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Nr. 21 Gberlaufltzer Helmatzsttuncr S23 Als er ihr alles gesagt, was er auf dem Herzen gehabt i hatte, stellte er das Bild auf seinen Nachttisch, nickte ihm ! zu und ging hinunter. Sein leichterer Schritt, seine straf fere Haltung, sein helleres Auge verrieten, daß ihn die Stunde gekräftigt hatte. „Fritz!" rief er im Hausflur seinem Lehrbuben zu. „Es geht los! Bring mir Milch und Zucker!" Der Bube sprang. Auch ihm ging die Arbeit leichter von der Hand, seit er wieder ein freundliches Wort ver nahm. Johann Heidorn wollte wieder leben. Mit ihm sein Haus. Er mied es nicht mehr, zeitig kam er wieder von den Brotfuhren zurück. Auch saß er nach der Mahlzeit gern noch ein Weilchen am Tisch auf dem Sofa, ließ sich erzählen oder berichtete selbst, was er unter wegs erlebt und gehört hatte, sprach sich über die Neuig keiten der Zeitung aus, nahm Stellung dafür oder dagegen. Frei konnte er sich im Hause bewegen, nirgends be gegnete er dem Tode seiner Frau. Aber die Lebende begegnete ihm überall. Sie lächelte ihm als Braut vom Bilde an der Wand an. Sie grüßte ihn durch den von ihrer Hand gestickten Spruch. Sie er innerte ihn durch allerlei Kleinigkeiten an frohe Stunden. Er nahm sich die Zeit, nm den Roman „Glückliche Menschen" ihres großen Landsmannes Wilhelm von Po lenz — eines ihrer sorgfältig ausgewählten Weihnachts geschenke — wieder dnrchzulesen. Und er und Elsa waren die glücklichen Menschen. Frau Alwine aber wurde alt. Ihr Haar ergraute rascher. Trotz der Veränderung, die sie in Johanns Wesen sich vollziehen sah, wurde sie nie mehr recht froh. Die Ge rüchte, die man natürlich geflissentlich auch an ihr Ohr ge langen ließ, taten ihr weh. Doch sie verstummten nach und nach. Neue Geschehnisse beschäftigten die Gemüter, und die Geschichte von Heidorn und seinem Kinde sanken sacht ins ! Reich der Vergessenheit. Überempfindliche, die, um nicht : mit dem unnatürlichen Vater in Berührung zu kommen, - monatelang das Bäckerhaus nicht betreten hatten, fanden ! sich wieder als Kunden ein. Nein, etwas anderes nagte an s der Seele der Frau: sie zweifelte daran, daß die Fort- j gäbe des Kindes das Rechte gewesen sei, sie machte sich ; Borwürfe, daß sie Johann damals so schnell gefolgt hatte. ! Jener Schritt hatte eine zwiefache Wirkung, eine wohl tätige auf den Gemütszustand Johanns, aber auch eine ge fährliche auf das Verhältnis des Vaters zum Kinde. Al wine hatte geglaubt, daß in Johann nach Überwindung seiner Krise die Sehnsucht nach dem Kinde erwachen würde, und nun wartete sie und wartete.... Was sollte nun werden? Die Schwester schrieb oft und, wie Frau Alwine aus drücklich gewünscht hatte, ausführlich. Die Berichte über Magdas Befinden stellten die Großmutter zufrieden. Das Kind gedieh ganz prächtig, nahm gleichmäßig an Gewicht zu, und auch geistig schien es sich recht gut zu entwickeln. „Ach, und lachen kann der kleine Schlingel! Wenn ich Krabbel-—krabbel—Mäuschen mache, kichert sie, daß ich sel ber Tränen lachen muß. Und gescheit ist sie auch schon. Einen Fremden erforscht sie mit ernster Miene, sie läßt sich nicht mit jedem ein. Trete ich aber zu ihr oder die Magd, gleich lacht sie über's ganze Gesicht, fuchtelt mit den Ärmchen, strampelt mit den Beinen, daß der Korb guarrt. Das neueste: seit gestern sitzt sie allein, und wenn sie so aufrecht sitzt, da tut sie sich was und strahlt und guckt. Jeden Schritt, jeden Handgriff verfolgt sie." Solche Briefe machten die Großmutter wieder froh, und sie. ging zu Liebschers und las sie vor. „Nee, ach Gutt nee! Sitzen tut sie o schunn! Dr liebe Gutt behittse!" rief dann Mutter Liebscher und wischte sich eine Freudenträne vom Auge. Auch Johann las die Briefe aus Holzminden mit warmer Teilnahme. „Na, das ist schön!" bemerkte er ge ¬ wöhnlich, wenn er einen wieder zusammenlegte und im Wandschränkchen verschloß. Er sorgte auch dafür, daß die treue Pflegemutter gut entschädigt wurde, öfter ging ein Kistchen mit Kuchen, Stollen, Zwieback nach Holzminden ab. Er dachte daran, daß das Kind Wäsche brauchte. „Wenn wir in die Stadt fahren, möchten wir wohl wieder Stoff für Kinderwäsche und -kleider kaufen." Die Briefe aber ließ er meist die Mutter schreiben. Schreiben sei nicht seine Sache, das brächte sie besser, sagte er, und er fügte dann höchstens noch ein paar trockene Bemerkungen hinzu, etwa: die Muhme soll ja jede Ausgabe aufschreiben, jeden Wunsch offen Mitteilen, sie solle ja nicht neben ihrer Mühe auch noch Schaden haben, und er wünsche, daß sie beide, die Muhme und das Kind weiter gut miteinander auskämen. Warme Teilnahme, aber nicht mehr. Frau Alwine wartete und wartete. Wann würde ein mal der Vater sprechen? Es meldete später einmal ein Bries, daß Magda sehr unruhig sei, fiebere, kaum Nahrung zu sich nähme, sie scheine schwer zu zahnen. „Na, das wird wohl wieder vorübergehen," sagte Johann. Seine Mutter war enttäuscht durch diese Worte. Was ganz anderes glaubte sie vom Vater hören zu müssen. „Das Zahnen nimmt die kleinen Wesen manchmal arg mit!" erwiderte sie und fügte Hinzu, daß bet manchen Kindern dabei auch Krämpfe einträten, die sie in Lebens gefahr brächten. „So. Na, sie soll ja den Arzt nehmen. Schreib ihr das nur gleich! — Sorge Dich aber nicht, Mutter, das Kind ist ja kräftig, warum soll es denn das nicht überstehen!" Am nächsten Morgen traf eine Karte ein, die im Tele grammstil vermeldete: „Eben den ersten Zahn entdeckt. Magda wieder wohl." „Na also, sagt ich's nicht!" Was für ein wichtiges Ereignis ist das, der erste Zahn. Wie jubeln da die Eltern. In Frau Alwine aber kam die Freude nicht auf gegen den Schmerz, den sie über die Verwaisung ihres Enkelchens immer heftiger empfand. Wann brach der Heimwehschrei nach dem Kinde aus des Vaters Brüst? Nie, uie! Das wurde ihr zur traurigen Gewißheit. Die Trennung, die die Stimme der Natur in Johanns Brnst wecken sollte, hatte die gegenteilige Wirkung: Der Vater gewöhnte sich an diesen Zustand wie das ahnungs lose Kind. Er vermißte es nicht, es genügte ihm, es gut versorgt zu wissen. Frau Alwine bat die Schwester, das Kind photogra phieren zu lassen, und das Bild traf zu Johanns nächsten Geburtstag eia. Die Großmutter schwärmte für das hell äugige, liebe Wesen, das an einem Stühlchen stand und im kleinen Händchen eine Puppe beim Schopfe hielt. Sie schwärmte — aber der Vater lachte nur, nannte das Bild „wirklich drollig" und tat es dann zu den Briefen ins Wandschränkchen. Da schalt sich Frau Alwine verbrecherisch leichtsinnig. Mutter Liebscher fragte einmal: „Nu, hoat Johann noa ni amol su geton ich meene, oas wenn a sei Kindel heem hoan mechte?" Frau Alwine schüttelte traurig den Kopf und sagte: „Es wirb wohl noch kommen!" „Kee Wurt? — Hm! Su woas! Su woaS!" * Es wechselten Monde. Es wechselten Jahre. Die Großmutter gehörte der kleinen Magda, sie sorgte aus der Ferne um sie. Sie fuhr auch, obgleich ihr das Rei sen nun beschwerlicher fiel, nach dem Weserlande, um kurze Tage bei ihrem Enkelkinöe zu sein. (Schlutz folgt.)