven aufgetürmt. Die Leute im Tale erzählen sich, hier habe einst eine Stadt gestanden, doch wegen der Gottlosigkeit der Einwohner sei sie zer stört worden durch ein furchtbares Unwetter, und der Teufel habe alle geholt. Jetzt ist nur die Stadt eines Ameisenvolkes hier, die Käuzchen hocken nachts auf den moosbepolsterten Blöcken auf, und schiefäugig drückt sich Reinecke in ein heimliches Versteck, wenn unten ein grü ner Rock sichtbar wird. Wo Regen die Felsen glatt ge waschen und die Sonne sie mit wohliger Wärme durch- glutet hat, reckt sich ein brauner Kerl, dehnt seine haarigen Beine, daß die Hufe an dem Steine klappern, schüttelt das zottige Fell, dreht sich auf die andere Seite und blin zelt aus schlaftrunkenen Augen über die flimmernde Lich tung. Unten ziehen zwei Rehe dem schattigen Dickicht zu. Der Waldschratt sieht ihnen faul nach, doch da kommt Leben in den häßlichen Kerl, die spitzen Ohren lanschcn, die geschlitzten Äuglein flimmern grünlich, wie ein Baum stamm liegt der braune Waldmensch auf der Felsplatte. Auf dem Wege schreitet leise eine grüne Jacke und mit mörderischem Rohre das todbringende Verderben an die Lichtung heran. Das Leben der ahnungslosen Rehe hängt nur noch an Sekunden. Da lacht der Waldschratt sein niederträchtiges Lachen laut in das Tal hinab, daß das Echo Höhnisch antwortet. Erschreckt setzen die Rehe mit wiegenden Sprüngen ins schützende Tännicht hinein. Fluchend dreht sich der Jäger nach den Felsen um, doch die Platte ist leer, und nur ein Schwarzspecht zieht übers Tal in den Hochwald Hinein, wo das schadenfrohe Lachen verhallt. Was sind die staubiggrauen Olivenwälder Italiens, die grabesdüsteren Cypressenhaine, die fieberschwangeren Palmenwälder der Tropen gegen dich du deutscher Wald? Ob uns deine frühlingszarten Zweige winken, ob du uns mit sommerlicher Kühle labst, dein herbstliches Gold üppig und verschwenderisch über uns vergeudest, oder ob du in starrem Winterschweigen träumst von Vogelsang und Sommerweben, immer sprichst du zu uns mit deiner er habenen Sprache Worte, die uns stolz machen im Ver zagen, die uns aufrichten im Leid, Worte, die mit deinem uralten Liede zusammenklingen zu der ewig schönen Sym phonie des deutschen Waldes. Einsame Friedhöfe Von Curt Mittasch Die düsteren, nebelgrauen Novembertage mit ihrem Blätterfall, dem großen Sterben in der Natur, bringen uns des Jahres trübstes Fest. Da regt sich überall die Sehnsucht in den Menschenherzen; ein Strom von Liebe geht durch die Lande. Mag sie das ganze Jahr hindurch ge schlummert haben, nun treibt sie tausend und abertausend Hinaus zu den Friedhöfen, um die Herbstlichen Gräber zu schmücken; denn niemand ist so arm, daß er nicht für seine Toten eine bescheidene Blumengabe hätte. Und dennoch gibt es Gräber, die am großen Totenfest mit keinem Kranze geschmückt sind. Einsame Gräber, zu denen niemand pilgert, nicht, weil kein Angehöriger der Entschlafenen mehr lebt, sondern weil Unbekannte dort schlummern, heimatlos und namenlos. Das ist die tiefe Tragik, die diese Gräber umwittert. Eine solche Stätte, nur wenigen bekannt und noch weni ger beachtet, birgt das romantische Ausflugsgebiet der Ber liner, der Grünewald. Dieser Friedhof der Namenlosen ist ein kleiner, von einem Drahtzaun eingefriedigter Platz, dem jeder gärtnerischer Schmuck fehlt. Hohe Kiefern um geben ihn, sic blicken ernst und feierlich auf die Gräber und schütteln ihre ehrwürdigen Häupter im Winde, wie wenn sie sagen wollten: „Mußte es sein?" Etwa zweihundert birgt der Waldesgrunb nnd keiner von ihnen starb eines natürlichen Todes. Einige fielen Unglücksfällen zum Opfer, wie mehrere junge Leute, die beim Vaden in der nahen Havel ertranken, und ein Schriftsteller, 38 Jahre alt, ein Opfer der Kälte. Die meisten aber machten ihrem Leben selbst ein Ende. Vom Schicksal in die Enge getrieben, fan den sie in Gram und Verzweiflung keinen anderen Aus weg. Die Mehrzahl der Toten ist namenlos, niemand hat sich zu ihnen bekannt, keiner vermißt sie, sie sind längst vergessen. Nur wenige der halbversunkenen, moosbewach senen, von Maulwürfen zerwühlten Hügel ziert ein Monu ment, die meisten tragen nur eine Nummer ober ein klei nes Holzkreuz steckt darin. Aber des Waldes Blumen blühen darauf und suchen dem wuchernden Unkraut den Platz streitig zu machen. Unbekannte Tote sind es auch, die auf dem Heimat losenfriedhof der Düne von Helgoland ruhen; Schiff brüchige, die das Meer an den Strand spülte. Von einem schlichten Holzzaun umgeben, nur wenige Schritte von der brausenden See entfernt, liegt die Stätte des Todes, mit kleinen Kreuzen geschmückt, unendlich rührend in ihrer Ein fachheit. Im Sommer kommen täglich die Badegäste zur Düne herübergefahren und inmitten von Sommerlust und Lebensfreude gedenken sie vielleicht einen kurzen Augen blick der heimatlosen Toten. Im Herbst und Winter aber verödet das kleine Eiland; niemand wohnt darauf und monatelang betritt kein menschlicher Fuß die Stätte des Todes. Es ist wohl der einsamste Friedhof der Welt, um brandet von Nordseewogen und umtost von Stürmen. Ein anderer Friedhof für Heimatlose liegt in Wester land auf Sylt. Im Schutz der Dünen, von einer niedrigen Feldsteinmauer umgeben, ziemlich verwahrlost, wird er von den zahllosen Fremden herzlich wenig beachtet. In un mittelbarer Nähe liegen die Tennisplätze, von denen Tag für Tag das heitere Lachen der Jugend zu den Toten her- überklingt, bis die Saison zu Ende ist. Dann kommt die große Stille, die bedrückende Einsamkeit. Niemand stört den Schlummer der Toten. Die Einwohner kümmern sich kaum um den Friedhof, der immer mehr verfällt, weil die Opfer der See schon seit Jahren auf dem Gemeindefried hof bestattet werden. Nicht die bescheidenste Blume blüht auf den eingesunkenen Hügeln; der unfruchtbare Boden bringt nur spärliches Gras hervor. Als einziger Schmuck inmitten der Wildnis erhebt sich der von Carmen Silva gestiftete Stein, für den Kögel die schönen Verse schrieb: „Wir sind ein Volk vom Strom der Zeit Gespült zum Erdeneiland, Von Unfall und voll Herzeleid, Bis heim uns holt der Heiland. Das Vaterland ist immer nah. Wie wechselnd auch die Lose. Es ist das Kreuz von Golgatha, Heimat für Heimatlose."