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Nr. S (Dbsrlausitzer HeimaLzeiLung 5S bringende Weihnachtszeit." Wir, nicht nur die Kleinen. Wir wurden ja wieder Kinder, auch wir „großen, verständigen Leute". Damals konnten wir cs noch. Wann? In märchenweite Ferne ist die Zeit gerückt. Heute will es uns kaum mehr duften und leuchten und klingen. Können mir denn noch Kinder sein, wir „großen, verständigen" Leute? Gott, wir sind ja alt, so schrecklich alt geworden! In den paar Jahren! Wir haben keine Zeit mehr, unsere Stirnen an die Scheiben zu drücken und den Flocken nachzuträumen. Das will uns nichtig, kindisch und nebensächlich erscheinen. Wichtigere, viel wichtigere Dinge beschäftigen uns. Für das von damals ging uns der Sinn verloren. Arm sind wir geworden, jämmerlich arm. Wo einmal das goldene Herz sich eine Kinderstube schuf, steht heute Amtsstube, Krämerladen, Wechselgeschäft oder sonst ein nüchterner Ort in unserm Denken. Einige mögen sichs noch erhalten haben, das goldeneHerz.Wie oielesinds? Wir, wir Masse, wissen kaum mehr darum: „Ich besaß es doch einmal, was so köstlich ist!" Die Poesie floh uns. Floh uns? Man hat sie uns davongejagt wie den Bettler vom Hofe. Heute vielleicht versuchen wirs noch einmal, gewohnheits mäßig: „Sti—i—lle Nacht." Aber die Klänge muten fremd an, als wollten sie zum harten Schlag der Zeit nicht passen. Innerlich will cs garnicht so recht mitgchen. Das meinte der biblische Philosoph, wenn er den Vergleich ansührte: „. ..ein tönend Erz oder eine klingende Schelle." Können wirs denn wiedergewinnen, wo wir kaum spüren, wie not es uns ist? Wir sind schwach geworden in den paar Jahren, ganz schwach. Der erste Schnee! Ärgerlich nur nehmen wir seiner wahr. Doll Mißmut stapfen wir durch die „Matsche" am Boden. Tausend Sorgen fallen mit den Flocken auf uns nieder, von denen mir heute wünschten, sie stellten sich lieber nicht ein. Uns fällt ein, daß wir die Kartoffeln noch nicht herein haben. Daß es keineKohlen geben wird und nun eineschlimmeZeit anhebt, macht uns ängstlich. Viele, viele andere Sorgen schaf fen uns Unruhe. Kriegspsychose hastet durch das Hirn. Die Vergangenheit hat unsere Nerven zermürbt, die Zukunft peitscht sie wild auf. Und nun fürchten wir den ersten Schnee. Wir sind doch so nüchtern, so nüchtern geworden. Er kommt Heuer viel zu zeitig. Die Bäume greifen noch mit vollen Händen nach dem Gold der Herbsttage. Irgend wer — der Winter kann es doch noch nicht sein — wirft ihnen Schnee und Eis in die zarten Finger, daß sie erstarren. Auch wir, die wir Frühling und Sommer gekannt, langten nach den Edelwerten des Lebens aus. Damals noch, als wir ängstlich ahnten, daß es anders, daß es herbstlich werden könnte in unserm Volke. Wir streckten unsere Seelen nach dem Gold der Ideale, wir griffen zu und hatten kalten Flaum darin, der schnell in nichts zerrinnt. „Da antwortete der Mei ster: Das hat der Feind getan!" Nun stehen die Bäume am Wege und beugen sich unter der kalten Last. Sie trauern. Um ihr Ende? Um den flie henden Herbst? Daß man sie betrog? Auch sie sind Greise gl worden, über Nacht, Greise mit krummem Rücken und weißem Haar stehcn sie in den Gärten, wo gestern noch Astern zu ihren Füßen blühten. Eigen schimmert das Gold, das sie in ihre Blätter gossen, das Rot und Gelb durch das Weiß des Todes. Mancher brach unter der Last zusammen, man chen wird es noch brechen. Auch im Garten unseres Volkes brach mancher schon unter der Bürde der Zeit. Wir alle stehen gebeugt. Immer tiefer drückt uns die Last, daß wir ächzen wie die Eichen in ihrem Mark, zur Erde, zum Staube nieder! Wir, die mir zur Höhe streben, zum Licht. Und sollte schon derWintcrkommenunsermLande.wobliebdersanfteHerbst? Weil sind wir vom Sommer, weiter vom Frühling: zwi schen Herbst und Winter. Glauben wirs doch! Nicht alle nehme» Schaden. Die Starken bleiben gesund. Mag sie die Bürde beugen, der Winter sie entblättern, sie tragen den Frühling in ihrem Marke und hüten ihn teuer über Sturm und Frost hinweg. Aus ihnen wird neues Leben erwachen, sie bringen uns die bessere Zeit. IlllNUIIIIIIIIUIIIIUUIIUIIlllllllUIUIINUIttllllillMIIIIIIIttlUIUttllllllllUIIIIIttlUIIlllllllttllUIIIN Heiteres aus der Vergangenheit Von R. Korn 1. Zschitschegutt und Knebbelbiehmr ich die Freitreppe des Löbauer Rathauses sehe, muh ich an ein lustiges Geschichtchen denken, das mir meine Mutter selig oft erzählt hat. Hier ist es: Vor hundert Jahren lebte in Löbau ein ehrsamer Bürger mit Namen Bergmann, der aber allgemein unter dem Spitznamen „Zschitschegutt" weit und breit bekannt war. Zschitschegutt? Wie kam er dazu? Ein organischer Fehler seiner Sprachwerkzeuge war daran schuld. Hatte sich Bergmann bei seinen Besuchen in der Stadt irgendwo niedergesetzt, so bot man ihm oft deshalb nur einen andern Stuhl zum Sitzen an, weil man dann stets von ihm hören konnte: „Ich zschitsche gutt." (Ich sitze gut.) Dies hatte ihm den Spitznamen eingebracht. Selbstverständlich wollte Bergmann davon nichts wissen und drohte, als Zschitschegutt seinen althergebrachten Familiennamen immer mehr verdrängte, jeden, der ihn mit dem verhaßten Spitz namen anreden würde, auf dem Rathause anzuzeigen. Nun lebte zu damaliger Zeit im Dorfe Alt-Löbau ein Bauer namens Böhmer, der sich von seiner altväterischen Weste nicht trennen konnte. Sie war den Löbauern deswegen so auffällig, wei sie eine Reihe kleiner Knöpfe hatte. Das gab den Anlaß zu dem Spitznamen „Knebbelbiehmr". Auch Böhmer war darüber nicht erfreut und drohte ebenfalls mit Anzeige. Gleichwohl sagte er, als er eines Tages Bergmann auf der Gasse traf: „Gunn Tagk, Zschitschegutt!" und Bergmann ging aufs Rathaus. Als nun Böhmer seinen Taler Strafe daselbst bezahlt hatte und er mit Bergmann, jedenfalls nicht gut gelaunt, das Rathaus verließ, geschah das Drollige: Bergmann sagte, jedenfalls versöhnlich gestimmt, aber ebenfalls der Macht der Gewohnheit unterliegend: „Sidda, Knebbelbiehmr!" worauf dieser nichts eiligeres zu tun hatte, als Bergmann anzuzeigen. Ob es geholfen hat? 2. Der elende Kirmeskuchen Einem Onkel von mir wurde aus seiner Kindheit manches Spaßhafte nachgesagt. Ein Beispiel hierzu: Adolf, so hieß er mit seinem Bornamen, war mit seinem Vater zu Lehmanns Friedn, einem Ebersdorfer Bauer, zur Kirmes ge gangen. Den Knaben „läpperte" es gewaltig nach frischgebackenem Kuchen und er konnte es kaum noch erwarten, daß der Kuchen teller hereingebracht wird. Endlich kam der langersehnte Genuß. Tapfer wurde anfangs eingehauen, aber die Arbeit auf der „Zahns gasse" ließ bei dem Knaben bald nach, so daß Lehmanns Friede zum Essen nötigen mußte. Und als dies nicht den gewünschten Erfolg hatte, fragte der Bauer; „Arschmacktwuhl ne?" Da platzte Adolf mit den Worten heraus; „Nee, Lehmann, dr Kuchn schmeckt elende!" „Dummer Junge!" fuhr der ob dieser Freimütigkeit höch lichst erschrockene Vater auf, „wie kannstn sowas soan, sowas soat man doch ni!" Aber Lehmann hatte es nicht übel genommen. Er sprach zum Vater: „Schoabt ock mitn Masser doas Mahl e bissel runter." Der Vater befolgte den Rat nnd Adolf begann wieder zu essen, aber nicht lange. „Warum ißtn schun wiedr ni?" fragte nun ziemlich erregt der Vater. Adolfs Antwort war an Lehmann ge richtet und lautete: „Lehmann, dr Kuchn schmeckt immer noch ganz elende!" — Ja, ja, Kindermund, wahrer Mund.