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Da — was war das? Magdalena hielt inne. Hatte nicht jemand an den Laden ge klopft, ein dumpfer, fast angstvoller Ton, wieder und noch einmal. Vater Schweriner sprang aus seinem Stuhl empor, und der Gesang verstummte. Magdalena stellte die Harfe beiseite. Wieder klopfte es, diesmal noch dringlicher als erst. „Magst Du nicht öffnen gehn, Vater, es kann ein Bettler sein, heut zur heiligen Nacht, es ist bitter kalt draußen." Der Bauer öffnete das Fenster und stieß den Laden auf: neu gierig drängten sich die jungen Leute hinter ihm um das Fenster. „Bauer," sagte eine männliche Stimme. „Verdient Euch einen Gotteslohn, ich hab ein Kindlein auf den Armen, das ich auf der Lehne am Hochwald fand, es ist schier erstarrt, aber noch ist Leben in ihm. Ich bin eilig, denn ich muß noch heute in die Stadt nach der Hauptwache." Kopfschüttelnd schloß der Bauer den Laden wieder und wollte zur Tür gehen, sie zu öffnen. Das hatte aber schon die Lena be sorgt, und schon führte die einen Landwehrmann herein, der ein halbtotes Mägdlein auf den Armen trug. „Ja, Martin, wie kommt Ihr denn zu dieser Beute, wo habt Ihr es gefunden, wer ist es?" so schwirrten die Fragen durch einander. Aber Magdalena war schweigend hinausgegangen. Jetzt brachte sie eine Schüssel mit Schnee und begann, des Mägd leins Stirn und Wangen damit zu reiben, knüpfte ihm das Wäinslein auf und fühlte nach dem feinen Herzschlag des Kindes. Richtig, es ging noch ganz wie eine kleine feine Uhr und sieh da, das Kind schlug ganz iangsam die seidnen Wimpern in die Höhe, und hinter dem Schutz der Lider weiteten sich ein Paar wunder samer blauer Kinderaugen, die richteten sich fragend und ein wenig scheu auf Magdalena. „Vaterli," sagte ein feines, schwaches Sümmchen, „wo bin ich?" „Bei guten Leuten, Kindlein," erwiderte Magdalena, „und Vaterli wird bald kommen. Wo ist Dein Mütterchen?" „Beim Gottvater," sagte das feine Sümmchen. Da begab es sich, daß wohl in manches Auge eine Träne trat. Aber das Kind begann, unruhig zu werden, es fürchtete sich vor den vielen neugierigen Gesichtern, und um seinen kleinen Mund zuckte es bedenklich. „Und wie heißt Du?" fragte Magdalena sanft. „Resl." „Und weiter?"' „Nesl." Weiter war nichts herauszubekommen. Da streichelte Magda lena die schmalen, blassen Wangen. „Martin wird eine Wegzehrung nötig haben, ehe er den Weg nach der Stadt antritt, und auch das Kind soll ein Schüsselein Ziegenmilch nicht verweigern, sagte sie dann und schickte sich an, die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Da schienen die Übrigen zu fühlen, daß nach diesem Zwischenfall ihr Bleiben nicht länger angebracht sei, und sie verabschiedeten sich gemeinsam, nur der lange Hans Nettelbarth wollte Luise, die unterhalb der Kirche wohnte und noch ein Weilchen zur Hilfe zu bleiben gedachte, Heimgeleiten, und blieb auch. Den Landwehrmann, der, kaum erst konskribiert, zu den 700 Mann gehörte, die Stadt und Dörfer aufzubringen hatten, litt es nicht mehr lange. Heute war Festabend in der Stadt, nicht allein der Christnacht halber, sondern man feierte den Geburtstag des russischen Kaisers und brannte viele kleine Lichtlein in Fenstern und Türen der Gassen, daß die Helle Lichtflut gen Himmel stieg und weithin bis in das enge Bergtal zu sehen war. Dorthin zog cs Martin Kern, denn die Kameraden, deren es noch recht wenige gab (denn die Konskription schritt sehr langsam und spärlich vor sich), warteten seiner. Er wußte das Mägdlein in sicheren Händen bei der Schwertnerlena, und hatte sich ja den Gotteslohn durch seine Errettung vom sichern Tode des Er frierens verdient. So trollte er sich denn, nachdem er dem warmen saftigen Schinken, dem schwarzen Brot und der guten Ziegenmilch wacker zugesprochen hatte, wieder von dannen in die jetzt sternklare Nacht. „Und Ihr wißt nicht, wessen das Kindlein ist, Martin?" fragte Magdalena noch einmal beim Abschied, als sie die Hand in die rauhe Rechte des Kriegsmanns legte. Martin schüttelte den Kopf. „Laßt sehen, Mamsellchen, ob es ein Merkmal, ein Erkennungs zeichen, oder ein Bildnis um den Hals trägt, das auf die Spur leiten könnte. Aber ich hab das Meinige getan, mein Dienst ruft mich, es ist ohnehin allzu lebendig in der Stadt, und die Basch kiren sind ein wildes Volk, wenn man auch durch strenge Auf sicht sie zum Guten leiten kann. Aber ihr Gebühren ist uns zu wider, ihr Rumoren mit den Pferden in unsrer Iohanniskirche will mir bitter ankommen. Also gehabt Euch wohl." Magdalena ließ den Landwehrmann hinaus und schloß die Tür wieder ab. Luise ging ihr zur Hand, holte Milch für das Kind und bereitete das Bettlein, das es diesen Abend mit Magdalena teilen mußie. „Bist müd, Kindlein?" fragte diese und streichelte dem stillen Kind, das sich matt gegen die Wand lehnte, die weichen Wangen. „Müd", sagte es schwach, und duckte sich ein wenig zusammen auf der harten Bank, darauf es hockte. Dann schlürfte es durstig die warme Milch. Das Christbäumlein in der Ecke hatte seinen Glanz verloren, alle Lichter waren ausgebrannt, nur die roten Apfel leuchteten noch herüber. Das Kind ließ die Augen über die grünen Zweige gleiten, und ein Schatten huschte über das liebliche Gesicht. „Magst schlafen gehen," sagte Magdalena und begann, das Wämslein aufzunesteln und den groben Kittel, den es darunter trug, herabzustreifen. Da klimperte etwas gegen den beinernen Knopf, der den Kittel zusammenhielt, etwas, das dem Kinde um den Hals an einem seidenen Bande hing. Magdalena suchte danach — es war ein Dukaten. Großer Gott — sie nahm die Münze in die Hand. Das Bildnis der Maria Theresia mit Szepter und Apfel und die Jahreszahl 1765, auf der andern Seite Maria mit dem Kind auf der Mondsichel schwebend, „biunAgriae ?atrona KeZiü". Es war dieselbe Münze, die sie damals dem Jäger gegeben. „Himmlischer Vater", schrie das Mädchen auf, „es ist — Christian Walsers Kind." — Sie bedeckte die Augen mit beiden Händen und sank erschöpft auf die Bank, die um den großen Kachelofen lief. Erstaunt sahen sich die anderen an. Luise faßte wie von ungefähr nach Nettelbarths kräftiger Hand. Der alte Schweriner und die Base wechselten einen'bedeut- samen Blick. Doch Magdalena faßte sich bald. „Hans, Ihr müßt den Christian suchen gehen! Wenn der Un glückliche heimkehrt und sein Kind nicht findet — er tut sich ein Leid an, der einsame, arme Mann." Hans Nettelbarth sprang nach seinem Pelzwams. „Er wird schwer zu finden sein, noch gestern sagte er mir, daß er am Heiligabend gegen den Buchberg wollte, für ihn gäbs keine Weihnacht. Er will zur Werbung nach der Stadt gehen und sein Kind bei guten Leuten unterbringen." Magdalena horchte auf. Sie sah ihren Vater an. „Ein Lhrist- englein, Vater, wie wärs, Du wolltest, daß ich einen Wunsch ausspräche, ich hatte keinen, aber nun bitt ich Dich um mein Lhristgeschenk." „Ei, Iüngferlein, such Dir erst einen Mann, eh Du ein Kind lein zu Dir nimmst," lachte der Alte. Aber Magdalena hatte den Arm um ihres Vaters Hals gelegt und sah ihn bittend an. Dann ging sie und bereitete das Lager für das fremde Kind. Als sie es endlich zur Ruh gebracht, warf sie sich den Mantel um und band ein wärmendes Tuch über den Kopf. „Kommt, Hans Nettelbarth, wir müssen suchen gehen," sagte sie und faßte ihn bei der Hand. Auch Luischen wollte mit. So gingen die Drei, von den Segenswünschen der Alten geleitet, in die sternklare Mitternacht hinaus. Der Schnee knackte unter den Füßen, und aus dem Munde drang der Hauch gleich einem weißen Nebeldampfe in die Luft. „Laßt mich gegen denKamm gehen, Ihr sucht nach der Hölle hin." „Nein," sagte Hans Nettelbarth, „ich hab jetzt eine andere Fährte. Oben am Berg nahe beim Iungfernsprung haben etliche Bewohner vom Niederdorf ihr Hab und Gut verborgen, ich sah kurz vorher Lichter blinken, die sich hin und her bewegten. Dort wird auch Christian Walser sein, denn er ist auf dem Wege, sich als Landwehrmann in den Dienst des Vaterlandes zu stellen und will das Seine nicht ungeschützt lassen."