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Nr. 7 Gborlauflhsr HeimatzsLtung 7L „O, dort der Engel!" „Mir Ham usf unsern Ehrisldoom vch en Engel, der Hal aber noch ne silverue Dude." „Du, Pfefferkuchen eh ich gern!" „Mir Ham welchen inil Lrhocklade druff!" „Del uns is der Rupperch schonn gewesen." „Bei uns koniml er heile. Wederfch Fritze macht'». Ich weeh." „Mir wär» zu Weihnachten Fleefch essen, hat mei Vater gesagt." Ich muhte weiter. Aber als ich nach ungefähr einer Viertel stunde wieder vorbeikam, knieten die drei kleinen Knirpse immer noch aus dem Steinsims vor dem Schaufenster und quetschten ihre Stupsnasen an die Scheiben, um die ausgelegten Herrlichkeiten besser bewundern zu können. Sic philosophierten sicher noch über Weihnachten. An ein Erlebnis aus meiner Kinderzeit mußte ich da plötzlich denken: Als ich noch ein Dresdner Junge war, so von 10—I I Jahren, hatte ich einen Freund, der war ein ganz armer Bursche. Sein Vater wohnte irgendwo fünf Treppe» hoch und flickfchusterte vom frühen Morgen bis zmn späten Abend. Wenige Wochen aber vor Weihnachten sah seine Mutter mit den Geschwistern und machte aus Holzstäbchen und kleine» Rute» und getrockneten Pflaumen, darauf Schaumgold getupft wurde, sogenannte Pflaumenruprechte, die mein Freund dann in der Weihnachtswoche auf der Straße verkaufen mußte. Mein Gott, warum sollte ich meinem Freunde nicht einmal da bei helfen! Eines Nachmittags gingen wir zusammen — Vater und Mutter dursten natürlich nichts wissen — auf die König- Johann-Straße. Ich entsinne mich, es war ein recht kalter, düstrer Wintertag, der Tag vor dem heiligen Abend, und da ich keinen Mantel anhatte, fror ich erbärmlich. Aber ich wollte doch Pflau menruprechte verkaufen! Mein Freund verstand sein Geschäft gut. Ich bewunderte ihn heimlich. Ich mußte mich in eine Ecke stelle» und errief: „Pflau menruprechte, immer noch hier die schönste» Pflaumenruprechte!" Keck bettelte er einen noblen Herrn an: „Kaufen Sie mir, bitte, etwas ab! — Und dann ging es weiter: „Hier der letzte schöne Pflaumenriiprecht! Kaufen Sie, bitte, den letzten schönen Pflau menruprecht!" Da hatte er ihn verkauft, de» „Letzten" und nahm einen neuen aus dem Korbe heraus. Nun aber mußte ich ausschreien und tat es mit solcher Begei sterung, daß alle Leute stutzig wurden: „Pflaumenruprechte, immer noch die schönsten Pflaumenruprechte!" Ein kleines blondes Mädel, das nebenan in der Haustür stand und funkelndes Gold- und Silberhaar ausbot, guckte mich ganz eifersüchtig ob meiner wohlgenährten Stimme an und wollte mich am liebsten wegen Gcschäftsschädignng verklagen. Dann schrien wir — mein Freund und ich — um die Wette und verkauften alle unsre Pflaumenruprechte. Da nahmen wir den leeren Korb und gingen lange noch nicht nach Hause, sondern sahen uns die Schaufenster an, die Weihnachtsberge mit Engeln und Hirten und Schafen, die Burgen mit den tapferen Soldaten, die Eisenbahnen, die ewig im Kreiseheruinsausten, und wünschten, wünschten, wünschten einen ganzen Himmel uns aus Erden. Am Altmarkt aber verweilten wir am längsten. Dort waren ja die Weihnachtsbuden, wo all die Herrlichkeiten der kühnsten Kinder wünsche ausgcbreitct waren wie in einem Märchenlande, woselbst Brummkreisel surrten, Mäuschen liefen, Hampelmänner zappel ten, Püppchen tanzten, wo es flimmerte und glitzerte, sodaß man ganz selig ward vor Freude. Spät abends erst kam ich nach Hause: wo ich gewesen sei, fragte die Mutter. „Pflaumenruprechte habe ich verkauft," antwortete ich. „Wie, wo?" die Mutter, „auf derKönig-Iohann-Straße" ich. „Vater, höre, unser Junge hat Pflaumenruprechte verkauft," sagte entsetzt die Mutter, „wenn ihn jemand gesehen hat!" Ich weiß nicht mehr bestimmt, aber ich habe doch so ein leises Gefühl, als hätte ich damals — wie so oft — mit der Rute Be kanntschaft gemacht. Ellern sind doch manchmal recht unverständig. Heute wie damals ist reges Leben auf der Gasse vor Weih nachten, rufen Kinder ihre Waren aus, lockt der süße Zauber der Weihnachtsbuden, kommt der große Wald in die Stadt, eilen die Mensche» mit Paketen überladen, erglänzen die Schaufenster in festlichem Lichte, geschmückt mit schireebestrenten Tannenzweigen. Heute wie damals ist das alles so schon, so wunderschön, weil sich die Menschen wieder auf die Liebe besinnen, Liebe hoffen und Liebs geben. Ja, Weihnachten, das Fest der Liebe! Sie ist noch nicht tot, ist noch nicht er—schlagen von unseren Feinden und ist »och nicht verhungert. Nun hat die Dämmerung dem Abend die Hand gereicht. Es ist dunkel geworden. Allmählich schläft das bunte, laute Leven ein. Hier und da höre ich ferne Kinderstimmen, die singen voller An dacht und in seliger Lust: „O du fröhliche, o du selige, Gnadenbringende Weihnachtszeit!" Da kommt es mir auf einmal wehmütig in den Sinn, daß ich so einsam bin und nicht weiß, wo ich Weihnachten feiern werde. Ein Stück Althautzen s ist in der Adventszcit und im Weltkriege. Auf der Reichenstraße laufen dieKüuferin- nen mit allerlei kleinen und großen Pa keten hin und her und die Kinder stehen an den Schaufenstern mit großen, hoffen den Augen. Da dröhnt von drüben, vom Petriturme her die Glocke und ruft zur wöchentlichen Kriegsbetstunde. Ich fasse mein Gesangbuch fester und steige den holprigen, gepflasterten Weg zwischen Rathaus und Polizeiwache zum Fleischmarkt empor und stehe mitten in der alten Bürgerstadt Bautzen. Vor mir erhebt der Petridom seine grauen Steinmauern. Sein hohes Ziegeldach ist vom Schnee bedeckt und hell leuch ten die großen Fenster des protestantischen Teils der alten Simultankirche zu dem schneestampfenden Bürger herab und aus den großen und kleinen Fenstern der schmalen und brei ten, hohen und niederen Häuser ringsum am Platze grüßt sie der trauliche Schein der Arbeitslampen aus den Werk stätten und Lüden, der Lagerräume und Wohnstuben. Alt bautzen! Ich trete durch die schwere Seitentür in den Dom. Da steht in der Ecke am Gitter, das den evangelischen An dachtsraum vom katholischen trennt, Meister R. Ich kenne ihn und weiß, daß seine drei Söhne unabkömmlich von da heim sind. Es sind junge, gesunde Menschen und sie sind nicht bös über ihre Unabkömmlichkeit. In jenen Tagen aber ist der alte Meister herumgelaufen zum Stadtrat, zur Kom mandantur, zu den Ärzten, um sich freiwillig zu stellen. Dret- oiermal hat er es versucht! Immer vergeblich! Er hat ein Nierenleiden und dann — sein Alter! So steht er nun in der Kriegsbetstunde fernab von der Gemeinde in der Ecke am Gitter. Ich sitze auf der Bank an dieser durchsichtigen Trennungswand und ein paar Kinder neben mir flüstern von den schön geschmückten Altären und purpurnen Seiden fahnen, die sie drüben im Katholischen sehen. Doch da er klingt unsere wundersam feine Orgel zum Gemeindegesang unsrer Andachtsstunde. Dann besteigt der Geistliche, der es immer und immer wieder versteht, mit seinen kernigen, geist durchwehten Worten in die Herzen zu reden die Kanzel und spricht über die Fürbitte Abrahams für Sodom und das rechte fürbittendc Gebet. Durch die Teilung der Kirche ist für uns eine gut protestantische Predigtkirche geschaffen worden und mitten aus den Bankreihen der Zuhörer erhebt sich unsere Kanzel. Die Kriegsbetstunde ist zu Ende und vor der Kirchentiir weht ein scharfer Ostwind. Es ist glatt ge worden und Meister R., der mit mir aus der Kirche tritt, gleitet und wankt ein wenig. Ich helfe ihm auf und da wir