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Die Heimatlosen Roman von Oskar Schwär l. Kapitel einem der letzten Ianuartage übersiedelte Her- WsM) mann Tauscher mit Weib und drei Kindern von Mummelsmalde nach der Landeshauptstadt. DIMM Die Bäume standen im Rauhreif, und die über die Felder ausgebreitete Schneedecke glitzerte im ersten, matten Morgenlichte, als sie, mit Paketen und Hocken schwer bepackt, nach der kleinen Station hinauf stampften. Sie kamen um einige Minuten zu früh an. Der kleinste, der vierjährige Gustav, der Filzschuhe, einen schwarzen, allem Anschein nach aus Vaters altem Überzieher gefertigten Mantel und eine Plüschmütze mit unterm Kinn verknüpften Ohrenschützern trug, außerdem mit einem aus bunter Wolle gestrickten Halsschaul versehen war, verschwand hurtig ins Haus, wo der Vater die Fahrkarten löste. Als dieser sich wieder hinausbegab, stellte er sich vor dem Schalter auf die Zehen, sodaß sein rotes Näschen gerade über das Brett reichte, und sah zu, wie der Mann da drin einmal an einer Kurbel drehte, dann über ein gelbes, zierliches Rädchen einen langen, schmalen Papicrstreifen lausen ließ, dann eine Weile auf einen kleinen Hebel tippte, aus ein Klingelzeichen aber an die Wand eilte, so etwas wie einen schwarzen Rührlöffel ans Ohr hielt und in einen Trichter redete. Während Gustav dies wunderliche Treiben neugierig verfolgte, benutzten die anderen die letzten Minuten, um das Dörflein zu ihren Füßen noch recht anzuschaun und das Bild ja treu ins Gedächtnis einzugraben, wie man es wohl tut, wenn man von einem geliebten Toten scheidet. Dort in der Mitte erhob sich die schlichte Kirche mit der grünen Turmzwiebel. Daneben, nur durch einen Park vom kleinen Friedhof getrennt, lagen die weitläufigen Gebäude des Rittergutes. In zwei Reihen standen das Bachtal entlang die Bauerngüter und Wirtschaften. Tauschers gingen die Reihen durch bis zur Mühle am Talausgang. Von den niedrigen Hütten der Weber und Tagelöhner war nicht viel zu sehen, sie hatten sich in die dicken, weißen Betten tief eingehuschclt. Doch dort, nicht weit von den hohen Linden, die das Ge wese des Großbauern Grundmann umstanden, fanden die Scheidenden ein Häuschen, in dem ein trüber Lichtschein unruhig hin und her wandelte. Sie sahen nur einmal durch dieses, einmal durch jenes Fenster den schwachen, gelbrotcn Schein. Mit dem inneren Auge aber drangen sie hinein in die Stube und sahen den alten, grauen Tischler Tauscher mit einem Lämpchen in der Hand vom Tisch zur „Warrscht", von der „Warrscht" zum alten breiten Kachelofen, in die „Hölle", von da zum Topfbreit gehen und suchen. „Dr Grußvoater hoat noa Licht", sagte Fritz, indem er hinunterzeigte. „Ob a ok woas sucht? Ar denkt amende, mir hoan woas vergassen." Es ward dem Knaben keine Antwort. Gertrud, seine zwölfjährige Schwester, die sonst so fröhlich war und sich doch auch auf diese Reise gefreut hatte, wischte sich mit der Hand über die Augen. Und seine Mutter seufzte leis. „Nanu kummt!" sagte der Vater: denn das Tunk-tunk- tunk wurde hörbar, das der lahme Bahnsteigschaffner mit seinen Krückstöcken im Flur des Hauses verursachte. Man rief den kleinen Gustav und nahm das Gepäck zur Hand, das man an der Wand abgestcllt hatte. „Guten Murgen, minanderl" grüßte der Bahnsterg- schaffner, als er heraustrat. Er machte große Augen. „Nu sprich mir ok, Hermoann, an mittelsten Winter? Kunnt ihr denn ni woarten, bis wärmer is? Drasen brennt doch meincrsecbenhätte ni oab!" sagte er, schob die Stakentür zurück und lochte die Fahrkarten. Die Kinder reichten ihm die Hände und eilten dann hinaus auf den Bahnsteig. „s muß eemol senn! Und lechter fällts an Friehjuhre o ni!" gab Tauscher mit langsamem, ernstem Tone zur Antwort. Seine Frau nickte dazu und weinte leis ins Taschentuch. „Na na na!" tröstete der Bahnsteigschaffner, „Drasen leit ni außer dar Walt! Und di Menschen laben durt o! Besser amende oas dohie. 's labt sich ieberoal. Is ni su, ha?" „Mir is, oas reesten mir as Unglicksland. Mir oahnt nirscht Gutes!" „Aber Gustl! Nu amol Mut! Wirschts sahn, 's is su, wie Ivhoann spricht: 's labt sich iederoall. Groade su is. Enner muß o ni klaben bleiben, wu enner nu groade as Nast geläht wurn is. Die Ardkugel amol vir anner andern Seite oasahn, doas wird uns gutt tun!" So sprach Tauscher seiner Frau zu, aber er vermochte seinen Worten selber nicht den richtigen munteren, tapferen Ton zu geben. Auch seine Haltung stimmte nicht zu dem, was er sagte. Obgleich er seinen schweren hölzernen Koffer wieder auf die Erde abgestellt hatte und nur ein kleineres Paket in der einen Hand hielt, richtete er sich nicht straff auf, sondern stand recht geknickt da. Die Augen blickten matt und mutlos aus dem hageren Gesicht, dem auch der dunkle Schnurrbart nichts Herzhaftes und Männlich-Hartes verlieh, und wichen denen der weinenden Frau aus. „Zu, ju, ees mußch a moanches schicken!" sagte Johann, der Bahnsteigschaffner, bedächtig. „Zirirscht sitt sich enner kenn Rot, und drno gitts docke!" Da kam der Stationsoorstand mit der grün-weißen Signaltafel heraus. „Aha! Richtig, richtig! Sie gehen ja fort!" Er drückte den Scheidenden die Hand. „Na, da wünsch ich Ihnen viel Glück! Kommen Sie gut hin und zurück! — Nanu, Lobalds Milch?" Er ging bis an die Ecke des Hauses und spähte die Straße hinab, entdeckte aber niemanden und kam zurück. „Wer oerschläfts denn dort immer, die Kühe oder die Mägde?" Man hörte den Zug schon heranfaucheu. Der Stationsvorstand trat an den Signalschrank, drehte eine Kurbel und ging dann hinaus. Tauschers folgten ihm, nachdem sie sich vom Bahnsteigschaffner verabsckiedet hatten. Die Kinder warteten ungeduldig, sie fürchteten schon, die Eltern möchten die Abfahrt versäumen. Mit Poltern und Zischen fuhr der Zug ein. „Mummels- walde!" riefen die Schaffner und rissen ein paar Türen aus. Während ein dicker Fleischer mit Knotenstock und Kälber strick ausstieg, hasteten Tauschers, um in einem alten, schwarzen Wagen vierter Klasse Gepäck und sich selber unterzubringen. „Nur sachte!" meinte der Schaffner, der ihnen behilflich war. „Mir komm' schonn noch. Die Milch is ja och noch nich da!" Endlich waren Tauschers verschwunden. Ein paar Fahr gäste rieben mit den Fingern das Eis von den Fenstern, um dann durch das kleine Guckloch sehen zu können, was denn aus der kleinen Station für ein Riesenverkehr sei, daß der Zug solange hielt. Einer, der's besonders eilig hatte, rief sogar heraus: „Nanu machen Sie aber mal, daß Sie weiterkommen! Warum fahren Sie denn eigentlich nicht?"