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die alten Kamenzer, die einst zum Wanberstab griffen und in der Ferne eine zweite Heimat fanden, herbei ins alte, liebe Nest, und wär's auch nur, um bloß einmal zu gucken. Zweimal ist bas Forstfest wahrhaft schön: im Anfang und am Ende. Im Anfang, wenn die Kinder ausziehen. Der Saiger auf St. Marien schlägt die erste Mittags stunde, da geht ein seltsamer Zug durch die Stadt: Zwei tausend Kinder. Zweitausend Kinder, ganz weiß gekleidet, Buben wie Mädels, große und kleinste, einer wie der andere. Zweitausend Kinder tragen Blumen. Blumen? Mächtige Gewinde. Hier fünfzig, die halten zu Paaren schwellende Blumentaue. Da hundert, die spannen einen Gang von hundert farbigen Blumenbrücken. Dort dreißig, denen quillt aus Füllhörnern ein bunter Blumenbach. Hier ein Dutzend, die tragen Körbe, die von Blüten schier überschäumen. Dort zweihundert, die halten an weißen Stäben riesige Blumenkränze. Unaufhörlich ergießt sich der Strom aus den Gassen in den Markt herein. Man sieht nicht Kinder, man sieht Blumen, Blumen, nichts als Blumen. Zweitausend Blumenkinder stehen auf dem Markt. Da wird der steinige Platz zum blühenden Gar ten mit ungezählten Beeten von Astern, Rondels von Gladiolen, Rabatten von Georginen und was der Sommer noch an Blüten baut. Da ist ein herrlicher Teppich vor das Rathaus gebreitet in roten, weißen und gelben Far ben und mit Ornamenten, wie sie schöner kein Meister ersinnen kann. Weiß gekleidet die Kinder, das hat tieferen Sinn. Die Sage weiß zu berichten: Zur Zeit der Hussitenkriege stand der Feind vor der Stadt. Weil er sie nicht etnnehmen konnte, hauste er übel im nahen Forste. Die Kamenzer lebten in Angst und Schrecken. An langen Widerstand war nicht zu denken. Was dann? Da versuchten sie es auf eine wenig kriegsmäßige Weise, den Feind zum Abzug zu bringen. Knaben und Mädchen in weißen Kleidern zogen hinaus ins Lager im Forst. Auf den Knien baten sie den Feind, er möchte gnädig sein und ihre Stadt verschonen. Ihr Flehen blieb nicht ungehörll Noch am selben Tage brachen die wilden Horden die Zelte ab und zogen von dannen. Die Stadt war gerettet. Zur Erinnerung daran feiern die Kamenzer ihr Forstfest. Wie alt mag das wohl sein. Von Naumburg er zählt man ein gleiches. Die Naumburger haben dafür ihr Kirschenfest. „Kennt ihr nicht das Kirschenfest, wo man'S Geld in Zelten läßt?" Tatsächlich haben beide verwandt schaftliche Züge. Auch beim Kamenzer Forstfest kann man Geld in Zelten lassen, vielleicht noch mehr als beim Naum burger Kirschenfest. Aber bas ist das Forstfest im Forst. Denn dort, wo einst der Feind gehaust, ist eine Bubssn- stadt erbaut, da gibt es Ringelspiel und Fischelsemmeln, Schießkünste und warme Würstchen, ganz wie anderswo zum Schützenfest oder zur Vereinsfeier. Wahrhaft schön wird das Forstfest am Ausgang, am letzten Tage, wenn die Kinder einziehen. Noch einmal breiten sie am Nachmittage den Blumentepptch auf den Markt. Am Abend aber tragen sie statt der Blumen Fackeln. Zweitausend Kinder tragen bunte Papierlam pions. Und vor den Fenstern brennen bunte Lichter. Auf jedem Stock, in jedem Haus, in jeder Gasse: die ganze Stadt ist illuminiert. Da ist es, als ginge ein buntes Wun der über Markt nnd Gassen, so traulich und so schön. Das mit den Feinden im Forst darf man übrigens nicht sehr laut sagen. Die Gelehrten erheben entschieden Einspruch dagegen und weisen einem mit Tatsachen und Ziffern nach, daß das gar nicht möglich gewesen sein kann. Bleibt also nur, daß die Kamenzer die Sage von den ge rührten Feinden selbst erfunden haben. Bewiese mithin erneut die Zuverlässigkeit der Kamenzer Nase. Warum soll man auch nicht eine Sage erfinden, die einen berech tigt, ein Fest zu feiern, dazu noch eins auf lange Sicht I Zittauer Hinrichtungen Von Wernher Bahr-Dresden Schlägt man heutigen Tags die Zeitungen auf, so gibt es besondere Abschnitte über Morde. Uns ist das leider zur Gewohnheit geworden, so etwas zu lesen. Da es früher noch keine Zeitungen gab, verbreitete man solche Geschehnisse in Flugblättern. Hiervon sei ein Beispiel gegeben, und zwar in der Schreibweise der damaligen Zeit: Kurze Beschreibung, der am 29ten May 1789. in Zittau vollzogenen Exekution an „Christian Franz und Joh. Friedr. Pfeiffer", welche nach eingeholten Urteil und Recht mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht worden sind. So verschieden die Menschen in der Welt sind, so ver schieden sind auch ihre Denkungsarten) wir finden Men schen, denen alles gleichgültig ist, Menschen, welche sich bey - traurigen Zufällen nicht trösten und bey freudigen Begebenheiten nicht mäßigen können, wir finden Men schen, die bey herannahenden Tode denselben getrost und mit Standhaftigkeit entgegensehen können, und dieses haben wir vor wenig Tagen in Zittau an denen zwey zum Tode verurteilten Missetätern gesehen, dessen merkwür digste Bekehrung wir beschreiben wollen. Da nun diese beyden Missethäter auf allergnädigst be- stäüigtes, unddahin gnädigst gemiltertes Urtheil, mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht und ihre Körper jeder auf ein besonderes Rad gelegt werden sollten, so wurde ihnen vor ihr Seelenheil gesorget, und dieses den ersten Caplan Herrn Scholzen in Ostritz, und Herrn Pastor Knobloch in Seitgendorf aufgetragen. Pfeiffer, ein Mensch von Standhaftigkeit, der auch nicht leer von Wissenschaften seyn mochte, wählte sich die abzusingenden Lieder meist selbst, und ließ „Brich entzwey, mein armes Herze" und „Nun hab' ich überwunden", singen. Franz konnte sich weniger trösten als Pfeiffer, und erwartete seinen Erlö sungstag mit dem sehnlichsten Verlangen. Wie nun Mittwochs früh sden 27. Mai) das löbliche Zimmer-Handwerk durch den Herrn Oberbauschreiber Hünigen ans Ens. Hochedl. Hochw. Raths Befehl in einem öffentlichen Aufzuge von allhiesigen Marstall aus, zur Gerichtsstätte geführt morde, nm alles nöthige zu erbauen, die Säulen mit den Rädern aufzusetzen, so wurde auch Tages darauf den 28. vor hiesigen Rathause ein Gerüste zu Haltung des hochnotpeinlichen Halsgerichts aus geschlagen. Die Stadt wimmelte Abends schon von Volke, welche kaum in denen Wirtshäusern unterkommen konnten, da besonders dse zum Jahrmärkte gewesene Fremden mehrentheils hier blieben. — Als nun ihr Erlösungstag, Freytag, der 29. May, an gebrochen war, so versammelt sich En. hochachtbares Gerichts-Collegium gegen 8 Uhr auf hiesigen Rathause, worauf das sogenannte Armsünderglöckgen drei nachein folgende male gelautet wurde, unterdessen sich alles zum Auszuge Gehörige theils in theils bey der Frohnfeste ver sammelte,- so nun hatten sich gegen halb 9 Uhr die Groß achtbaren Stadtgerichten auf oberwähntes mit 150 Mann nebst Ober- und Unterofficters von der Bürgerschaft be setzte Gerüst zu Hebung des hochnothpeinlichen Halsgerichts begeben und in ihre Ordnung gesetzt. So geschwind Pfeiffer ging, so sauer ward dieser Gang Franzen, welcher vor Mattigkeit imer zurückblieb, sodaß ihn Pfeiffer öfters ermahnte, er sollte getrost seinem Jesus entgegengehen,' doch je näher Franz der Gerichts stätte kam, destomehr befördert er seinen Gang selbst. Pfeiffer behielt seine Standhaftigkeit bis zum Tod,- nnd als )er außer den Häusern der Vorstadt kam und die Gerichts stätte erblickte, sagte er: „Jetzt sehe ich meine Ruhestätte I" Als nun diese Verurthetlten bey der Gertchtsstätte an-