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Es kam die Vogelhochzeit. In Heidorns Schaufenster ivar eine lange Reihe Häschen und Schäfchen aufmarschiert. Braune, der Rücken weiß bezuckert, um den Hals ein blaues ober rotes Band. Mit ihren schwarzen Rvsinenaugen guck ten sie die Jungen und die Mädels, die draußen sich an s Fenster drängten, freundlich an und sagten: „Na, setzt nur diese Nacht einen großen Teller vor die Tür! Morgen früh sehen wir uns wieder!" Das wollten sie schon machen, die Kinder, und jedes suchte sich ein Lämmchen aus oder ein Schäfchen und dazu ein Dutzend Brezeln. Lange standen sie, bis sie von den Flocken, die weich und still herniederfielen, selbst ganz be zuckert waren wie des Bäckers Tierchen. Dann stampften sie durch den Schnee heim. Sie konnten es nicht erwarten, bis es dunkelte, um den Teller hinauszustellen. Die Mütter machten alle den Weg zu Heidorns. Die Türklingel kam den ganzen Nachmittag nicht zur Ruhe. Frau Alwine bediente die Leute. Da sie aber gar nie in die Stube kommen und ruhen konnte, löste die junge Frau sie ab. Die ließ sich, obgleich ihr das Bücken und Heben schwerste!, nicht zurückweisen. Sie freute sich, wie das Ge schäft blühte. Johann war zeitiger ausgefahren als sonst, er hatte nicht nur Brotlaibe, sondern auch mehrere Körbe mit Bogelhochzeitsgaben im Schlitten mitgenommen. Er kam auf der freien Straße schwer vorwärts, da in der Nacht sich hohe Schneewehen darübergelegt hatten. Und es dusterte schon stark, als sich sein Gefährt heim wärts wandte. Er ließ dem Braunen Zeit, der hatte heute nichts zu lachen gehabt. Bei jedem Schritte nickte er müde mit dem Kopfe. Die Glocke am Kumt läutete in trägem Rhythmus durch den stummen Winterabend. Der Kutscher im dicken Schafpelz stampfte ab und zu mit den Füßen, weil es kalt war. Sonst war er aber gut gelaunt, er summte eine lustige Melodie für sich hin. Und seine Gedanken weilten bei der nächsten Vogelhochzeit. Da wollte er ein Lämmchen backen, ein ganz Extraes, noch einmal so groß wie die gewöhnlichen, und ein Fleisch sollte es haben, gelb von Ei und süß und mit Rosinen ge spickt. Das wollte er dann seinem Söhnlein oder Töchter lein auf den Teller stellen. Bei solchen lieblichen Gedanken wurde dem Bäcker der Weg nicht zu lang. Auf einmal ruckte der Braune an und ging in mäßigen Trab. „Nanu!" sagte Johann. Wie er sich emporrichtete, flimmerten ihm heimische Lichter entgegen. Sie fuhren ins Dorf ein. Hier hatte der Schneepflug Bahn gemacht, und bas Pferd blieb in Trab, bis es in den Hof cinbog. Als Johann es abschirrte, kam der Lehrjunge heraus gesprungen, der Meister solle gleich hereinkommen. „Was ist denn?" „Ich glaube, wegen der Frau Meistern. — Ich schirr ab." Johann eilte ins Hans. In der Stube war's finster, und er wollte die Tür eben wieder ins Schloß werfen und hinauf in die Kammer stürzen, als ein lautes schmerzliches Stöhnen aus dem Dunkeln ihn zusammenschrecken ließ. „Elsa!" rief er. „Ja. Komm, Johann, mach Licht!" sagte seine Mutter mit gedämpfter Stimme. Er schleppte sich mit steifen Gliedern nach dem Tische. „Um Gottes Willen, was ist denn?" Als er aber ein Streichholz entzündet hatte, sah er's: Elsa lag vor dem Sofa auf der Diele, und die Mutter kniete neben ihr. Er brannte die Lampe an und sprang hinzu, um Hilfe zu leisten. „Vorsicht!" mahnte die Mutter, die sich Mühe gab, ruhig zu bleiben. „Schließ die Fensterläden!" Er folgte und kehrte sofort zurück. „Wo ist die Bademutter?" fragte er. Da ein neues Aufstöhnen seiner Frau, daß es ihm durch alle Glieder fuhr. Ratlos wie ein Kind lief er um die beiden herum. „Wo ist die Bademutter?" „Ich habe nach ihr geschickt. Lauf ihr entgegen!" Er lief, kehrte aber unter der Tür um. „Wir wollen sie erst aufheben." „Nein. Geh, Johann, sie muß augenblicklich —" Er war schon hinaus. Keuchend stampfte er einen ver schneiten Fußweg hin. „Wo bleibt Ihr denn, zum Donnerwetter!" fuhr er eine schwarze Gestalt an, die ihm entgegenkeuchte. Als sie nach wenigen Minuten ins Bäckerhaus ein traten, drang ihnen eine quäkende Stimme entgegen. Sie traf den Mann wie ein Schlag. Und was nun kam, flackerte an seiner Seele vorüber, ohne den Geist zur Klarheit erwachen zu lassen. Rot er schreckte sein Auge, Schmerzschrete gellten durch sein Ohr. Ihm war, als müsse er Menschen aus Feuersnot retten, aber Flammen loderten auf und blendeten ihn, Qualm verschlang die Leiber, er war ratlos, verwirrt, unh ge bärdete sich wie einer, der aus eigener Todesnot keine Rettung sieht. Das war nicht mehr Meister Heidorn, der da, von wilder, unbestimmter Angst aufgepeitscht, neben der Krei ßenden zitterte. Da erschrak er von neuem. Seine Hand flog in die Höhe. Unter dem Tuche, auf das er sich hatte nieder gleiten lassen, hatte sich etwas bewegt, etwas Lebendiges. „Wir wollen den Doktor holen!" Auf sprang Johann. Das eiskalte Wort hatte ihn zu klarem Bewußtsein gebracht. „Es ist doch nicht Ja, ich fahre Wird sie's überstehen? Sie! Ich meine, ob sie's übersteht?" „Freilich. Fahren Sie nur!" gab die Bademutter zu rück, ohne ihn anzublicken. Im Hausflur stieß der Geängstigte auf seine Mutter. „Du, ich soll den Doktor holen. Mutter, stirbt sie?" „Nein, nein, Johann, das kommt oft so. Ängstige Dich nicht! Aber trotzdem muß er her. Besser ist besser." Unbarmherzig trieb er den müden Gaul durch das Winterwetter. „Gott steh Dir bei, Elsa!" sprach er wohl hundertmal vor sich hin. Manchmal zuckte ihm die eine Hand: er fühlte bas zappelnde Kind. Aber wie die Hand zog er seine Gedanken von dem Kinde zurück. Keinen anderen Gedanken, kein anderes Bild, kein anderes Wort duldete er, nur dies: Elsa. 4. Der Arzt ließ Johann nicht im Zweifel über die Ge fahr, in der sich seine junge Frau befand. Da war des Mannes Hirn wie gelähmt. Zu plötzlich war es gekommen. Seine Gedanken fanden sich nicht zu rück zum Gestern, nicht bis zu dem kleinen Wesen, das er so lange sehnsüchtig erwartet hatte und das nun drüben in der Stube, in den Betten, die die Mutter lächelnden Ant litzes bereitet hatte, seiner wartete. Er hatte nur eine Sorge, ein Gebet, einen Gedanken: das Leben seines lieben jungen Weibes. Die Arbeiten in der Backstube verrichtete er ganz mechanisch. Das Brot fuhr der Lehrjunge aus. Reisende ließ er durch seine Mutter kurzerhand fortschicken. Er wollte niemand sprechen außer der, die jede Stunde für immer von ihm gehen konnte. Kaum gönnte er sich die Zeit zum Essen. Aus der Trittgrube vor dem Backofen sprang er hin auf, öffnete vorsichtig die Kammertür und trat leise an das Lager der Kranken. (Fortsetzung folgt.)