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Nr. 4 Gberlausltzer Heimatzeitung 35 „Horch, es läutet — lauschend stehn die Bäume, Einer flüsterts leis dem andern zu, Dort ein Habichtpaar zur Abendrnh Steuert heimwärts durch die weiten Räume." Irgendwo ertönt noch das Hü-Hott eines heimkehrenden Landmannes. Aber bald ist es wieder still. Die Vögel schlummern und nicken auf den Zweigen. Der silberhelle Mond wird in dem Teiche festgehalten. Seine Strahlen spinnen von Berg zu Berg, von Tal zu Tal. Dis Natur läßt stumm ihre Hände sinken. Auch der Mensch hat nun sein Tagewerk vollbracht. Auch seine Hände ruhen aus von den Mühen und Beschwerden des Alltags. Bald füllt sich die Himmelskuppel mit vielen, vielen Sternen, so dicht, als sänke sie in einem leisen, lichten Sternenregen nieder. Ein riefer Friede liegt über dem herbstlichen Walde, und mein Herz spricht: „Was ist das Jagen des Menschen? Was ist sein Mühen? Allem folgt doch eine Stille, die dieser gleicht." Nur drunten im Tale plätschert der Bach. Er findet keine Ruhe, sondern eilt und eilt von Stein zu Stein in nimmermüdem Lauf. „So in deinem Streben bist, mein Herz, auch du; Gott nur kann dir geben wahre Abendruh." Der Turm zu Babel* (7>er Lettenfriedel hat ihn gebaut. Lettenfriedel? Der einen Turm bauen?! Man sollte es nicht für möglich halten, aber er hat es doch getan. Freilich, tief hat er vorerst sinken müssen, und lange genug hat er mit diesem kühnen Unternehmen auch gewartet. Denn er war ein braver Junge, der Letten friedel, das muß man ihm lassen. Das Lettenhäusel, so klein, schief und wacklig es war, war ein Friedenshäusel. Und ich denke mir: wenn der liebe Gott, wie er es früher doch gerne tat, noch durch Dörfer und Städte wandelte und einmal über diese Schwelle getreten wäre, er hätte seine Helle Freude haben müssen. Wer im ganzen Dorfe am fleißigsten und schönsten betete, das war dieLettenhanne. Wer vielleicht auf dem ganzen Erdenrund das vierte Gebot am peinlichsten befolgte, das mar der Lettenfriedel. Er ging, wie es sein Vater selig getan, allmorgendlich mit Axt und Säge in den Wald, fütterte früh die Wachtel, schmierte jeden Sonntagmorgen seine und seinerMuiterSchuheschön schwarz und fett, damit sie, wie sichs für ordentliche Christenleute ziemt, in die Kirche gehen konnten. Das weißhaarige, zu- sammengchutzelte Mütterchen versorgte das Haus und die Ziege und trieb nebenher ein paar Pfeifen Garn. Dabei war dieLettenhanne siebzig geworden und der Junge neuuunddreißig. Sie hatte sich frisch und lebendig erhalten, was mancher bei ihrem weißen Haar und den Falten auf Wangen und Stirn wohl zunächst nicht vermutete, aber nach kurzer Unterhaltung mit ihr bald erkannte. Er war groß und kräftig geworden. Aber wer Kinder aufzieht, der weiß auch, daß in ihrem Wesen etwas Unsicheres, eine rätselhafte Wandelbarkeit ist, daß ein bisher braves Kind sich plötzlich einmal so verhält, daß alle Erziehungsarbeit vergeblich aufgewendet scheint und * Aus „Die Mummelswalder", Oberlausitzer Dorfgeschichten, C. Reißner Verlag, Dresden den Eltern arge Enttäuschungen bereitet werden. DieLetten hanne hatte zwar alle Ursache, ihren Jungen für einen Felsen der Gottseligkeit und der Zucht zu halten, führte sie doch das strenge Regiment des alttestamentlichen Gottes im Hause. Und doch blieb ihr jene bittere Enttäuschung nicht erspart. Das vierzigste Jahr sollte das Flegeljahr des Jungen werden. Er tat nicht gut und tat nicht gut. Die Hanne hatte ihm aufgetragen, an die Tür des Ziegenstalles ein neues Eisenband zu nageln: denn das Schecke! war ein wilder Racker, dem nichts fest genug gemacht werden konnte. Aber Friedel schob es auf und immer auf, bis die Mutter einmal das Vergnügen hatte, mit dem Nachbarn auf das Tier eine wilde Jagd zu machen. Er vergaß, die Wachtel zu füttern. Er ging Sonntags aus, ohne die Mutter von seinem Ziele zu unterrichten. Eine Weile schaute die Lettenhanne still zu. Dann aber kreischte sie ihm täglich vier-, fünfmal das vierte Gebot mit einem angehängtenKapitelfürchterlichsterStrafandrohungen vor. Was verschlugs? Der Junge vergaß seine Pflichten und nahm früh mit Seufzen die Axt über die Schulter. Einmal knurrte er sogar, als ihm aufgetragen wurde, auf dem Heim wege ein Sacktuch voll Kamillentee zu pflücken. Von da ab stand die Lettenhanne früh und abends immer hinter ihm wie einst der Erzengel hinter den gefallenen ersten Menschen. Sie hatte zwar kein flammendes Schwert in der Hand, ließ aber dafür ihre Augen um ein paar Kerzenstärken lebhafter feuern. Was halfs? Es wurde von Tag zu Tag schlimmer mit dem Jungen. Und bald sollte dieLettenhanne die schwerste Woche ihres Lebens bestehen. Am Montag abend, nachdem sic ihr Schecke! gefüttert hatte, richtete die Lettenhanne dis „gewärmten Abern" zu. Sie zog ab und zu die kleine schwarze Eisenpfanne aus dem Ofen und rührte ihren Inhalt um. Da ging jedesmal ein magerer Geruch von gebratenem Speck in die Stube. Als sie die „Gewärmten" wieder umgerllhrt hatte, stellte sie sich vor die Uhr. „Wu dar Junge steckt, doas mecht'ch ok wissn!" Das Gericht war fertig, einhalb acht wie immer, aber Friedel erschien noch nicht. Die alte Hanne schüttelte den Kopf: „Nee, ok wu dar Junge steckn moag!" Die Ungeduld trieb sie hinaus. Da sah sic drüben vor den Sträuchern an der Lette den Friedel stehen, wie er, Säge und Axt in der Linken haltend und dir Rechte ans Kinn gelegt, sinnend das kleine Haus anschaute. „Friedel, woas süßte denn und goaffst!" Sie schlürfte wieder hinein, mit dem sicheren Gefühl, daß der Junge auf ihre Worte hin ihr folgte. Er nahm auch alsbald die Axt wieder über die Schulter, blieb aber nach wenigen Schritten noch einmal stehen und musterte das Haus. Seine Augen waren zwar weit aufgetan, blickten abersoöd,daß sie nichts von den Gedanken verrieten, die den großen strohhaarigcn Kopf durchkrochen. Da pochte dieLettenhanne an die Scheibe, daß der ungefüge alte Junge zusammenschrak und endlich hineinging. „Ach jeh!" seufzte er, als er die Axt im Hausflur ans „Häusl" lehnte. Die Mutter blieb mit der Pfanne mitten in der Stube stehen, und ihr Blick heischte von dem Eintreten den Rechenschaft über den Seufzer. Als diese nicht sogleich erfolgte, setzte sie schnell die Pfanne weg und trat vor ihn hin: Nanu, sprich mr ok, woas soll dei Geächze?" Hm, machte Friedel und wich seitlich aus. Er stierte in das Wachtelhäusel. Recht trotzig wohl: denn die Wachtel hüpfte heran bis an die Stäbchen und rief ihm zu: Fürchte Gott! Fürchte Gott! „Itz wird gassn!" befahl die Hanne.