Volltext Seite (XML)
346 Gberlaufltzee Helmatzeitung Nr 22 Der Vater Oberlausitzer Erzählung von Oskar Schwär (Schluß.) Der Vater gab Geschenke und Grüße mit, nach der Rückkehr ließ er sich erzählen und freute sich, daß alles in Ordnung war. Er gehörte der Arbeit, dem Alltage. Aus den Vereinen war er ausgetreten, dafür brachte er keine Teilnahme und keine Zeit mehr auf. Das Geschäft blühte wie eh. Nun wollte auch der große Garten Hinterm Hofe gepflegt sein. Er hielt sich einen tüchtigen Gesellen, der ihm ein gut Teil Arbeit in der Bäckerei abnahm. Im Frühjahr und im Sommer war der Meister mehr im Garten als in der Backstube. Er grub um, düngte, pflanzte, erntete. Wie Sträucher und Bäume im Frühling zum Leben erwachten, knospeten, blühten, sich belaubten, Früchte ansetzten, war ihm eine innige Freude zu beob achten. Liebevoll pflegte er sie und war immer froh dabei. Dabei aber starb ihm das Weib nicht. Wenn er allein im Garten arbeitete, war er nicht allein,- denn sie war um ihn, er redete mit ihr, er pries sie eine kluge Frau, daß sie ihm seinerzeit zum Kauf ge raten. Und sie freute sich mit ihm des Blühens, Grünens, Reifens und der Ernte. Am Abend, eh er sich zur Ruhe legte, kam sie zu ihm, und sie gedachten vergangener schö ner Tage. Und er trat nie in die Kirche, ohne vorher Elsas Grab zu besuchen. Vor festlichen Zeiten sorgte er dafür, daß Elsas und Vaters Grab reich geschmückt wur den. An Sommerabenden brachte er immer noch ab und zu selbst ein Sträußchen Lack und Immergrün aus seinem Hansgärtchen. Mit dem Schicksal war er ausgesöhnt. Sein Weib lebte ihm. Sein Tagewerk gedieh. Er war zufrieden und jünger als vor Jahren. Blut strömte wieder durch seine Wangen, sein Bäuchlein setzte gut an. Und wenn er in weißer Schürze und weißem Käppchen Hinterm Ladentisch stand, dachten die Leute: „Genau, wie sein Vater, der selige Ehregott Heidorn!" Manche Jungfrau und manche junge Witfrau aber dachte anders. So ein Mann, in den besten Jahren, mit solchem Geschäft, der müßte doch ein Weib um sich haben! Das konnte Frau Alwine oft hören. Sie dachte auch selbst über diese Möglichkeit nach. Da bei handelte es sich für sie nur um eins: wär es gut für bas Kind? Könnte Johanns zweites Weib Magdas Mut ter sein oder nur eine Stiefmutter? Es kann ein Weib den guten Willen haben, aber es kann eine Kluft, wenn auch eine noch so enge, zwischen ihm und dem Kinde be stehen bleiben. „Wenn selbst der leibliche Vater sich nicht zum Kinde findet!" setzte sie bitter hinzu. Und dann schüttelte sie den Kopf: nein, raten wollte sie nicht. Das besorgten schon andere, die um Meister Heidorns Wohl gar besorgt waren. Sie suchten dem Witmann eine zweite Verehelichung schmackhaft zu machen und versuchten es mit allen Künsten. Doch ohne allen Erfolg. Johann Heidorn erwiderte immer nur: „Ich dank Euch schön für Eure Fürsorglich keit! Es ist gut gemeint, aber es geht auch so!" Zwar wich sein geliebtes Weib immer weiter von ihm, nur in seinen stillsten Stunden kehrte sie zurück, und auch da klang ihre Stimme ferner, leiser. Aber tot war sie noch nicht, und er bewahrte ihr die Treue. Es kam keine neue Herrin ins Haus. Nur hielt der Bäcker eine Magd, die seine alternde Mutter kräftig unterstützen, und, wenn sie sich als geeig net erwies, sie einmal ersetzen sollte. -»Nun war alles in bester Ordnung, und Johann Hei dorn vermißte nichts und niemanden. Die beiden alten Webersleute hatten sich tapfer ge halten. Oftmals hatte Gevatter Tod seine dürre Hand nach ihnen ausgestreckt, aber sie waren ihr entwichen. Sie woll ten leben, sie wollten ihr Enkelkind noch einmal sehen. „Und laß uns unser liebes Tochterkind noch einmal sehen!" Mit dieser Bitte schlossen sie jedes Morgen- und Abend gebet. Aber Vater Liebscher fing an zu husten. Da wußten sie, daß es zu Ende ging. Die Weberkrankheit, die „Aus- zerche", hatte sich in das kleine Häuschen geschlichen. Sie setzte sich dem Alten auf die Brust, würgte ihn, saugte ihm Blut und Kraft aus, beugte ihn und warf ihn aufs Kran kenbett. Eines Tages kam der Doktor, die Webersleute waren außer sich, das Rezept, das er ihnen schrieb, steckte die Mutter Liebscher in den Ofen. „Wie koann a ok öoas machen, dr Johann, und uns an Duchter as Haus schicken!" sagte sie und schüttelte den Kopf. Als der Doktor beim nächsten Besuche nach der Medizin fragte, erfuhr er die Wahrheit, da schüttelte er den Kopf, grüßte und ging. „Dr Elsa hoat a o sicke giftge Truppen gähn, die hoan's goar oalle gemacht! Die machen ok oalle tut die Duchter!" sagte die Webersfrau, wie er zur Tür hinaus war. Sie holte den Schäfer. Den holten sie alle bei Ab zehrung,- denn seine Sympathie war gar „vornehm"! Der alte Schäfer „maß" gern, das war sein Spezialmittel. Mit Hilfe der Mutter Liebscher hob er den Kranken aus dem Bett und legte ihn flach, mit dem Gesicht nach unten, auf die Dielen. Die Arme streckte er ihm aus. Dann maß er mit einem Strohhalm die Entfernung vom Scheitel bis zu den Füßen und von den Fingerspitzen der einen bis zu denen der anderen Hand. Das Kreuzmaß versprach Rettung, und so legten sie den matten Körper auf den Rücken. Der Schäfer faßte die Hände des Kranken und sprach: „Ich treibe die Auszehrung aus Deinem Körper, aus den Armen in die Finger, aus den Nägeln in das Meer." Dann trank der Halbtote noch ein paar Schluck Osterwasser und zwar aus der Flasche mit dem Zettel „ablaufendes Wasser". Den dazugehörigen Spruch aber konnte er nicht zu Ende sprechen, weil ein heftiger Husten anfall kam. „Ich trinke für die Allmacht, für die Gottes kraft und für die 99 Seuchen," und da war's aus, darum endete der Schäfer selbst: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen." Aber in den nächsten Tagen wurde es schlimmer. Die Suppe, die Frau Alwine brachte, konnte der arme Mann nicht mehr zu sich nehmen. Vielleicht wäre das Osterwasser zu alt gewesen, klagte die Mutter Liebscher, es sei schon zwei Jahre alt, die letz ten Ostern habe sie leider kein frisches geholt. Frau Alwine wollte jetzt keinen Streit wegen dieses Aberglaubens beginnen, sie sagte nur: „Ja, wenn Ihr kein frisches habt, da laßt's lieber!" Der Schäfer kam noch einmal und wiederholte sein Hokuspokus. Aber er konnte nicht. Er konnte nicht sterben. Eines Abends kam die Mutter Liebscher zu Heidorns gerannt und flehte Johann an, er möge nur machen, daß ihr armer Mann sterben könne. „Dr Pfoarr hoat'n bericht't, aber ar koann und koann ni starben. A wirgt und schnudert und quält sich und schmeßt sich: aber ar koann ni aus 'n Hause, 's hält'n woas. Ich hoa 'n unse ahle Bibel untern Kupp geläht, die Rubber hoan mir gehulfen 's Bette wegricken, 's Kissen hoan mir 'n untern Kuppe weggezoin: 's is oalls nischt, ar koann ni starben, 's hält 'n woas feste! Und ich hoa mich besunn, woas is! Johann, ar will sei Tochterkind namol sahn. Bies su gutt, Johann, und hilf 'n, doas a starben koann. Luß sie kumm, die Magda!"