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seiner Rede unterlegt. Sie haben es hoch gebracht, auf sechs undsiebzig und auf achtundsiebzig Jahre. Und ihr Leben ist köstlich gewesen, denn es ist voll Mühe und Arbeit gewesen. Klein war der Kreis ihrer Pflichten, aber sie erfüllten sie treu und waren zufrieden. In Nöten und Sorgen war Gott ihr Beistand, und wurden ihnen Freuden beschert, so ver gaßen sie nicht, dem zu danken, der sie ihnen bereitet. In ihrem engen Stübchen war immer freundliche, milde Sonne; denn die beiden guten Leute hatten Sonne in ihrem Herzen. — Hier sehen die Grableute Handtllchel-Heinrichen mildem Koppelsack die Landstraße singend hinmarschieren und seine spaßigen Anreden fallen ihnen ein, und sie nicken mit nassen Augen: ja, sie waren so zufriedene, liebe Leute! — Nur eine Freude haben sie nicht bis zur Neige auskosten können, fährt der Geistliche fort, die Freude am Kinde. Ihr einziges Kind haben sie verloren, wohl schon lange verloren. Ihr einziges Kind ist ihnen gestorben. Gestorben? Ja, wie ein Bäumchen obstirbt, das aus seiner Erde genommen und in unbekömm lichen, sumpfigen, vergifteten Boden gepflanzt wird; denn dieser Sohn hat die Heimat verloren, den Grund, aus dem er hervorging, aus dem er lebte. Gar mancher geht in der Fremde, in der großen Welt zugrunde. Sie können nur in derHeimat gedeihen.— Dr. Grundmann und Gustl Tauscher verstanden die Worte, und die Tragödie des andern Heimat losen wird, so vorsichtig der Geistliche sie auch berührt hat, bei allen Dorfgenossen lebendig Ein lautes Auffchrein, ein Zusammenschauern aller, ein Wimmern wie von einem, dem der Todesstoß versetzt worden ist. Ein Mädchen von der Schule eilt zu der armen Frau, in deren Herzen die Wunde aufgerissen ist: Gertrud. Sie führt die Mutter hinweg. — Heimatlosigkeit, Heimatnot, zum zweiten Male erfahren es die Schollenfesten, daß das der Tod ist, der Tod für Geist und Seele. Der Pfarrer aber macht seine Rede zum Gleich nis. Unser aller Heimat ist Gott. Und wehe, wer auch von dieser Heimat sich wendet! Die ihr den Rücken schon gekehrt, umkehren sollen sie: Gott wird sie mit offenen Armen empfangen wie der Vater im Gleichnis den verlorenen Sohn. Er weiß aber, der Pfarrer, daß in seiner Gemeinde nur wenige von dieser Heimat lassen, dieser Leute Herz ist noch einfach, kindlich und dem treu, was es von Vater und Mutter mitbekommt. Zu den wenigen gehört Heinrich, denn mit der irdischen Heimat, mit Vater und Mutter, mit seinem Dörfchen, mit dem schlichten, warmen, natürlichen Geiste dieser Heimat hat er auch die in Gott hingegeben. Die Eltern haben gewartet und gehofft, bis zu ihrer letzten Stunde haben sie gehofft. Wie glücklich wären sie gewesen, wenn sie ihn, den sie lange Jahre nicht einmal mehr gesehn, als ihren Sohn hätten in ihre Arme schließen können, als ihren Sohn, als einen Menschen ihrer Art, ihrer Heimat. Er hat sich nicht heimgefunden und sie sind in Einsanckeit gestorben. Aber sie sind zusammengegangen, nicht hat eines das andere allein zurückgelassen in noch schwererer Einsamkeit. Allezeit haben sie sich Treue gehalten, sind Schulter an Schulter diese Pilger straße gezogen, und Hand in Hand sind sie auch fort-, heim gegangen zu Gott. Und wie der greise Pfarrer den Segen spricht, da singen in den Linden die Vögel so fröhlich, so hell, so jubelnd. Und allen ist es leichter ums Herz: sie sind heimgegangen zu Gott, was trauern wir? Alle, die ihre Söhne, Väter und Brüder in Feindeserde begraben wissen, sie hadern nicht mehr mit dem Schicksal, versöhnt sind sie, sie wissen: aus dem Kampf gingen ihre Lieben in die Friedensheimat zu Gott. Dann gehen sie zu ihren Gräbern. Paul Grundmann sucht auch ein Grab auf, das seines Freundes Tauscher. Tauscher hat einen Zettel hinterlassen mit der Bitte, ihn wenn möglich in seiner Heimat zu begraben. Grundmann hat es als seine letzte Freundsspflicht angesehen, den Landsmann Heimbringen zu lassen, damit er auf dem stillen Gottesacker, wo Vater und Mutter liegen, seine letzte Ruhe finde. Er hat dem Gesang- und dem Turnverein die Bitte aus gesprochen, ihrem ehemaligen beliebten Mitglied einen Stein, ein Mal der Treue zu setzen. Und seine Bitte ist, obgleich die Mehrzahl der Mitglieder im Felde stand, gern erfüllt worden. Man hat die Vereinskasse deswegen nicht angegriffen, son dern ein jeder hat seinen Teil freiwillig gespendet. Ein schlich ter Granitstein schmückt das Grab, und zwei Verse eines Liedes, das Tauscher als Kind und als Krieger oft gesungen, künden seine Heimattreue und die Not, an der er zugrunde ging: „Traute Heimat meiner Lieben, Sinn ich still an dich zurück, Wird's mir wohl, und dennoch trüben Sehnsuchtstränen meinen Blick. Traute Heimat meiner Väter, Wird bei deines Friedhofs Tür Nur einst, früher oder später. Auch ein Ruheplätzchen mir?" Durch die grünen Gattertore wallen die Menschen zurück, die ins Ober-, die ins Niederdorf. Die nach dem Niederdorfs gehen, kommen an der Friedenseiche vorbei, an dem stolzen, Kerzengraden, frischen Baume, der den Vorüberwandernden an den glorreichen Krieg von 1870 und an die Opfer des Dorfes für diesen Sieg erinnert, und auf dessen Hecke jetzt rundum Eichen- und Lorbeerkränze hängen, deren schwarze Schleifen wieder von teuren Opfern reden, von vielen, ach, so vielen! Manch eine Frau kann an diesem Baume nicht vorbei. Früher erzählte man, daß hier mitternachts das Heim chen sang, wer zu dieser Stunde vorüberging, wurde ein Stück von ihm verfolgt und erlebte in Kürze ein Unglück. Diele abergläubische Herzen gruselte es vor dem Heimchenstein, sie mieden ihn am liebsten und machten auch am Tage einen Umweg. Und nun fürchtet sich auch mancher vor der Stelle, der früher über die Abergläubischen gelacht hat: es ist un heimlich an diesem Ort. Die Geister der Gefallenen wohnen hier und stürzen sich aus Vater, Mutter, Gattin, Kind! Die Männer kommen noch am leichtesten aus dem Bann. Zu zweit, zu dritt gehen sie weiter. Sie gehören wieder dem All tag. Wie das Korn Heuer geraten ist, von den törichten Ver ordnungen der Reichsstellen für Getreideoerwertung, von den neusten Meldungen vom Kriegsschauplatz reden sie. Einer prophezeit den endlichen deutschen Sieg, der andere bleibt dabei, daß dem Ausspruche jener weisen Zigeunerin gemäß das deutsche Vaterland in Trümmer geschlagen würde. Einer nach dem andern löst sich von den Gruppen. Der Müller und Dr. Grundmann haben den weitesten Weg. Der Müller gehört zu denen, die den baldigen, gründ lichen Sieg Deutschlands erwarten. Grundmann mag ihm diesen Glauben nicht zerstören, kann ihn aber auch nicht da rin bestärken, er sagt wenig dazu. Gar zu oft hat er sich während des Krieges verrechnet. Und wie er, so die Soldaten, so die Führer bis zum Kaiser. Wie sie am Sägeschuppen noch über dies und jenes plaudern, vom lustigen Gezwitscher der Vögel umtönt, hört Grundmann sich von Heller Stimme rufen. Annel ist's, sie steht am Ge länder der Galerie und winkt ihm. Gottlobe sitzt neben ihr, gewiß den Kleinen auf dem Schoß. Da verabschiedet sich Grundmann, und sein Angesicht strahlt auf, wie er dem Heim entgegenschreitet. * * *