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Hampel würfelt den Tod Von Arthur Hockauf, Großschönau Die Bauern warfen sich auf die Landstraße und legten die Ohren an den Erdboden. Ein ganz leises Zittern durcheilte die ausgcdörrte Erde, kroch durch die Hörmuscheln in das Gehirn der Bauern und verwandelte sich dort in das Bild einer Schwadron berittener Soldaten. „Uf!" schrie Hampel, „die Kroaten kumm!" Taumelnd und müde krochen die Andern langsam in die Höh und ihre Spieße und Gabeln klirrten gegenein ander und ihre schweißverklebten Augen schauten aus druckslos die Straße entlang. Bis sie ganz, ganz weit hinten, wo die Rumburger Höhen lagen, eine Staubwolke zum Himmel wirbeln sahen. Da wachten die Gesichter ans aus ihrer Trägheit und die müden Augen bekamen einen böshaften Ausdruck und die zerschundenen Hände faßten ihre Waffen fester. Das waren die Kroaten des Generals Harrant, die vorgestern 22 aufständische Bauern in Hainspach mit Strang und Schwert gerichtet, die gestern den Warns- dorfer Dorfrichter Proksch, der mit den Bauern paktierte, in Rumburg aufgehangen hatten und die nun nach dem letzten Trupp der Rebellen, die vom Bauer Hampel ge führt wurdeu, fahndeten. Soeben hatten erst diese Letzten ihrem Führer ge schworen, bei ihm zu bleibeu und sei es auch ihr Tod. Es war ja wirklich gleich, was sie taten, blieben sie standhaft, so kamen sie schnell, ergaben sie sich, so kamen sie eben langsam zu Tode. Umsonst waren sie doch nicht ausge standen, umsonst waren sie nicht rebellisch geworden! Als der Graf von Pötting die zu leistende Robot wiederum erhöhen wollte, da richteten sie einen Fresheits- baum auf, unter dem sie schworen, daß dieser harte Fron nun einmal ein Ende haben müsse. Der Dienst für die Herrschaft war unerträglich geworden, — das war kein Leben mehr, das war ein langsames Verrecken! Aber was sie eigentlich wollten, das wußten die armen Bauern ja nicht. Es sollte nur besser werden! In Wut und Schmerz hatten sie zu ihren Waffen gegriffen und waren umhergezogen im Vollgefühl einer Freiheit, die sie bis da hin nie gekannt. Und nun ging die Sonne jeden Tag so freundlich auf und weckte sie nicht zu verhaßter Arbeit für den Herrn, kein Verwalter zog ihnen die Peitsche über das Kreuz, wenn sie müde waren und die. freudigen Augen ihrer Frauen und Kinder machten sie hart, allem Kommenden entgegen. So sollte es bleiben, oder sie wollten nicht mehr leben! „So darf es nicht bleiben!" dachte Graf von Pötting und als er es nicht nur gedacht, sondern auch gesagt hatte, da kam der General Harrant mit seinen Kroaten. Und nun blieb es auch nicht mehr so. Die einzeln herumziehenden Bauerntrnpps wurden verfolgt und auf gerieben, die Gefangenen ansgezählt und teils gerichtet, teils wieder zu hartem Frondienst begnadigt. Die Frauen aber wurden den Kroaten ausgeliefert und dann zu ihren Männern getrieben. So sorgte die Herrschaft dafür, daß sich das Fehlen der Hingerichteten nicht allzulange be merkbar mache. Daran dachte dieses letzte Bauernhäuflein, das da an der Landstraße lag. Und sie wußten, daß die Reihe nun auch an sie gekommen, daß die Freiheit vorbei und Tod oder Fron nahe waren. „Die Kroaten kumm!" sagte Hampel noch einmal hart. Die Bauern stellten sich fest und breitbeinig über die ganze Straße und reckten ihre Spieße und Gabeln der nahenden Staubwolke entgegen. In wenigen Minuten war dort, wo die Aufrührer gestanden, ein wüstes Durcheinander von Staub und Blut, Pferde- und Menschenleibern, blitzenden Säbeln und rosti gen Lanzen und das Häuflein mit Hampel an der Spitze kämpfte in zäher Verbitterung gegen die wütend um sich schlagenden Kroaten, deren Plan, die Bauern einfach zu überrennen, kläglich mißglückt mar. Doch vergeblich der tapfere Widerstand, der Retter waren zu viel. Einer um den andern der verbissen sich wehrenden Bauern sank von Sübelstreichen dahingemäht nieder und in ihren brechenden Augen lag eine ganze Welt der Anklage gegen Gott und die Menschen. Um Hampel wurde es immer einsamer. Neben ihm stand noch sein 16 jähriger Enkel und wehrte ebenso mecha nisch wie der Alte die niedersausenden Säbelhiebe ab. Eine Rettung gab es nicht mehr, das wußten sie und auch ihr Schicksal mußte sich erfüllen. Vielleicht hegte der Junge noch eine unbestimmte Hoffnung, die Hoffnung der Jugend, daß alles noch gut werden könne. Aber inmitten eines Walles zuckender Pferdeleiber parierten sie nur uoch keu chend und immer müder und müder werdend, Schlag um Schlag. Die Arme waren bleischwer geworden und ver sagten ihren Dienst. Der Schweiß rann in kleinen Bächen über ihre grimmen Gesichter und vor ihren Augen ver schwamm alles in ein Knäuel wild verkrampfter Körper, aus deren Mitte unaufhörlich zuckende Blitze auf sie los fuhren. Sie wußten nichts mehr, als daß sie sich wehren mußten. Wie die Tiere kämpften sie um ihr jämmerliches Leven, das sie noch vor einer Stunde verflucht hatten. Das Ende kam, als dem Jungen der Spieß aus der müden Hand fiel und er im nächsten Augenblick schon ge fesselt öalag, mit ihm der Alte, der seinen kurzen Seiten blick bezahlen mußte. Die Kroaten suchten ihre Verwundeten zusammen und legten sie vor sich auf die Pferde, Hampel und der Junge wurden am Sattel festgebunden und mußten neben den zurückgaloppierenden Reitern laufen —, laufen bis ihnen die Zunge aus dem Halse hing und sie schnaufend um fielen und mitgeschleift wurden. Als der Ritt, während dem die Pferde von ihren Reitern zu immer größerer Eile gepeitscht wurden, nach halbstündiger Dauer vor den ersten Häusern der Stadt Rumburg zu Ende war, da hingen die beiden Bauern als leblose Fleischbündel in den Stricken. Aber sie erwachten schnell aus ihrer Bewußtlosigkeit, als ihnen Pfeffer in die brennenden Wunden gestreut wurde, und sahen erst verwundert und dann erschreckt um sich. Über ihren Köpfen schwankte das wohlbekannte und unheimliche Gerüst des Galgens, von dem soeben Zweie, die noch da gehangen hatten, abgeschnitten wurden und steif und dumpf den beiden Gefangenen vor Ate Füße fielen. „Proksch!" sagte Hampel und senkte den Kopf. Der Junge zitterte. Doch so schnell, wie sie dachten, kam die Reihe nicht an sie. Stunde um Stunde verrann und die Toten zu ihren Füßen lagen unbeweglich und bläkten die Zungen. Gegen Abend kamen einige kaiserliche Offiziere und stellten wortlos einen Würfelbecher vor die zwei Bauern. Hampel verstand sofort und warf einen flehenden Blick gegen den Himmel. Der Junge starrte verständnislos erst auf den Becher, dann auf die Offiziere. „He, Du!" sagte einer von ihnen gebrochen und drückte ihm mit der Gebärde des Würfelns den Becher in die Hand: „um Leben, um Leben!" Der Junge stieß einen Schrei aus, einen wilden Schrei, wie ihn das gehetzte Tier hat, wenn es keinen Ausweg sieht —, und ließ den Becher fallen. Die Würfel kollerten heraus, es waren elf Augen ge worfen. „Ha, Du!" sagte derselbe Offizier, fuhr mit dem Zeige finger nm den Hals und streckte die Hand in die Höhe.