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aus jenem „wissenschaftlichen Verbrechen" in Mißachtung der genauen Tatsachenforschung das religionsgeschichtliche Material „feuilletonistisch" zu verderben und zu entstellen. Genau so verwirrend und schädlich wirkt natürlich auch eine durch die alten Quellenzeugnisse nicht gestützte Ver knüpfung- mittelalterlicher oder neuzeitlicher Volksbräuche mit altem Heidentum. Einen Brauch wie das Osterreiten oder Saatreiten darf man erst dann auf ein bestimmtes Heidentum zuriickführen, wenn man ihn als Bestandteil desselben in den Quellen nachweisen kann. Deshalb die berechtigte Forderung nach Quellenangabe. Daß hier an der Ausgestaltung dieser Bräuche alter germanischer Glaube 'einer Heiligung und dämonenabwehrenden Seg nung des Landes mitgewirkt Hatz der sich vom germanischen Nerthus- oder Frey-Umzug oder vom altnordischen Brauch, das Siedlungsland mit schützendem Feuer zu umschreiten, über die mittelalterlichen Umzugsbräuche bis zu dem heute — und nicht nur in wendischen Gegenden — üb lichen Saatreiten und ähnlichen Umzügen erhalten hat, liegt nahe. Will man ihn für die alten Wenden anneh men, so suche man nach Quellenzeugnissen dafür, aber hüte sich davor, den heute noch lebenden Brauch in das alte wendische Heidentum zurückzuversetzen, und mit einer gewissen „feuilletonistischen" Leichtfertigkeit den Anschein zu erwecken, als ob eben dieser Brauch einst von den heidnischen „Wenden zu Ehren ihrer Götter" aüsgeübt worden sei. Der Nächste, der darüber kommt, baut dann schon auf diesem altwenbischen Osterreiten zu Ehren der Götter ein ganzes Kapitel allgemeinslavischer Religion auf. Deshalb Vorsicht!" Im übrigen sei auf den christlich-mittelalterlichen Brauch der Ambarvalien verwiesen! Friedrich Wilhelm, Freiherr von Kyaw Ein Philosoph des frischen Lebens In der Bevölkerung der Oberlausitz, ja vielleicht sogar in der ganz Sachsens, ist heute noch das Gedächtnis dieses Mannes lebendig. Er wird aber kaum anders genannt, als der „Hofnarr Kyaw", und man hegt die Meinung, daß er nichts weiter gewesen sei, als der unverwüstliche Spaßmacher Augusts des Starken. Man erzählt sich einige mehr oder minder derbe Späße von ihm, und damit ist die Kenntnis des Volkes von seinem Leben und seiner Per sönlichkeit erschöpft. Selten weiß jemand Näheres über seine Herkunft, seinen Stand, seine Taten und sein Ende. Vor allem aber hat man keine Ahnung davon, daß er als königlich polnischer und kursächsischer Generalleutnant und Kommandant der Festung Königstein eine wahre Kraft natur wahr, die sich bis in hohe Alter eine seltene körper liche und seelische Frische erhielt und sich nicht nur durch schlagfertigen Witz und frohe Laune, sondern vor allem durch sprühenden Geist und ein offenes, echt deutsches Wesen auszeichnete. Es soll deshalb in unserem Aufsatz ein kurzes Lebensbild dieses Mannes gegeben werden, das keinerlei Anspruch ans wissenschaftliche Darstellung erhebt, aus dem man aber ersehen möge, daß Kyaw eine > äußerst wertvolle Persönlichkeit gewesen ist, die man zu Unrecht zum gewöhnlichen Spaßmacher eines Fürsten herabge würdigt hat. Wilh. von Kyaw stand als besonderer Günst ling Augusts des Starken während einer langen Zeit oft im Mittelpunkt der sächsischen Militär- und Hofkreise, in denen er fast immer durch seinen Witz Aufsehen und Heiterkeit erregte. Die Kyawschen Witzworte fanden jedes mal bald Verbreitung im Volke, das sie mit ungemeinem Beifall aufnahm. Man kann den Freiherrn von Kyaw vielleicht mit Wilhelm Busch vergleichen. Was dessen herrlicher Humor für die jüngste Vergangenheit gewesen ist und noch für die Gegenwart bedeutet, das gaben die Witzworte Kyaws unserm sächsischen Volke vor 200 Jahren, nämlich frisches, frohes, gesundes Lachen. Und doch besteht zwischen den witzigen Erzeugnissen unseres Wilhelm Busch und denen Kyaws ein ganz wesentlicher Unterschied. Die Werke des Schalks von Wiedensahl sind Ausflüsse hoher künstlerischer Begabung und Ausbildung und einer manchmal recht tie fen, philosophischen Besinnung in meist pessimistischer Fär bung. Infolgedessen macht man oft die Erfahrung, daß der Humor des Meisters Busch vom gewöhnlichen Volke nicht recht verstanden wird. Die in des Meisters Werken hervortretenden feinen lustigen Beziehungen und glänzen den Wortspiele, wundervoll seltsamer Satzbildungen und humorvollen Willkürlichkeiten im Wortbau verlangen zum Verständnis ein gewisses Maß von Sprach- und Geistes bildung. Von alledem weist der Kyawsche Humor nichts auf. Die Witze, Schwänke und lustigen Streiche des Freiherrn sind in der Hauptsache Ausflüsse eines gesunden, in froher Laune und witziger Schalkhaftigkeit ttberschäumenden Lebensgefühls. Aus Kyaws Werk sprüht weder Künstler tum, noch pessimistisch-philosophische Besinnung, sondern die gesunde, farbensatte Philosophie des fri schen Lebens. Gerade deshalb aber wurde der Kyaw sche Humor nicht nur von den Gebildeten jener Zeit, sondern vor allem vom damals noch recht ungebildeten Volke verstanden und geliebt. Fr. Wilh. von Kyaw war durch seinen geistvollen Witz bald zu einer so bekannten Persönlichkeit geworden, daß man sogar, besonders nach seinem Tode, eine große Anzahl von Schnurren unter seinem Namen im Volke verbreitete, die sicher nicht von ihm stammen. Alles, was von Kyaw Herkommen sollte, fand eben sofort das Ohr des Volkes. Wir erkennen daraus die ungemeine Frische und Kraft, die von seinem seist- und humorvollen Wesen ausgingen. Derartigen Männern hat unser Volk immer liebevolles Verständnis entgegengebracht, und man kann den Mangel an solch vollsaftigen Persönlichkeiten, die immer das Herz auf dem rechten Flecke haben, gerade in unserer hastend humorlosen Zeit nur aufrichtig bedauern. Vielleicht ist schon aus diesem Grunde eine kurze Darstellung des Kyawschen Lebensganges nicht ganz ohne Reiz. *) Friedrich Wilhelm von Kyaw wurde am 6. Mai 1654 auf dem Rittergut Oberstrahwalde bet Herrnhut geboren. Er war das 18. Kind des Heinrich Adolph von Kyaw, der im Jahre 1653 das genannte Rittergut gekauft hatte. 1670, erst 16 Jahre alt, trat er als einfacher Muske tier in die Kurbrandenburgische Armee ein. Bereits zwei Jahre nach seinem Eintritt kämpfte er inmitten seines Regiments am Rhein gegen die Franzosen. Schon hier zeigte er, was in ihm steckte: Mut, frohe Laune und Auf gelegtheit zu lustigen Streichen. In der Tracht eines elsäs sischen Bauernmädchens soll er über den Rhein gerudert und eine gefährliche Schildwache niedergestochen und ein andermal nur mit Hilfe eines Trommlers in dunkler Nacht eine französische Jnfanteriepatrouille gefangen genommen haben.. Im Jahre 1674 zeichnete er sich bei der Erstürmung des festen Schlosses Wasselnheim aus, nahm 1675 an der berühmten Schlacht bei Fehrbellin teil und ebenso an der Einnahme von Wollin, Wolgast und Ücker münde. Bei der Erstürmung von Anklam, die am 18. Au gust 1675 erfolgte, gehörte er der vom Oberst Schöning ge- *) Nach dem Tode Kyaws sind zahlreiche Darstellungen seines Lebens, die zugleich eine Sammlung seiner Witzworte und Schwänke enthalten, erschienen. Hier seien nur die wichtigsten genannt: 1. Ereaander, Merkwürdiges Leben und Thaten des weltberühmten König!, polnischen und chursiirstl. sächsischen Generallieutenant usw- Friedrich Wilhelm Freyherrns v. K. Cöln 1735. 2. Kyaws Leben und lustige Einfälle. Drei Bände, Leipzig 1772 (neu erzählt von Wilhelm!, Leipzig 1797). 3. Kyaws Leben und Schwänke, Leipzig 1800. 4. Nick, Biogr. Skizzen, Anekdoten und Schwänke aus dem Leben des Barons Friedrich Wilhelm v. K. Reutlingen 1860.