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aus Sachsen kommenden Heidelbachs, verläßt er uns ein Weilchen, wendet sich links, um noch auf böhmischem Boden zu bleiben, und nimmt beim „Schwarzen Tor" das vom Gebirge kommende Rote Floß ans, wodurch er, in Hinter- daubitz einmündend, schon ein recht respektabler Herr ge worden ist. Hier verläßt er nun, nachdem er viele Kilo meter weit die Reichsgrenze gebildet hat, sein heimatliches Land Böhmen, indem er durch zahlreiche Brücken über den Quasengrund schlüpfend, eilends nördlich in die Sächsische Schweiz hinein biegt. Unvergeßliche Eindrücke nimmt er aus seiner Jugend zeit mit ins fremde Land. Tiefe Wäldereinsamkeit hat er erlebt, stille, träumende, weite Schluchten betrat sein eilen der Fuß: bas wildromantische Khaatal, das düstere Jäger dörfchen Hinterdaubitz und auch die einsame Mühle hinter den Schleusen muß er jetzt verlassen und die schindelgedeck ten, traulichen Käufer seiner Heimat, die ihm von weitem her noch zum Abschiede zuwinken. Es werden aber auf der Weiterwanderuug der Berge und Täler, der schönen schweigenden Schluchten nicht weni ger, der hohen, alten Tannen nnd Fichten eher mehr, cs geht ja immer tiefer in den dunklen, stundenweiten Wald hinein. Bei Sächsisch-Hermsdorf nimmt er den Dorfbach mit, purzelt mit ihm durch die Unteren Schleusen, dann weiter die Böhmische Straße entlang, schon als ein richtiger Stutzer und Grandseigneur, denn hier blühen ihm tausend seltener Wald- und Wiesenblumen, hier rauschen ihm gewaltige Mühlenräder ein werbendes Lied von Schönheit und Nütz lichkeit entgegen, die seine starken Arme spenden. Wer würde da in ihm noch das Kind von Schönborn, den Jüngling aus dem Khaatale wieder erkennen? Da kommt ihm auch schon, tief im Sachsenlanbe, links am Wege der weltbekannte „Kuhstall" entgegen, der schöne, viel besuchte, wenn auch nur künstlich geschaffene „Wasserfall", bei dessem Wirtshause er ein wenig rasten nnd ausschnan- fen will. Ein seltsames Rauschen und Klingeln macht ihn auf horchen: es ist die elektrische Straßenbahn, die er trifft, von Schandau her kommend, mit einer Menge städtisch-ge putzter, lauter Menschen. Hat er so lärmende Wesen je ge hört und gesehen. Waren die, die bisher mit ihm und um ihn waren, nicht still und in sich gekehrt, so wie er selber? Erste Enttäuschung der sogenannten großen, entzauberten Welt! Doch aber will und mutz er nun selber Städter nnd Stutzer werden. Wechselt die grünen, bisher mit saftigem Farrenkraute dicht bewachsenen Ufer gegen starre, stein gebaute, hohe Wände, stolziert so, alle ländliche Eigenart vergessend, als ein Geputzter, als ein Fremdling, in die schöne Stadt Schandau hinein, sich mit der Elbe vermäh lend, zum nützlichen, nüchternen Ganzen.... Der Wald E. N i e r i ch-Neukirch (Lausitz) In tiefem Schlafe dämmert noch das Dorf. Verschlafen blinzeln die kleinen Fenster unter den grünbemoosten Strohdächern her auf die leere Straße, auf der unser Schritt laut verhallt. Aus einem von Wohlbehagen träu menden Bauernhöfe dringt der im Stalle erstickte Ruf des Hahnes, der dem Landmanne zuruft: „Morgenstunde hat Gold im Munde." Aus einem Schornsteine quirlt gel ber Rauch, .das erste Zeichen des erwachenden Dorfes. Noch murmelt geschwätzig der Dorfbach uns entgegen, doch bald wird er leiser, und die Geräusche des Alltags verschlucken die Stimme der Natur. Ein altersschwacher vermorschter Wegweiser zeigt von der Straße ab nach einem alten Strohdachs, das sich unter einer mächtigen Linde und hinter verführerisch duftenden Flieder schämig verbirgt, als wolle er die Vorübergehenden aufmerksam machen, auf die stille Pracht des alten Weberhäuschens. Sein Arm ist erblindet, und nur der blühende Bauerngarten läßt die Hoffnung aufkommen, daß dort, wo er hinweist, noch mehr Schönheiten verborgen liegen. Durch einen stillen Hof an fast geometrischen Düngerhaufen vorüber schlän gelt sich der Weg durch Ackerbreiten und tauigen Klee dem Walde zu. Hier spinnen noch die Nebelfrauen ihre grauen Schleier und weben sie um die alten Stämme. In schwei gender Ehrfurcht stehen noch die Tannen, als warteten sie aus das Erwachen des lebenspendenden Gestirns, dem alle Kreatur schon seit Jahrtausenden stille Opfer und Danksagungen bringt. Violette Wölkchen schwimmen wie Märchenvögel durch den Morgenbimmel, tiefblau färben sich die Berge und purpurne Schatten gleiten an den Stämmen hinauf. Mit gleissendem Saume ziert sich im Osten der Höhenrücken, goldene Pfeile schieben drüber bin, und jetzt steigt die Strahlenkrone der Königin des Tages empor, „die Sonn' erwacht mit ihrer Pracht". Im Augenblicke steigt der Juvelchor der Lerchen empor, das Gold, das zuerst nur in den höchsten Wipfeln gehangen, fliesst hernieder, blinkt selbst zwischen den Stämmen im Waldesschatten, huscht über zartgrüne Farnwedel und giesst öemantenes Geflimmer über die Gräser am Wald rande. In jäher Flucht jagen die grauen Nebelfrauen mit ihren Svinnrädchen davon, nur hier und da bleibt ein Fetzen ihres dünnen Gewebes zwischen den Asten hängen. Es tropft von den Bäumen auf die Büsche, von den Bü schen auf die Gräser und zerfliesst auf den moosigen Stei nen. Der Wald weint Dankestränen seinem Schöpfer. Dann stimmt er seine mächtige Harfe. Von den Bergen „ kommen die ersten zarten Harmonien, wie perlende Ar-'" peggien streift es durch die Wipfel. Leise beginnen sie sich zu wiegen, als dehnten sie ihre schlaftrunkenen Glieder. Schwellender rollen Harmonien mit jubelnden Kolora turen dahin, verebbend, anschwellend nnd fast wieder er sterbend im säuselnden Pianissimo, daß man das süße Liebeslied einer Drossel aus der Ferne vernimmt, wie weinender Klagelaut einer wunderschönen Waldsee. Schluchzend antwortet ein fernes Echo. Dann springt der kecke Morgenwind auf und greift hinein mit vollen rau schenden Akkorden in das grüne Orchester, daß es in immer steigenderem Crescendo aufbraust das uralte und ewig neue Lied des Waldes, das schon die Bernstein fichten sangen, deren versteinerte Tränen jetzt die Meeres wogen an das Ufer werfen. Getragen pon der grünen Svmpbonie steigen wir weiter den Bergwald hinan. Der Weg biegt in eine grüne Gasse ein. Wie Kulissen bilden die schlanken Fichten links und rechts Spalier. Hier ist es still, nur die Wipfel wiegen sich in leisem Takte nach der Melodie des Windes. Wie winzige Kobolde mit den Ka puzen gucken Fliegenpilze aus dem braungrünen Däm mer unter den Zweigen vor. Lautlos schreitet der Fuß über schwellendes Moos, nur einige vorjährige dürre Grasbüschel knistern leise. Freier und tiefer atmet die Brust, der Odem des Waldes rinnt wie Arznei ins Blut. Es duftet nach frischem Grün der Maispitzen, nach warmer, feuchtschwangerer Moosluft, aus dunklem Dickicht zieht ein kühler Hauch, vermischt mit dem Gerüche von faulendem Laube nnd modrigem Holze, grabesschauernö in das son nige Geblinzel des Waldweges hinein. Ein Holzstoß träumt von bangen Zukunftszweifeln und sendet seine harzigen Seufzer mit in die Wohlgerttche, die Mutter Sonne zusammenbraut zu dem Odem des Waldes, für den der Mensch das inhaltlose Wort Ozon hat. Wie hoch und kühn waren die Träume der Bäume gewesen, als sie noch mit ihren Brüdern das Lebenslied rauschten. Als stolze Masten wollten sie die Meere durchsegeln, und jetzt —, jetzt harren sie als armselige Meterknüppel ans den Feuertod. „Na ja," seufzt die dicke Buche am Ende der grünen Gasse, „die alte Geschichte, die Menschen können's