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700 Jahre Bischofswerda Bischofswerda, 5. September 1927. Über der Stadt mit dem blau-goldenen Krummstab- wappen der blau-goldene Sommerhtmmel — das Fest muß gelingen, zu dem der Himmel selber in den Stadtfarben flaggt. Der zweite Grund so wundervollen Gelingens aber in die Lausitzer Heimatliebe. Die Lausitzer sind ein Völkchen für sich in unserem Sachsenlande, sie haben ihre eigene Sprache: sie quirlen. An dem Quirlen erkennen sie ein ander in aller Welt, und von dem Quirlen kommt die Heimatliebe. In Bischofswerda hebt es an, und damit die Heimatliebe so besonderer Art. Die dritte Ursach' endlich, die das Fest gelingen ließ, ist die ungeschminkte Ehrlich keit, die schlichte Herzlichkeit in allem, das geboten ward. Kein Prunken und Protzen, kein Auf- und übertrumpfen, sondern kluges Maß- und Haushalten, daß der oft schon von höchsten Stellen erhobene Borwurf, wir seien gar zu ausstellungs-, versammluugs- und jubiläumssreudig, in Bischofswerdas 700-Jahrfeier keine Stütze fand. Ein Hei matfest also von vorbildlicher Bedeutung. Musterhaft waren schon die Vorbereitungen und Einleitung. Wer am Sonnabend nachmittag ankam, der hatte schon die wunderschöne Einladung mit dem prächtigen Bild des alten Torturmes und den warmherzigen Versen von Mar garete Ktichler, sowie eine vorläufige Festordnung in den Händen. Ein frischer Wind ließ viele hundert bunte Fah nen und Fähnchen und die bunten Kleider der jungen Mädchen fröhlich flattern, die, von den Schulern der höhe ren Lehranstalten ritterlich geleitet, Festzeichen, Festorh- nungen und Festpostkarten zum Kauf anboten. Eine be sonders wertvolle Gabe aber war die Festausgabe des „Sächsischen Erzählers", die Zeitung von Bischofswerda. Sie vertrat in hochgelungener Form die Stelle der Fest schrift. War man, mit alle dem versehen, jenseits der Wesenitz durchs täuschend wieder errichtete, mit Stadtsoldaten von Anno dazumal besetzte Badertor unter Vorautritt der Stadtkapelle auf den Markt gelangt, so staunte man ob der großen Festpodien, ob des Schaufensterschmuckes, der die Siebenhundert und das Stadtwappen in allen Varia tionen, von Wolle bis zu Pralinen und schmucken Wand tellern zeigten. Man staunte über das Menschengewoge und über den musterhaften Ordnungsdienst durch Polizei und Feuerwehr, die allen Durchgangsverkehr um die Stadt herum leiteten. Man ergötzte sich an dem Konzert der ganz vortrefflichen Stadtkapelle unter A. Gierth und wanderte abends 7 Uhr zum Kirchenkonzert in die Hauptkirche. Das 1818 geweihte Gotteshaus (das alte hatten die Franzosen 1813 samt der ganzen Stadt niedergebrannt), ist ein Muster beispiel der klassizistischeu Bauweise jener Zeit und zu gleich das Meisterwerk des Hofbaumeisters Thormeyer. Organist Lösche betätigte sich mit einem Sonatensatz von Rheinberger und verschiedenen Begleitungen als ein be gabter, geschmackvoller Herrscher des königlichen Instru ments. Die Kantoreigesellschaft unter Olfred Hillmann sang einen dankbaren achtstimmigen Chor von Gustav Jansen und die gar nicht leichte Kantate „Halleluja, lobet den Herrn" von Albert Becker mit schönen, reinen Stim men tadellos sicher und sorgsam abgetönt. Die. Soli der Kantate waren bei den Damen Ilse Vjörnstad, Ellen Bergmann, Herren Ernst Nvack, Kurt Löffler in besten Händen, und die drei zuerst Genannten bewiesen auch mit Solinummern von Schubert und Himmel schönen Stimm besitz und verständnisvollen Vortrag. Das Orchester zur Kantate stellte mit bestem Gelingen die Stadtkapelle. Vom Gotteshaus zum Heimatabend im Schützenhaus und in der „Goldenen Sonne". In bc.iden Sälen ward das selbe Programm geboten, nur mit dem Unterschied, daß hier Bürgermeister Müller und dort Stadtrat Zimmer mann Kommersleiter waren, den schönen Prolog von Margarete Küchler hier Frl. Bredow, dort Frl. Schmidt sprachen und die Darbietungen der vereinigten Gesang vereine M.-G.-V. „Liedertafel", Männergesangverein und Militärgesangverein, hier Kantoren Richter und Hillmann, dort Oberlehrer Mehlhose leiteten. Der Oberschulchor bot unter Studicnrat Striegler das alte, liebe „Traute Hei mat meiner Lieben" und „O Heimatland, wie bist du schön", eine vom Dirigenten für den Tag geschaffene schlichte Heimatweise, und auch die Männerchöre sangen von Jugend und Heimat. Der Turnverein von 1848, der Verein Jahn, die Jahn-Gemeinde zeigten mit Freiübungen der Turne rinnen und Turner, Keulenübungen der Damen, Kür übungen der Vorturner am Reck und einer tänzerischen Einzelstudie eines jungen Mädchens, daß man das Neueste vom Neuen in Bischofsweröp kennt. Sogar der „Medi zinball" und eine Florettschule fehlten nicht. Die Bischofs werdaer Landsmannschaft Dresden grüßte die Heimat stadt mit einem sinnvollen Borspruch durch Frl. Schaff rath. Die Ansprachen der Kommersleiter beschränkten sich in vorbildlicher Weise auf das Nötigste. Die Veranstaltungen, die innerlich am tiefsten beweg ten, brachte der S o n n t a g v o r m i t t a g. Schon nach 8 Uhr Läuten, Turmblasen, Wecken. Dann aber die Krie- gergedächtntsfeier. Morgens halb 8 Uhr sammelten sich vor der Volks schule an dem schlichten Obelisken von 1870-71 schon Ab ordnungen der Militär-, Gesang-, Schützen- und Turn vereine, der Feuerwehr, des Stahlhelms, Jungdeutscher Orden, der Oberschule, der Gesellschaft „Frohsinn", der „Junggesellen-Fraternitat" von 1618 und der Bischofs werdaer Landsmannschaft Dresden. Tief zu Herzen gehende, aber männlich starke Worte sprach Pfarrer Müller. Stadt und Landsmannschaft legten Kränze nieder. Dann zog man zum neuen Kriegerdenkmal am alten Friedhof. „Wie sic so sanft ruh'n" stimmten die Sänger an. Dann wies der gleiche Redner hin auf die erschütternde Sprache dieses Gedenksteines: damals drei, hier dreihundert Tote. Auf zwölf ehernen Tafeln sind ihre Namen verzeichnet. Kirchenparade und F e st g o t t e s d i e n st be wiesen, daß Bischofswerda wirklich noch eine Kirchgemeinde ist. Die Fahnen auf dem Altarplatz, die Vertreter aller Behörden, das volle Gotteshaus — alles bezeugte es. Den Text, der beim Heimatfest 1913 als erstes Schriftwort ver lesen worden ist, die Worte 5. Mos. 32 von dem Herrn, der der Fels ist in allen Stürmen, hatte Pfarrer Semm "für die Festpredtgt zur 700-Jahrfeier gewählt. Erinne rungen aus der Geschichte des Gotteshauses, ans dem Leben des einzelnen, der in der Stadt geboren, flocht er ein. Zur Mittagsstunde folgte im Festsaale der großzügig gestalteten Oberschule der offizielle weltliche Festakt, die Begrüßung. Nachdem der Oberschulchor unter Stu dienrat Striegler den machtvollen siebenstimmigen Chor über „Nun danket alle Gott" von Liszt, an der Orgel von Oberlehrer Mehlhose begleitet, zu starker Wirkung ge bracht hatte, konnte Bürgermeister Müller eine hochansehn liche Versammlung begrüßen: als Vertreter des Gesamt ministeriums Ministerialdirektor Dr. Schulze, ferner Kreishauptmann Richter, Amtshauptmann Jungmann, Vertreter der Justiz, der Reichsbahn, der Reichspost, der Zollbehörden, des Finanzamts, der Ober- und Volks schule, der Nachbarstädte, der Innungen. Vom Ernst der Zeit sprach der Redner, der eigentlich das Festefeiern ver biete. Aber eine urkundlich belegte 700-Jahrfeier dürfe wohl eine Ausnahme machen. Ein geschichtlicher Rückblick und ein hoffnungsvoller Ausblick bildeten weiterhin den Inhalt der Rede und der Gedanke, wie ein rechtes Heimat fest die Liebe zur angestammten Scholle und das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärke. Auch Ministerialdirektor Dr. Schulze streifte den Gedanken der Berechtigung der