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Gberlauflher HeimatZeitung Är. 27 3^6 „Und wo ist Tauscher? „Er wird sicherlich in seiner Wohnung sein. In behaglicher Stimmung mag er sich nicht befinden, uns hat er begreiflicher weise mit dieser Neuigkeit nicht überraschen wollen. Jeden falls ist er wie sonst weggegangen. Wir werden ja morgen sehen." — Am andern Morgen machte sich Dr. Grundmann zeitig auf. Vielleicht konnte er Tauschern noch in seiner Wohnung finden. Auf der Treppe traf er ein lässig gekleidetes älteres Frauen zimmer, es war Frau Langer. Er fragte sie, ob sie Tauschern habe kommen oder fortgehen sehen.'„Ermuß wohl die Nacht gekomm' sein," gab sie kurz und unwillig zur Antwort. „Rum gepoltert hat's bet'm, daß mer nichmal in Frieden hat schlafen könn'I" „Ich danke!" Grundmann fühlte sich erleichtert und stieg rascher die letz ten Stufen hinauf. Er klopfte. Es regte sich nichts drin. Er klopfte stärker. Alles blieb ruhig. Da klingelte er bei Martinooskys und erkundigte sich, ob sie Tauschern an diesem Morgen schon gesehen hätten oder ihn hätten sortgehen hören. Sie wußten nichts. Noch einmal klopfte er an Tauschers Tür. Du sich offen bar niemand in der Wohnung befand, ging er. Er wußte aber, daß ihn die Sorge um den Freund den ganzen Tag nicht zur Ruhe kommen lassen würde, daher telephonierte er von der Bibliothek aus vor Beginn der Dienst zeit nach Frilles Baumschule, ob Tauscher dort eingetroffen sei. Antwort: Nein. Dr. Grundmann solle in einer Stunde noch einmal ansragen. Das tat er. Tauscher war immer noch nicht an seiner Arbeits stätte angelangt. Auch zu Mittag noch nicht. Da bat Grundmann um eine Stunde Urlaub. Ins „Elb- schlößchen" ließ er Gottloben rufen und erfuhr, daß Tauscher auch das weiße Haus nicht ausgesucht hatte. Sodann begab er sich noch einmal in das Haus in der engen Gasse. Auf sein Klopfen wurde nicht geöffnet. Wo war der Unglückliche? Grundmann mußte es nun wissen, eher wollte er nicht in die Bibliothek zurückkehren. Tauscher war . nachts hier ge wesen, bis zu Mittags noch nirgends zu finden. Er hatte viel Schweres in diesen wenigen Monaten durchgemacht und sich vom letzten Schlage noch nicht erholt, nun hatte er sich ein neues Unglück bereitet. Seine Nerven waren keine Dreier stricke. Kein Wunder, wenn ein Zusammenbruch käme! Ein Baum, dem die Wasser den Wurzelstock bloßgesplllt haben, hält keinem starken Ansturm mehr stand. Ein Wunder wär's nicht! Er könnte ja nach Mummelswalde, nach der Heimat gefahren und die letzte Zuflucht gesucht haben. Aber ehe Grund mann das erführe, käme er selbst vor Unruhe um, nein, so lange konnte er nicht warten. Zur nächsten Polizeiwache begab er sich und bat, daß ein Polizist mit ihm die Wohnung öffne. Man hielt es noch nicht für notwendig, willfahrtete dem besorgten Manne jedoch schließlich, da er alle Verantwortung übernahm. Nach einer Viertelstunde wußte Grundmann alles. Denn sie sanden den Unglücklichen noch in seiner Woh nung: er hing am Kleiderschrank. * * * 18. Kapitel. Ein Jahr ist ins Land gegangen. Uber dem Eingang zum Höllengrund steht Grundmanns Haus. Der spitze weiße Fachwerkgiebel schaut über das Tal und grüßt die Mummelswalder Bauernhäuser und Hütten als traute Bekannte, denn er ist ihresgleichen, bloß daß er jünger ist. An der Längsseite nach dem Walde zu läuft eine Galerie mit braunem Geländer. Das frischrote Ziegeldach schweift sich darüber. Vernähme man von dorther nicht die weichen Töne eines einheimischen Kinderliebes, man würde niemanden auf der Galerie bemerken. Auf den Ziegeln flimmert die Mitsommer sonne, darunter aber ists Schatten. Aus dem Grunde dringt das Rauschen des Baches und strömt ein frischer, würziger Atem herauf. Frau Gottlobe sitzt aus der Galerie und wiegt ihren Jungen auf den Knien. Da ruft der Kuckuck herüber, laut und glockenrein klingts durch die Stille. „Horch!" sagt die Mutter und hebt den Finger. Da reißt das Büdel sein Schnäbelchen auf, als wollt es mit dem Vogel um die Wette schrein, hebt das blonde Köpfchen, strampelt mit den Beinen und bringt ein schwaches ah—ah hervor. Kuckuck — Kuckuck — „Hörst du?" Und in der Sprache ihrer neuen Heimat singt Gottlobe: „Lieber Kuckuck, soj mersch ok, Wieviel Iuhre ich noa labe! Will dir garn a Brutel backen, Ich war dirsch vull Zucker sacken, War dirsch uff die Eeche häng'n, 's Säckel mußt mir wiederbreng'n!" Kuckuck—Kuckuck—Kuckuck — Kuckuck—Kuckuck — „Siehst du, Friedel, der Kuckuck singt dich ein! Wenn er hundert Jahre prophezeit hat, machst du deine Äuglein zu und schläfst, denn das langt vollkommen!" Sie legt das Bübel in die bemalte Wiege, küßt ihm die Stirn und die Händchen und schlüpft ins Haus. Denn für die Hausfrau gtbts in dieser Vormittagsstunde noch vieles andere zu tun. Ein Dienstmädchen hält Gottlobe nicht, sie fühlt, daß sich das hierzulande für sie nicht schickt. Ihr Mann riet es ihr, aber sie entgegnete: „Bin ich schon so eine alte Matrone, welche sich in nichts mehr zu helfen weiß? Unser Haus zu halten, unsere Kinder zu pflegen und zu ziehen, das sind meine schönsten Pflichten. Ich müßte mich vor den fleißigen, selbständigen Frauen des Dorfes schämen, wenn ich als „gnädige Frau" hier thronte!" Grundmann hat sich über eine solche Rede seines Weibes innerlich gefreut und gelacht: „Sie wird wirklich auch hier daheim sein wie ich, sie verfielst das Dorf." Er hat ja so ost beobachten können, wie sie mit Mummelswaldecn Geringen und Ungeschickten ganz trefflich sich unterhalten hat. Es geht ihr niemand aus dem Wege wie einer Vornehmen, und doch bringt ihr jedermann Achtung entgegen. „Freilich, so einem sonnigen und tüchtigen Weibe! Wer sollte nicht?" denkt Grundmann und ist nun wirklich im Vollbesitz des Glückes. Aber die Gertrud Tauscher ist nachmittags da als Stütze. Was ist das wieder für ein frijchsarbiges, kräftiges Mädchen geworden, seit sie wieder aus dem allen Boden steht! Und lustig ist sie auch und beliebt unter ihren Kameradinnen. Die Wunde, die der Tod des Vaters in ihr Herz geschnitten, ist so ziemlich verheilt. Gertrud fährt das Kind, besorgt Gänge und nimmt der Hausfrau manchen Handgriff ab. Heute nachmittag kommt sie nicht, denn sie muß als gute Sängerin zum Begräbnis; daher muß Gottlobe sich am Vor mittag doppelt dazuqalten. Hinter dem Hause zieht sich der Garten den Berg hinan. Die Buchenstäbe an den Rändern zeigen alle schon etwas Laub, sie werden in ein paar Jahren eine schöne grüne Hecke