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glaubter Reisegelder und was man sonst so in den Wan der- und Werdejahren des Lebens zu feiern pflegt. Am 20. Juli standen wir zu dritt auf dem Bahnsteig und winkten dem lachenden Gesellen nach, als ihn der Zug entführte: Hannover, Köln. Bald schrieb er vom Rhein: „Hier ist man frei, tausendmal frei! Ach, wärst Du mit! Hier wollten wir singen!" Brüssel, Gent, Brügge —: er ist müde vom vielen Sehen. Und nun wird er nach Parts fahren, um an der Sorbonne seine Studien sortzusetzen. Ob es seine Eltern schon wissen? — Nicht lange wird es dauern, so werden wir uns drüben begegnen. Doch vor erst will ich seine Manuskripte aus den letzten Jahren, die er mir zur Aufbewahrung und teilweisen Veröffentlichung übergeben hat, einmal ausstöbern. Die älteren Sachen lie gen wohl daheim hinter Schloß und Riegel, den Augen der Seinen verborgen. — Ja, ja, so ist er! „Ich gehe meinen Weg. Ich muß. Ich muß als Heimatloser meine Lieder singen Und heimatlos vergehen wie der Wind im Tal. O Mutter, — weine nicht!" Ein Heimatloser, und doch einer der Unseren, mehr als mancher, der die Scholle nie verlassen hat. Und die Lausitz soll jetzt etwas von ihm hören. Wie der daheim mit seinen Bärenkräften in die Stöcke wuchtete, daß die Fetzen flogen, und dabet alle Teufel zur Hölle wünschte, oder fluchend mit der Axt erschlug, wie in seinen Händen mehr als ein morscher Sensenwurf, der dem bedächtigen Bauern noch Jahre gedient hätte, wie ein Strohhalm knickte, keineswegs etwa aus Ungeschicklichkeit, so krachten auch die alten Bänke in den Hörsälen der Leip ziger Universität. Alles war ihm zu eng, alles zu gebrech lich. Bald erwies sich der Tisch in seiner Wohnung als zu schwach gebaut, bald ein Stuhl oder sonst ein Möbel stück. Und wenn er von seinem neusten Pech erzählte, die leere Brieftasche beklopfte und so ganz aus vollem Herzen lachte, ja, dann wurde einem klar: Mitteleuropa und mitteleuropäische Verhältnisse scheinen für solche Naturen ebensoungeeignet wie gewöhnliche Möbel. Und doch ist er einer der Unfern. „In meinem Herzen ist das Heimweh eingezogen, Das mit dem Winde von den Bergen kam" — beginnt eines seiner Gedichte. Wie er verwachsen ist mit Dorf und Landschaft und den Schicksalen ihrer Bewohner wird uns bei mancher der folgenden Proben zur Gewiß heit werden, wenn es uns nicht etwa beim ersten und zweiten Lesen entgeht —; denn seine „Gebilde" sind emporgeläutert ins Allgemeine. Sein Alter? Zwischen zwetundzwanzig und dreiund zwanzig. Ich vergesse seinen Geburtstag stets von einem Jahr zum andern wie er den meinen auch. Gewisse Pro vinzen unseres Innern kennen wir besser als Äußerlich keiten. Wen aber Außeres mehr interessieren sollte, dem sei gesagt: der charakteristische Schubertkopf wird sich ihm sofort einprägen, hat er ihn einmal gesehen. Und nun zum Werk. Von seinen frühen Versuchen hab ich nicht sehr viel da. Ganz fehlen die Gedichte, die unter dem Einfluß Dahuscher Geschichtsrvmane und von Balladen ähnlicher Prägung entstanden sind. Es fehlt auch das erfolgreiche Spiel nach Hans Sachs, eine Schüler arbeit, Enöredaktion aus drei Entwürfen, seinem eigenen und dem zweier Mitschüler. Wenn ich nicht irre, wurde es seinerzeit mit gutem Erfolge von der Schülergruppe selbst zu einem Dorffest in Malsitz aufgeführt. Die zeitlich früheste Stilprobe entnehme ich einer reizenden Phantasterei aus dem Herbst 1028, überschrieben „Herbst" mit dem Untertitel „Märchen". Ich gebe zunächst den Anfang. „Der weiße Morgenvogel saß auf den blauen Tannen im Grunde und wartete auf Sunna, die goldene Frau. , Im Tal zogen die Dämmerungsgeister ihre Bahnen. Sie - flogen geheime Kreise über die Kornfelder und schwebten - über dem Bergwalde hin und wieder. Und unten im Bach träumten die Wasserelfen, und die Quelljungfrau raunte Bittverse für die sommerliche Erde. Tief atmeten die Tannen, und die Kinder reckten sich im Frühschlaf. — Der Morgen kam. Im Osten zeigte sich ein lichter Schein; Frau Sunna rüstete sich zur Eröenfahrt. Langsam stieg sie hinter den Blautannen herauf. Und über Wald und Feld breitete sich ein violenes Frührot. Der Morgenvogel breitete seine Silberschwingen aus und stieg zur Königsburg auf. Da erhoben sich die weißen Nebelkühe von der Tal weide und schritten bedachtsam durch den Bergwald in den Nebelhof." Und ein paar Zeilen aus der Mitte. „Die Ameisen wanderten über die blanken Nadel wege. Die Vöglein pfiffen im Laub. Und die Hojomänn- lein riefen, die hohle Hand am Mund, in den Busch hin ein ihr frisches „Hojo! hojojojojooooo!" An den Wald schlossen sich dje weiten Wiesenauen, und an sie grenzten die Länder der Korn- und Weizen geister. Sie hatten sich weit im Tale ausgedehnt. Durch die hohen goldgelben Halmwälder wogten die Windalben gern. Und mit den Kornleuten hatten sie immer zu flü stern und zu tuscheln. Wie ein goldschäumendes Meer war das Tal anzusehen. Und darüberhtn gaukelten die Buttervögel mit zitronengelben Flügeln und neckten sich. Dazwischen rief die Wachtel ihr „Purpurrot, purpurrot!" und sah dabei auf die Mohnblumen, die zwischen den Gräsern schaukelten. Und am Bach standen tiefblaue Li bellen und träumten über den Spiegelwellen, die durch das Gras trällerten." Noch leidet zwar die Gesamtkomposition unter dem Überreichtum an Phantasie, noch wird die Einfachheit klarer Linienführung von buntem Nankenwerk über wuchert, aber schon bezaubert uns, wenn wir diesen Herbst tag von Morgen bis Mitternacht mit durchleben, nicht nur der Dichter, sondern auch der Maler, der Musiker, der Naturfreund. — Märchenlektüre, Märchenbilder, Reigen spiele, Richard Wagner, deutsche Heldensage —: an all das wird man erinnert, aber alles das erklärt uns nicht das Bindende, das Eigene und Eigentümliche, das dieses Gebilde hervortrieb; den Schlüssel bildet das tiefe Herbst erlebnis eines Naturkindes. Ist hier alles in leuchtende Farben getaucht und voll festlicher Freude, regiert dieses Reich Sunna, die goldene Frau, so kehrt das gleiche Thema ein Jahr später mit ganz verändertem Gehalt wieder, nämlich mit dem Motiv Sterben, Tod, Begräbnis. Ich finde diesen „Herbst ohne Seele" nicht unter den Blättern und Heften, aber ich spüre noch heute den Schauer und das Grausen, das mich einst überrieselte, ich besinne mich noch auf den stamp fenden Rhythmus der Verse, eintönig und hohl gesungen von den Geistern, die den Sarg begleiteten, und bei der Erinnerung an jene unerbittliche Monotonie fallen mir ein paar von jenen Strophen ein: Wir fahren, fahren, fahren. Wir fahren Furchen breit, Wir fahren und bewahren Stets unsre Grausamkeit. Wir treten, treten, treten. Wir treten tiefe Spur, Wir treten mit Gebeten Den Geist aus der Natur. In Gedichten wird später der Herbst noch mannigfach variiert. Was ich weiterhin unter den Manuskripten vermisse, sind die ersten titanischen Hymnen — sein Kampf mit dem Teufel —, noch nicht formsicher, etwas breit, aber von