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300 Gberlausitzer Heimatzettung Nr. 26 So stand in dem Briefe, welchen Grundmanns heute aus Mummelswalde erhalten halten. „Und unsereiner hockt nun hier!" sagte Grundmann. Gottlobs, die das Leben und die besonderen Kriegsnöte der Landwirtschaft kannte, erwiderte: freilich sei es schade, daß sie jetzt nicht in Mummelswalde seien und mit zugreifen könnten, aber das sei eine gewisse Periode, dann ließe die Arbeit wieder etwas nach, und das Wetter verspreche, noch weiter gut auszuhalten. „Nach dem Getreide kommen Kartoffeln, Kraut, Rüben. Dazwischen muß gedroschen, müssen die Stoppel gestürzt und hunderterlei anderes verrichtet werden. Es reißt nicht ab, und es werden nicht mehr, sondern von Monat zu Monat weniger Arbeitskräfte, menschliche und tierische. Und unser einer hockt hier! Es kommt mir vor wie Verrat!" „Du bist auch hier unentbehrlich. Du versorgst in deinem Amt die Bevölkerung mit der geistigen Nahrung, du brauchst dir keinerlei Borwürse zu machen!" „Hier bin ich ersetzlich. Das blockierte Deutschland erzeugt geistige Nahrung genügend, aber seinen Magen wird es bald nicht mehr befriedigen können." Dr. Grundmann ging hinauf nach seinem Stübchen. Auf dem runden Tische lag ein Stoß Korrekturbogen von dem ersten Teil des Geschichtswerkes, von einem Phonolithstein des Mummelswalder Hutberges beschwert. Gottlobe las meist die Korrekturen und hatte auch diesen Teil duichsehen wollen, aber ihr Mann hatte es nicht zugelassen, sie sollte jetzt immer draußen jein, solange sie noch konnte; in zwei Monaten würde sre dann viel ans Zimmer gebunden sein. Gottlobe begab sich auch jetzt wieder in den Garten, wo sie sich mit dem Dienstmädchen, das sie seit kurzer Zeit hielten, in den Gemüsebeeten zu schaffen machte, während Annel mit den Kaninchen, die ihr der Großvater zum Geburtstage ge schenkt halte, vor dem mit Tauschers Hilfe gebauten grünen Ställchen spielte. Und Dr. Grundmann machte sich über die Korrekturen. Aber er kam nicht vorwärts. Immer wieder lehnte er sich im Sessel zurück und ließ die Augen durchs geöffnete Fenster schweifen, in seinen sich am Berge hinaufziehenden Garten, oben in den Laubwald, weiter ms Himmelsblau, das den Bildausschnitt obschloß. Wollte er sich wieder über die Fahnen beugen, so wurde sein Blick durch eine starke, geheime Kraft von dem Säemann über dem Giasschrank angezogen. Da schritt der Grundmannbauer stat und mit feierlich-ernstem Gesicht über die braunen Schollen und streute die Saat körner für des Volkes Zukunft aus. Und er, auch ein Grund mann, nicht minder stark und geeignet für diesen ursprüng lichen, natürlichen und wichtigsten Beruf, er saß hier und gab sich mit Forschungen über frühere Verhältnisse derHeimat ab. Er war geflohen vor den Forderungen der Gegenwart, er übte Verrat. Er legte die Fahnen wieder hinüber aus den Bücherlisch und den Stein darauf. „Gottlobe, wir werden überfahren und Hermann abholen! Bist du dabei?" fragte er durchs Fenster. Nach wenigen Minuten stiegen sie hinab nach dem Flusse. * * * Der alte Tauscher-Tischler hatte den letzten schweren Schlag nicht überstanden und war kurz nach Eintreffen der Schwiegertochter und Enkel still hinübergegangen. Nun hatte Tauscher doch noch nach Mummelswalde fahren müssen; es war eine gar traurige Reise gewesen. Dr. Grundmann, der durch seine Eltern benachrichtigt worden war, schrieb an Tauschern, er solle Weib und Kinder daheim lassen; denn nach dem Begräbnis gab es mancherlei zu erledigen, vor allem konnte Gustl jetzt in der Erntezeit lohnende Beschäf tigung finden und die Familie war auf dem Dorfe am besten aufgehoben. Hermann selber aber solle allein zurückkehren nach der Stadt und mit im weißen Hause wohnen. Tauscher wurde wie zur Familie gehörig betrachtet, und ec hätte sich ganz wohl fühlen können, wenn diese Verände- rung nur eben nicht dieFolgeeines neuen Unglücks gewesen wäre. Der Vater war gestorben, und er hatte ihm nicht alles sagen, ihn nicht um Verzeihung bitten, nicht einmal Abschied nehmen können. Er war wieder auf die Barmherzigkeit seiner Landsleute angewiesen. Nun auch noch von seiner Familie getrennt. Und wie mochten die Mummelswalder seineFamilie ansehen? Beim Begräbnis war es ihm oorgekommen, als zögen sich die Leute von ihm zurück, als wollten sie mit ihm, dem Einbrecher, der dem Orte keine Ehre machte, nichts zu tun haben. Er gab sich zwar Mühe, seinen Gastgebern nicht durch wehleidiges und verdrossenes Wesen auf die Nerven zu fallen, aber es stand ihm doch deutlich in dem abgezehrten Gesicht und den nervösen Augen geschrieben, wie ihm zumute war. Und zwar war Grundmanns eine Veränderung sogleich ausgefallen. Nicht nur traurig, sorgen- und leidvoll waren Tauschers Mienen, sondern der unter dem schwarzenSchnurr- bart zusammengekniffene Mund und die merkwürdig fun kelnden Augen verneten Verbitterung, Verbitterung gegen das harte Schicksal. Ja, mehrfach wollte es Grundmann vor kommen, als habe der unglückliche Mensch auch gegen ihn etwas, so unfreundlich, herb war er. Grundmann nahm es ihm nicht übel. Es war wohl zu verstehen, und er war mit Gottlobe immer nur darauf bedacht, den Landsmann wieder aufzurichten. Sie gingen jetzt im Gänsemarsch den Leinpfad an der Elbe auswärts. Annel sprang, den Strohhut in der Hand, voraus, suchte flache Steinchen und versuchte Butterwecken zu schie ßen. „Vater, du mal!" Sie drückte ihm einen „feinenButter wecken" in die Hand. Der Herr Doktor kauerte sich nieder, schwang den Unterarm, und klitsch—klitsch—klitsch hüpfte der Stein über die bewegte Wasserfläche. „Das muß ich auch bringen! Zeig mir's noch mal!" Ein Wettschießen veranstal teten sie. Gottlobe sollte sich auch beteiligen. Sonst hatte sie auch gern mitgetan, heute konnte sie's nicht; sie suchte indes ein paar blaue Zichoriensterne, welche am Leinpfad standen. — „Halt, Kind!" Im Eifer hatte Annel das Nahen eines Floßes nicht bemerkt. Dos glitt lautlos vorbei. Annel winkte mit dem Taschentuch, aber die Flößer achteten nicht daraus, sie standen drei vorn, zwei am Ende des langen gelbenStangen- zuges und bewegten in langsamem Takt die langen Steuer stangen. „Tut—lut—tut," rief ein raffelnder Kettendampfer den Flößern entgegen. Die steuerten näher ans Ufer, und der großmächtige schwarze Schleppzvg kroch an der gelben Schlange vorbei. Grundmanns warteten auf den Schlepper und gingen mit ihm weiter bis an die Wachwitzer Fähre. Das Motorboot war hart ans User gezogen und mit Ketten befestigt. Der Fährmann stand im Kahn und wartete. „Warum fahren Sie nicht mit dem Dampsboot hier?" fragte Annel. „Ja, sißte, mei Kind, da braucht mer Eel, und das Ham wer nich. Bei den langen Kriech hert noch alles off! — Guten Tach, Herr Doktor! Guten Tach, gnädche Frau!" „Nun, wie geht's, Meister? Gute Nachricht aus dem Felde?" fragte Grundmann. Der Fährmann verzog das Gesicht. „Was der zweete is, der Feldwebel bei die Grenadiere, der schreibt Sie ja scheene Geschichten! Sie bringen nischt mit die Engländer." Er sah sich um, ob jemand käme, „'s is nich mehr der richtge Mumm da bei unfern Leiten. Sie Ham keene Lust mehr, 's dauert zu lange!"