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den es doch früher fast täglich gab. Sonntags aber steigerte sich sein Dünkel fast bis zum Größenwahn; denn da mochte er nicht mal mehr Margarine sehen, Butter mußte auf den Tisch, richtige Butter wie bei den reichen Bauern. Als er dies seiner Frau das erste Mal mitteilte, — er hatte den Gedanken wieder in der Seegerkammer ausge- heckt —, da rief sie voll Entsetzen: „Karle, nee itzc biste verrückt wurn, de willst wull Hypthekn uff's Haus zeun, doaß mor dorno kinn allendchn battln giehn? Ich gleeb, Dir hoan de Seegr dn Verstand vuld verdraht." Doch diesmal blieb Karle bei seinem Vorsatze; und jetzt freute sich die Mine mit ihm die ganze Woche auf den Sonntag, wo es Semmeln und Butter gab wie bei feinen Leuten. Wenn die Abendschatten vom Walde her über die Wiese krochen und von den Uhrpendeln nur noch ein ver stohlenes mattes Blitzen durch die Stube blinkte, wischte sich der Alte die Hände an der blauen Schürze ab, langte sich die Tabakspfeife hinter dem Spiegel vor und setzte sich auf die Ofenbank; die Frau fütterte indessen draußen die Ziegen im Stalle, und bald zog ein Duft von Brat kartoffeln und Speck durch die Nitze der Stubentür. Dann kam wohl sein Freund, der Wasser-Schneider-Schuster, der eigentlich Weser hieß und weder Schneider noch Schuster, sondern Fuhrmann war, um in der Dämmerung über die neusten Ereignisse im Dorfe zu „brajgln". So lief ein Tag wie der andere, so lief das Leben der beiden Alten wie der immer gleiche Gang der Uhren durchs Häuschen. Die Jahre gruben Falten ins Gesicht, der Rücken wurde krumm und das Herz, das bei den Uhren so jung geblie ben, ein wenig matt, „'s Werk will ne mieh richtch giehn, do mecht ane neue Spannfadr nei," sagte dann der Seeger- karl. Und einmal schlich sich die neumodische Krankheit, die Grippe, auch in sein Häuschen. Da erging es ihm wie den Uhren, die man zu ihm brachte. Langsamer und langsamer wurde der Gang, und wie die Feder abgelaufen war, blieb das Werk stehen. Der Tod nahm ihm still die Feile aus der Hand und sprach: „Es ist genug." Als man den stillen Schläfer hinaustrug, der bas Sonntagsuhrenlächeln aus der Rumpelkammer noch auf den Lippen hatte, da sah man erst, wie sie ihn alle geliebt hatten. Sogar die Fahne des Militärvereins gab ihm das Geleit. Die Kameraden schossen dem Kämpfer von 1870 übers Grab und einer sagte zu seinem Nebenmanne: „Ich gleebe, Koarle schamt'ch itze, doaß wajgn ihm sicher Nadan gemacht wird." Die nächsten Tage wurden nun für das alte einsame Häuschen recht traurig. Fremde Leute durchstöberten herz los alle Räume, trugen die bunten Truhen und Schränke hinaus, zertraten lieblos die letzten Astern, ja selbst die silberne Glaskugel lag eines Tages zerschellt zwischen welken Herbstblumen. Die verborgenen Schätze wurden aus der Giebelkammer ans Tageslicht gezerrt und ver steigert. Viel wurde über die alten „Seeger" gelacht, aber Man kam schließlich billig zu einer Nhr, die vortrefflich ging; die teuerste kam auf acht Mark zu stehen. Die greise Mutter zog zu ihren Kindern. Das alte Häuschen wurde verkauft. Ja, und seitdem ist es nicht mehr das alte. Was eigentlich anders geworden, ist schwer zu sagen. Und neu lich fiel mir's ein, ich betrachtete es lange und merkte, es fehlte etwas, was es früher besessen, es hat keine Seele Mehr; leer, wie ausgeweinte Augen starren seine winzigen Fenster über die Wiese, als suchte es, was es einst be sessen: Des alten Hauses Seele. Lausitzer Mundartabend Übertragung der Sender Dresden—Leipzig am 12. Oktbr.) Endlich scheint die Zeit zu kommen, in der die Mund arten eine größere Werschätzung erfahren als bisher. Lei der ist ja sogar heute noch unter vielen Menschen die Mei nung verbreitet, daß die Mundarten eine Verwilderung des Hochdeutschen darstellen. Wie so mancher rümpft ver ächtlich die Nase, wenn er an der Redeweise irgendeines Menschen erkennt, daß er es „mit einem vom Dorfe" zu tun hat. Und doch sind es die Mundarten, die unserem Hochdeutsch erst zum Entstehen verholfen haben. Die Mundarten stellen keine Verwilderung des Hoch deutschen dar, sondern sind die Quellen, aus denen es dauernd neues Leben schöpft und aus denen es überhaupt zu einer Einheit zusammengegossen wurde. Die Mundart ist der lebendige Ausdruck des Volkslebens; Freud und Leid des Menschen, all sein natürlich-schlichtes Empfinden und Denken finden ihren Ausdruck im heimischen Dialekt. Die Berechtigung, die Mundarten zu pflegen, ist zur Genüge durch den Umstand erwiesen, daß Schriftsteller, wie Peter Rosegger, Gerhart Hauptmann, Frenssen, Klara Viebig, vor allem aber auch einer der hervorragendsten Schriftsteller unserer Lausitz, Wilhelm von Polenz, u. a. sich in ihren Werken teilweise der Mundart bedient haben. Noch mehr aber zeigen die rein mundartlichen Werke von Fritz Reuter, Klaus Groth u. a. die Berechtigung der Dia lektdichtung. Es ist also kein Wunder, wenn heute eine Einrichtung wie der Rundfunk ebenfalls zur Förderung der Mundart dichtung beiträgt. Und so hörten wir denn am Mittwoch, dem 12. Oktober 1927, zum ersten Male die Übertragung eines Lausitzer Mundartabends durch die mitteldeutschen Sender Leipzig und Dresden. Als Einführung zu diesem Abend hielt Professor Dr. Curt Müller-Löbau einen Vor trag über „Die Lausitz, Land und Leute". Dieser Vortrag bedeutete für den Hörer eine wirklich zweckmäßige Hin leitung zum eigentlichen Mundartabend. Nachdem man so kurz etwas über die Lausitz und ihre Bewohner gehört hatte, wurde man mit der Sprache des Lausitzers und der lausitzer Mundartdichtung bekannt gemacht. Und so er klärte Albert Zirkler, daß der lausitzer Dialekt in die nieder- und oberlausitzer Mundart und in das rein Wen dische und das Deutsch-Wendische zerfällt. Außerdem hat man noch die Mundarten der preußischen und sächsischen Oberlausitz und die an der sächsisch-böhmischen Grenze ge sprochenen Dialekte zu unterscheiden. Er betonte, daß jedes Tal, jedes Dorf, ja schließlich jeder einzelne seinen beson deren Dialekt spricht. Nachdem er die Hauptvertreter der lausitzer Mundartdichtung genannt hatte, erwähnte er am Schluß seiner Ausführungen, daß die lausitzer Mundart dichtung als Ganzes betrachtet der jüngste Zweig der säch sischen Mundartdichtung sei. Einige Lieder in niederlausitzer Mundart („Wiegen lied" und „Bauernlied" von K. Hahn, sowie das „Zemper- lied" und ein Liebeslied „Mariechen kumm") eröffneten die Vortragsfolge. Darauf folgten Volks- und Kunstdich tungen in derselben Mundart. Im Anschluß daran hörte man zwei wendische Lieder und Dichtungen der deutsch sprechenden Wenden. Auf die Vorträge im Dialekt der preußischen Oberlausitz (Dichtungen von Barber und Bertram) folgten zwei lausitzer Bauerntänze und schließlich Dichtungen in der Mundart der sächsischen Oberlausitz. Rudolf Gärtner las zwei seiner noch unveröffentlichten „Bumbhuttgeschtchtn". Den Schluß des ersten Teiles bilde ten zwei Lieder von Gärtner, „Ringelringelreihe" und „Heedlbeern". Der zweite Teil des Abends wurde durch das heitere Spiel in oberlausitzer Mundart „Anne äbr- lausitzer Huckst" von Gärtner ausgefüllt, das mit dem Bauerntanz „Der Kuckuck" beschlossen wurde und manche heitere Szene enthält. Im großen und ganzen kann man mit dem Gesamt eindruck des Abends zufrieden sein. Denn es wurde viel aus dem Schatze der oberlausitzer Dialektdichtung geboten. Eins hätte ich mir aber noch gewünscht, nämlich, daß man auch „Bihms Koarln" hätte zu Worte kommen und irgend etwas aus seinen drei Fuhren „Kraut und Rüben" vor tragen sollen. Und warum hat Gärtner gerade zwei seiner