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reiten und den damaligen Barockgeschmack kennen zu ler nen. Nach Beendigung seiner Lehrzeit wurde er vom König berufen, an der Neueinrichtung des Grünen Ge wölbes in Dresden Beistand zu leisten. 1731 wurde er nach Meißen gesandt zur Unterstützung Herolds, des da maligen Leiters der Porzellanmanufaktur. 1733 erhielt Kändler das Amt und den Titel eines „verpflichteten Modellmeisters". Um 1740 wurde er zum Letter der pla stischen Abteilung und 1749 zum Hofkommtssar ernannt. In der Zeit des 1786 ausbrechenden Siebenjährigen Krie ges wäre die Meißner Manufaktur beinahe unter den Lasten des Krieges zusammengebrochen. Friedrich der Große, der ein Liebhaber von Meißner Porzellan war, beschlagnahmte die Vorräte der Fabrik, ließ bas Beste heraussuchen und nach Berlin senden. Die Fabrik wurde zunächst geschlossen und für 120 000 Taler an einen preu ßischen Armeelieferanten verkauft. Dieser verkaufte die Vorräte für 170 000 Taler an eine sächsische Gesellschaft, die in seinem Namen die Fabrik weiterführte. Dieser Armeelieferant erhielt die Genehmigung, den Betrieb auf recht zu erhalten für eine jährliche Pachtsumme von 24 000 Talern. Friedrich der Große kaufte jedoch auch ziemlich viel Porzellan in Meißen. Ein Aktenstück gibt uns an, daß der König im Jahre 1745 allein für 283 679 Taler Porzellan in Meißen erworben hat, gewiß eine stattliche Summe für eine Liebhaberei. Die bedeutendste Bestellung, die der König machte, war jedoch der Auftrag für Anferti gung von sechs kostbaren Tafelservices, zu denen er die Zeichnungen persönlich herstellte und sie an Kändler über gab. Kändler scheint überhaupt die Achtung und Anerken nung Friedrichs des Großen besessen zu haben,- denn im Jahre 1761 hat ihm der König preußische Dienste ange boten. Kändler jedoch lehnte ab. Der alternde Kändler war mit der Mode und dem Zeitgeschmack nicht im gleichen Schritt mitgegangen. 1764 ist darum sein Stern im Erbleichen. Sein Einfluß, der bis zu seinem Tode freilich nie ganz schwand, ging zu rück. Ein Franzose, Michel Viktor Acier, wurde aus Paris berufen, (welcher das?aufkommenöe l^ouiz 8eiro besser beherrschte. In seinen letzten Jahren finden wir Johann Joachim Kändler in Dresden, mo schon damals Beamte ihre Ruhe jahre gern zu beschließen pflegten. Hier ist er 1775 am 17. Mai gestorben. Wie groß die künstlerische Begabung und künstlerische Bedeutung dieses großen Oberlausitzers gewesen sein muß, ersieht man aus einer Darstellung eines Münchner Kunst gelehrten des vorigen Jahrhunderts, der die — freilich durchaus irrige — Anschauung vertrat, daß das Rokoko in Meißen und Dresden entstanden und von Hier aus erst nach Paris gekommen sei. „Das eigentliche Rokoko ward geboren nicht in Paris, sondern in Dresden, dem Ursitze alles Zopfes. Dort ward es unter dem allgemeinen Ein fluß der laxen Sitten der Zeit, aber auch unter den spe ziellen der Porzellanfabrik, die ungeheuer aufgeblüht war, an dem üppigen Hofe Augusts des Starken und seines Nachfolgers gezogen und gepflegt, von dorther durch eine sächsische Prinzessin (es handelt sich um Maria Josepha von Sachsen, die Gemahlin des Dauphins Ludwig, des Sohnes Ludwig des Fünfzehnten, der 1765 starbj und deren Porzellangerät nach Versailles verpflanzt, wo es seiner höchsten Kultur entgegenreifte." (Semper, Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, München 1879.) Wenn diese Anschauung auch stark über das Ziel hinausgeht, so ist es doch richtig, daß die Blütezeit des Rokoko mit der Blütezeit des Porzellans zusammenfällt. Freilich war nicht der Porzellanstil, den Kändler schuf, die Ursache des Rokokos. Aber man muß gestehen, daß das Rokoko ohne das Porzellan nicht denkbar wäre, und , diese zierlich-kecke, graziöse, übermütige Kunst hat die ganze Zeit, als deren wesentlicher Ausdruck sie zu be trachten ist, entschieden befruchtet. Im 17. Jahrhundert hatten die Portugiesen und Hol länder das Porzellan aus Ostasien nach Europa gebracht, und bald war dieses Erzeugnis einer exotischen Kultur, das als fremd und mit Sem Schimmer des Geheimnis vollen umsponnen empfunden wurde, allgemein beliebt und gesammelt. Die Wertschätzung stieg ins Ungemessene. Man bewertete es wie Gold. Riesige Goldsummen wan derten ins Ausland für einzelne kostbare Stücke. Ja, man verkaufte sogar Landeskinder als Soldaten, um einige Vasen des seltenen Porzellans erhalten zu können. Es war darum eine große Tat, auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht, als Böttger 1708-09 unter Benutzung der Ergeb nisse von Tschirnhausen, einem sächsischen gelehrten Edel- manne, das Porzellan erfand. Der künstlerische Aufschwung der Manufaktur erfolgte jedoch erst unter der Leitung von Herold und Kändler. Herold hat das Verdienst, die Farb gebung des Porzellans auf die Höhe gebracht zu haben (besonders erfand er das Geheimnis der Unterglasur farben), während Kändler sich der plastischen Gestaltung annahm. Als Kändler im Jahre 1781 nach Meißen kam, arbeitete er zunächst im Stile der Großplastik, die er in Dresden bei Thomas und Pöppelmann getrieben hatte, weiter. Er modellierte lebensgroße Tierfiguren, Apostel in Lebensgröße nach italienischen Stichen, einen riesigen Kalvarienberg mit vielen Personen. Er stand noch auf dem Standpunkte, daß sich aus Porzellan alles Herstellen lasse. Dies war jedoch schon rein praktisch nicht möglich, da diese großen Stücke in zwei Teilen gebrannt werben mußten. Erst Schritt für Schritt gelangte er zu dem Ge biete, in dem er sich in genialer und nicht mehr von seinen Nachfolgern erreichten Weise schöpferisch betätigte: der Kleinplästik. Auf dem Gebiete der Kleinplastik hat nun Kändler Werke geschaffen, die stets zu den schönsten und größten der Kunstgeschichte gezählt werden müssen. Es sind jene reizenden Genrefiguren, die uns sofort ins Gedächtnis treten, wenn wir den Namen Meißner Porzellan hören, und die so ganz der inneren Möglichkeit des Materials entsprechen. Seine Vorbilder für diese Arbeiten gewann Kändler aus dem deutschen Silbergerätstil des Barock, der üppig blühte, und aus französischen Ornamentstichen. „Hier hat er aus der Verbindung von Ornament, Gerät und Figur das Gefühl für die miniaturhafte Größe seiner Gestalten unbewußt in sich ausgenommen. So wird er all mählich einer der genialsten Kleinplastiker aller Zeiten, nicht nur, weil er zufällig seine Schöpfungen aus der Er habenheit und Würde einer idealen Welt überträgt in eine Sphäre liebenswürdiger Anmut, der Koketterie des Theaters, des Spieles und des Tanzes." (Georg Lill, Deutsche Plastik, Berlin 1925.) Eine Verzierlichung der Formen trat ein. Die großen schwungvoll-beseelten Linien, die dem Barock jenes Pathos geben, das uns er hebt beim Beschauen eines barocken Kunstwerkes, wandel ten sich in die zierlichen, galanten des Rokoko. Diese Rich tung beginnt im Schaffen Kändlers sich um 1740 bemerk bar zu machen. In diesen Jahren entstanden wunder volle Krinolingruppen, deren bekannteste die Gruppe ist, die August den Zweiten und seine Gemahlin als Sänger paar zeigt. Der König tritt auf als griechischer Sänger in einem phantastischen Kostüm, das reich mit Vergoldungen geschmückt ist. Die Königin trägt die Tracht der Zeit: einen weiten Reifrock, ein schlankes, schwarzes Mieder. Die Bemalung, teils in Überglasurfarben (rot und schwarz), teils in Unterglasurfarben ausgeftthrt, unterstützt in feingeftthlter Abtönung den Schwung der Linien. Die Bemalung bei den Genrefiguren drängt sich überhaupt nie auf. Immer hält sie sich diskret zurück. Nie erstickt die Farbe die Form. Der weiße Porzellanton schimmert immer durch.