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einem Ethos und einer Willensstärke, die aufhorchen lassen. Auch die Seebilder aus der Mark fehlen. Sie zeichnen sich schon durch einen Zug zur Konzentration aus, doch ist das reine Formgefühl auch hier noch nicht völlig zum Durchbruch gekommen. Der Kreis der Erlebnisfähigkeit erweitert sich rasch, und diese selbst wird stärker und tiefer. Dazu kommt die Schulung an großen Vorbildern und lebendiger Aus tausch. Rilke, Goethe, die Lebensbeschreibung des Götz von Berltchingen *), Shakespeare, die Freundschaft mit dem Isländer Johann Jonsson **), der indirekte Einfluß mei nes Anregers Rudolf Marx***), das sind einige der Stufen auf dem Wege zu eigener Formwerdung. Wohl ist auch einmal die Liebe zu einem Mädchen an seiner „Bildung" beteiligt, aber auf die Dauer ist sie ihm nicht „Gegenstand" genug, um daran mit allen Kräften formen und gestalten zu können. Das Ergebnis des Werdeprozesses dieser Jahre sind eine Reihe lyrischer Zyklen. Die Hauptgruppe: Bekennt nisse: Bilder: Dorf, Garten und Landschaft: Dreißigjäh riger Krieg. Es reihen sich an: Erzählende Gedichte, Studien, Hymnisches in freien Rhythmen, Liebesgedichte. Endlich füge ich hinzu seine Naturstudien in Prosa, betitelt „Tage" und die lyrischen „Skizzen aus den Nibelungen", die zum Teil als chorische Einlagen eines Dramas gedacht sind. Das Drama ist Sehnsucht und Ziel seines Strebens. Freilich — ob dramatisches Jugendgefühl dramatisch bleibt und dramatisch reine Gestalt wirb, muß sich erst noch er weisen. Gegenwärtig hat die Wendung zur Wissenschaft überhaupt einen deutlichen Strich gegen die schöpferische Provinz gezogen, und vielleicht frißt die vielgepriesene Objektivität der Wissenschaft auch diesen Kraftmenschen auf wie so manchen andern. Deshalb ist jetzt — am Ende eines sichtbaren Ab schnitts seiner Entwicklung — ein Überblick durchaus ge rechtfertigt. Und lesen wir nur eines seiner besten Ge dichte, und schriebe er nichts weiter in seinem Leben —: um eines einzigen solchen Gedichtes willen müßte er uns teuer sein. Das folgende ist mit vielen anderen zu einer Zeit entstanden, da aus dem Munde eines seiner Lehrer das Wort fiel, sein Deutsch gliche dem eines radebrechen den Ausländers. Man höre! Der Abend kam. Ein Blättern in den Bäumen. Fern an die Hügel lehnte sich der Tag. Die Sonne wollte die Alleen räumen Von ihrem Gold, das auf den Steinen lag. Die Sonnenuhren blieben langsam stehen. Das Abendrot ging an des Zeigers Rand. Wir sangen durch die dämmernden Alleen Im Heimschritt. Und im Winde trieb der Sand. Das ist die Sprache eines Dichters. Eines Stillen, eines Könners. Von dem eine Zeile mehr wiegt als die Massenprodukte unserer viel zu zahlreichen Versemacher, die sich so gern überall gedruckt sehen. Ich glaube, wir könnten stolz sein, wenn auch andere auf diese Weise in ihrer Muttersprache zu „radebrechen" verständen. *) Reclams Universalbibliothek Nr. 1556. **) OHZ. 1924, Heft 6, S. 73-74. ***) Dichtungen von Rudolf Marx fgeb. 1899 zu Bern burg in Anhalt) sind der Öffentlichkeit noch nicht zugäng lich. Wohl aber befindet sich etwas in Vorbereitung zur Herausgabe. Demgegenüber liegen vorbildliche wissenschaft liche Leistungen vor, so die treffliche Auswahl aus den Werken von I. I. Bachofen mit Kommentierung (Mutter recht und Urreligion, Kröners Taschenausgabe, Bd. 52, Leipzig 1927) und die verdienstvolle Fortsetzung und tabel larische Ergänzung der bekannten Literaturgeschichte von Karl Heinemann (Deutsche Dichtung, Kröners Taschenaus gabe, Bd. 10). 2. Ausgewählte Proben 1. Reimlose Gedichte Die Polarität des Erlebens, die wir schon in der Be handlung des Herbstes bemerkten, spiegelt sich auch in anderen seiner Dichtungen. Es ist dieses Empfinden der Dualität, der äußersten Gegensätzlichkeiten ja eine der spezifischen Erlebnisformen des Künstlers überhaupt und im besonderen auch die eines besonderen Entwicklungs alters. Ein anderes Beispiel dafür entnehme ich den älte ren reimlosen Gedichten. Da finde ich ein Frühlingslied in mehreren Fassungen. Es zeigt sich darin ein deutlicher Umschwung vom ursprünglichen Fatalismus zu einem hoffnungsfreudigen Optimismus. In der ersten Fassung lautet es: Und auch der Frühling hat seine Trübnis. Kopfschüttelnd steht so mancher Baum. Und schweigt. Erschöpft war auch die Amsel von der Fülle dieser Tage: Es war zu viel! Und morgens lag sie tot. Das ist der Frühling. Seufzend und singend gehen wir. Und greifen an die Bäume, erwartungsvoll, Wie wir nachts unsre Brust umfassen und horchen. Atmen tief den winterlichen Staub aus den Adern, So hoffnungsreich! Und morgens sind wir wie tot. Die Mitternächte schauern durch die offenen Fenster. Und lagern sich auf den Gesimsen. Es klingt wie ein Beten. Und dennoch fallen unsre vollen Wünsche Durch die Bäume hinab. Unerreichbar — ungreifbar. Und wir stehen an verlassnen Krügen, Vom Frühlingswinde entleert. Und sind stnmm. Wenn ich nur einmal die Trübnis und Erdzerrissenheit vergessen könnte, Götter! Dann wollte ich an den Gebirgen meinen Trotz zerschmettern Und mich beugen vor den Felsen, die eure Morgenwolken Und auferstehn! — (verherrlichen. Aber, wo ist der Frühling, der frohe? Immer noch schauern die Mitternächte. Und unerreichbar — ungreifbar liegt das Kommende. Wogt und waltet in dunklen Bäumen. Bis dahin quillt Blut aus meiner Brust Und vertrocknet im Frühlingswind Wie Wasser in übervollen Krügen. Demgegenüber die kürzere letzte Fassung: Das ist der Frühling. Singend und suchend gehen wir Und greifen an die Bäume, erwartungsvoll, Wie wir nachts unsre Brust umfassen. Und horchen. Atmen tief den winterlichen Staub aus den Adern, So hoffnungsreich. Und morgens sind wir wie tot. Liegen auf nächtlichen Pfühlen, Und über uns schweben die Winde durch offne Fenster. Wir lauschen. Es klingt wie ein Beten, Das der Morgen verhaucht — leise — ganz leise. Und in uns blüht ein.Ahnen auf. So groß und herrlich wie auf den Teichen Die Lilie, die sich im Wasser spiegelt Und ihre Augen zum Himmel richtet Wie wir. Dazu noch zwei andere reimlose Gedichte. Sie mögen genügen, um den Stand des damaligen Sprach- und Form empfindens, das teilweise unter dem Einfluß von Rudolf Marx steht, zu verdeutlichen. Herb st nacht Tote Herzen flattern durch die Nacht. Grau huschen sie am Wegrand hin