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Aus den früheren Zeiten der Gemeinde Herwigsdorf bei Zittau*) Von A. Kühn, Zittau as ist ein Wetter jetzt! Die Sonne lacht vom blauen Himmel und in der Luft singen und jubeln zahllose Lerchen. Da hält es uns Städter nicht mehr in der engen Stube, und wir pilgern auf die heimatlichen Fluren hinaus. Beim Anblick all der Frühlingspracht um uns sind gar bald Gram und Sorgen vergessen, und auch in unser Herz ist Frühling, ist Sonnenschein eingekehrt. Du fragst, wohin wir unsre Schritte lenken? Die einen fahren „in die nahen Berge", die andern gehen zu Fuß „aufs Land". Diese gehen aus, um Vergnügungsstätten in der näheren oder weiteren Umgebung aufzusuchen: jene ziehen die trauten, stillen „Winkel" vor, wo sie sich einmal sammeln und auf sich selbst be sinnen können. — Ein solches Plätzchen ist das nahe Herwigsdorf, das darum von jung und alt gern besucht wird. Zn dem freund lichen „Gütchen" sitzt man dann bei Kaffee und Kuchen und plaudert von diesem und von jenem. Den wenigsten Ausflüqlern aber wird es dabei eingefallen sein, daß es zu früheren Zeiten hier ganz anders ausgesehen hat, und daß auch dieses Fleckchen Erde seine Geschichte hat, in der die Schicksale der braven Herwigs- dorfer wie eine Wellenlinie bald auf, bald nieder gelaufen sind. Den Schleier zu lüften und der Vergangenheit dieses Ortes in ihre schönen, rätselhaften Augen zu sehen, soll nun im Folgenden einmal versucht werden. Bon der Gründung dieserGemeinde wissen wirnichts bestimmtes. Unser ältester Geschichtsschreiber Johann von Guben berichtet nur, daß schon im Jahre 1312 Herwigsdorf bestanden hat. Da er aber erst in der Mitte und in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gelebt hat, so kann er das genaue Datum der Ortsgründung nicht angeben. Es ist aber bestimmt anzunehmen, daß Herwigs dorf schon wesentlich früher gegründet worden ist: denn auf dem schroff nach der Mandau abfallenden Felsen oder wenigstens in seiner Nähe waren sogenannte Heidenschanzen und Opferstätten. Fernerhatmanunterhalb der„Schanze"za' lreiche Fundegemacht, die darauf schließen lassen, daß schon vor 2000 Jahren Germanen dort gelebt haben. Diese haben wahrscheinlich in vereinzelten Gehöften gewohnt, die sie aus Holz und Lehm bauten und mit Stroh bedeckten. Sie lebten von Ackerbau, Zagd und Fischfang. Als sie in den Stürmen der Bölkerwand r ing nach Süden zogen und sich dort neue Wohnsitze suchten, rückten sogleich die Slawen vom Osten her in die verlassenen Gebiete ein. In der heutigen Oberlausitz ließen sich die Milczener nieder, die mit ihrem höl zernen Hakenpfluge den Acker pflügten. An sie erinnert noch der Name des Herwigsdorfer Dorfbaches: Ritschebach. Auch Ausdrücke der Mundart wie „Husche" (Gans), „Gabse" (Tasche), „knutschn" (weinen) und „bietschn" (trinken) stammen noch von ihnen. Als im Jahre 928 Heinrich I. die Slawen besiegte, machte er sich die Milczener tributpflichtig. Otto I. gründete zu ihrer Nieder haltung 958 in Bautzen die Ortenburg. Seine Nachfolger be lehnten deutsche Fürsten und Ritter mit Gütern der Milczener. Damit fing man an, die früher den Slawen überlassenen Gegen den dem Deutschtum wiederzugewinnen. Um den Boden inten siver bewirtschaften und die Gebiete besser germanisieren zu können, riefen die deutschen Edeln freie Bauern aus Thüringen, Franken, Schwaben und den Niederlanden herbei. Diese setzten dieKoloni- sation und Germanisierung auf friedlichm Wege fort und ver wandelten das Ödland in fruchtbares Ackerland. Das Geschäft, Bauern aus der Ferne für die Besiedelung onzuwerben, besorgten die sogenannten „Lokatoren". Diese haben auch in Herwigsdorf Teile des Ortes übernommen und an die einwandernden Bauern verteilt. Sie zerlegten dabei das zu verteilende Land in soviel Teile oder Hufen, als Landwirte vorhanden waren, und gaben jedem seinen Teil. Einige Hufen blieben aber als Weideland liegen, auf das der Gemeindehirt auf dem „Viebig" hinaus das Vieh trieb. * Das Manuskript ging uns im Frühjahr zu. Sein Abdruck verzögerte sich indessen bis jetzt. Die deutschen Ansiedler gaben dem Dorfe auch den Namen. Da Herwigsdorf früher aber aus drei Dörfern bestand, so erhielt jedes seinen besonderen Namen. Der älteste Ortsteil wurde Siche genannt. Daraus ist Scheibe geworden. Für das Mitteldorf kam der Name Herwygesdorf, Hertwigsdorf und Herwigsdorf auf. Das Oberdorf hieß Bertilstorf, Bertistorf und Bertsdorf. Darin steckt der Name Berthold. Wahrscheinlich hat der Lokator dieses Ortsteiles so geheißen. Die Form Bertilstorf wird in einer Ur kunde des Hospitals St. Jakob aus dem Jahre 1410 erwähnt. Nach dieser hat eine Frau Margarethe Kislingyn ihrem Schwieger sohn Hubener einige Hufen Landes vermacht. Man darf aber nicht denken, daß die Grundherren immer die selben geblieben sind. Diese wechselten vielmehr oft wie die Ein tagsfliegen. So war z. B. „die Scheibe" anfänglich im Besitze ritterlicher Herren: 1422 aber wurde sie an Peter Thomas, einen reichen Zittauer Bürger, verkauft. Oberherwigsdorf gehörte zum großen Teil einigen Zittauer Geldleuten, die für den Weg, der von der Stadt nach dem Oberdorfe führt, den Namen „Herren weg" prägten. Nur vier Gehöfte gehörten adligen Herren. Das Mitteldorf hatte ursprünglich der Herr von Leipa inne. Dieser trat es aber 1319 an den König Johann von Böhmen ab. 1366 pachtete es die Stadt Zittau für 48 Schock auf zwei Jahre: 1369 vermachte es aber Karl IV. den Cölestinermönchen auf dem Oybin. Diese erwarben nach und nach auch Gebiete im Obeichorse und in Scheibe. So kauften sie z.B. 1412 elf Güter in Oberherwigsdorf von den Geschwistern Feuring und 1482 die Niedermühle by den siegen (Stegemühle). 1495 erkauften sie sich von Nicol von Gers- dorf auf Hennersdorf und Schreibersdorf „die Scheibe vor Her- wigsdors" für 250 Mk. und 1516 von Heinrich von Schleinitz auf Tollenstein die Scheibemühle. Im Jahre 1501 erwarben sie von Wenzel von Eisersdorf, einer Zittauer Patrizierfamilie, die noch übrigen Teile von Oberherwigsdorf für nur 80 Mark. Der Rat von Zittau protestierte zwar dagegen, aber König Wenzel sprach seine Genehmigung dazu aus. Im Jahre 1600 hatten die Lölestiner ganz Herwigsdorf in ihrem Besitz. Die Bauern mußten dafür noch Zinsen zahlen, Ab gaben entrichten und Hofedienste in Drausendorf und Oybin ver richten: denn dort besaßen die Mönche ebenfalls viele Güter. Ferner hatten sie in jedem Jahre an zwei Tagen Hofefuhren zu leisten. Diese fielen gewöhnlich in die Zeit zu Ostern und Michaelis. Außerdem war es ihre Pflicht, den Graben bei der Stegemühle stets sauber und rein zu halten. Zu bestimmten Zeiten hatten sie Hühner, Schweine, Gänse, Fische, Butter, Eier, Kessel und Töpfe zu entrichten. Viele Bauern gerieten durch die hohen Abgaben und Steuern in Not und mußten Schulden machen. Endlich errangen auch sie durch die vielen Bauernerhebungen in anderen Teilen Deutschlands die Freiheit. Ein wesentlicher Grund zu ihrer Befreiung war die Ausbreitung der Reformation. Diese äußerte sich in Herwigsdorf zunächst da durch, daß der Einfluß der Cölestiner schwand. Darum verkauften sie Teile ihrer Besitzungen an die Stadt Zittau. Sie zeigte sich ferner auch darin, daß der Pfarrer Lankisch und viele seiner Mit glieder der Kirchgemeinde evangelisch wurden. Nun begann ein neues Leben für die Gemeinde. Die Predigten waren deutsch, evangelisch und wahrheitskräftig. An die Stelle des Hochamtes trat die Abendmahlsfeier: an vielen Wochentagen wurden Bibel erklärungen abgehalten. Den Gottesdienst verschönte Gesang. Aus den Totenmessen wurden die Leichenpredigten, aus den Wochenmessen die Wochenpredigten. Die Kirchgemeinde nahm fleißig an den Gottesdiensten teil. Das Patronat hatte die Stadt Zittau inne, die übrigens bis heute noch der Kollator der Her wigsdorfer Pfarrstelle ist. Ein großer Fortschritt war auch auf dem Gebiete der Justiz zu verzeichnen; denn 1523 gaben die Cölestiner dem Oberdorfe ein Schöppenbuch. Dadurch wurde eine größere Rechtssicherheit ver bürgt. Vordem war es so gewesen, daß die Lehns- oder Erblicher Recht sprachen. Da es aber noch kein geschriebenes Gesetz gab, so pflanzten sich Recht und Sitte nur von Mund zu Mund fort, und die Richter fällten oft merkwürdige Urteile. Diese Recht- sprecher hießen Schuttheiße oder Schulzen und erhielten für ihre Dienste einige Hufen Landes, für das sie keine Abgaben zu ent richten brauchten. 1571 bekam auch Mittelherwigsdorf ein