Volltext Seite (XML)
Schutz den Pilzen! Bon Hans Naumann - Dresden Schirme, o Wandrer, und schone Wälder und Wiesen und Felder und Flur. Zeig allerwegen, du seist Wahrer Verehrer der Gottesnaturl Müller. des Jahres ist nun überschritten, und die Tage werden wieder kürzer. Schon fallen hie und da welke Blätter zu Boden, und die feinen Silberfäden des Altweibersommers flimmern in der Luft: Vorboten des Herbstes. Während der Blütenpflanzen im Walde immer weniger werden, beginnt jetzt eine andere Flora in Wald und Feld zu erwachen: diePilze. Noch einmal im Jahre schmückt sich der Wald, freilich — bescheidener, weniger farbenfreudig, als er es im Mai und Juni tat. Da siehst du die alten, vermoderten Baumstümpfe sich mit den bunten Büscheln des Schwefelkopfes schmücken. Oder da, die Täublinge! Wie rotköpfige Männlein schauen sie aus dem smaragdgrünen Moosrasen heraus — freust du dich nicht über dieses farbenfrohe Bild? Da steht im Kühlen Waldgrund am schmalen Pfad ein alter Stubben, moosbedeckt und rissig. Wie mächtige Dämonenarme umschlingen die Wurzeln die anstehenden Felsen. Da sitzen nun an den Rändern der Wurzeln allerliebste kleine Hallimaschpilze eng aneinandergeschmiegt und ver folgen diese bis an den Stubben, wo aus einer Spalte ein ganzer Busch großer herauswächst, einer den andern mit seinem beschupp ten braunen Haupte überragend — bringst dus über dich, in diese Gruppe roh mit dem Stocke zu schlagen, auch wenn du sie für giftig hieltest? — Dort unter den sich bis zum Boden neigenden dunkelgrünen Ästen der Tanne lugt mit kastanienbraunem Haupte der Maronenröhrling hervor. Am Bachrande steht eine Gesell schaft dünnbeiniger Lauch schwind linge, die ein Rotfuß röhrling mit seinem eleganten Haupte „beschattet". — Weiter weg im hohen Grase hat ein dickfüßiger Steinpilz sein Heim aufgeschlagen. Trotzig steht er da wie eine stämmige Matrone, und rings herum hat sich noch eine Schar allerliebster kleiner Sproß- linge versammelt, die sich ausnehmen wie die Kücken unter den Fittichen der Henne. — Und dann der Fli eg enpi lz! Vor dir stehen ein paar Heid'elbeerbüsche, deren Blätter sich schon etwas rotgelb gefärbt haben, untermischt mit rosenrot blühender Heide, und im Hintergründe mächtige dunkelgrüne Fichten, mit ihren Zweigen den Boden berührend. Und inmitten dieser farbenpräch tigen Umgebung steht ein Fliegenpilz mit purpurnem Haupt und weißen Tupfen darauf. Der König der Pilze, in Purpurmantel und Hermelinpelz, und an seinem Fuß ein kleinerer, der noch ganz in jungfräulichem Schleier gehüllt ist, und das alles im Dämmerlicht der Abendsonne — wirst du dieses herrliche Bild jemals vergessen? Möchtest du ihn misten, den König der Pilze in unseren deutschen Wäldern? — Leider aber haben die meisten Pilzsucher und Spaziergänger kein Interesse für diese stillen Schönheiten. Kaum erblickt, werden die Pilze mit Stöcken entzwei geschlagen und die Trümmer im Walde umhergestreut. Eben noch ein Bild jungfräulicher Schön heit, jetzt — ein Trümmerhaufen, Nahrung für Aaskäfer und Pilzfliegen. — Und so ist es in unserem Lausitzer Bergland, wie in den Forsten Nordsachsens, in den dichten Waldungen des Vogt landes, wie in den düsteren Erzgebirgswäldcrn. Überall findet man dieselben traurigen Spuren der Pilzsucher. Oft sind unter den zerschlagenen Pilzen auch eßbare, die die unverständigen Sammler für giftig hielten und aus „Menschen freundlichkeit" vernichten zu müssen glaubten: denn es könnte doch nach ihnen ein'anderer kommen, der die eben zerschlagenen für genießbar angesehen hätte, und so glaubt der „menschenfreund liche" Sammler ein Unglück verhütet zu haben. Diese Ansicht ist mir auf meinen Wanderungen schon vielfach begegnet. Andere wieder — vielleicht die meisten — handeln nur aus bloßem Übermut, aus dem im Menschen wohnenden Zerstörungs trieb. Es ist doch so belustigend anzusehen, wie unter den „kräf tigen" Stockhieben die Stücke fliegen, wahrlich ein Zeichen von grenzenlosem Unverstand und Roheit. Muß denn jedes Natur gebilde, das uns nicht unmittelbaren Nutzen bringt, vernichtet werden? Soll denn unser ohnehin schon genug mißhandelter und verhunzter Wald noch mehr verarmen und veröden? Überlegte sich der Betreffende nicht, daß vielleicht nach ihm einer kommt, der gerade für die zerschlagene Art Interesse hat? Eine andere Unsitte ist die, daß viele Sammler und Wald- spaziergänger jeden Pilz, den sie nicht ohne weiteres für genieß bar halten, umbrechen, ausreißen und dann nach kurzer Prüfung wieder wegwerfen. Auf diese Art, Pilze zu sammeln, werden eine Unmenge schöner Pilze nutzlos vernichtet, und der Wald ist wieder um ein wenn auch bescheidenes Schmuckstück ärmer geworden, wie schon um so viele. — Ein richtiger Sammler muß die eßbaren Schwämme von den giftigen schon dem äußeren Ansehen nach zu unterscheiden wissen, nicht erst, nachdem er Dutzende von ihnen unnütz vernichtet hat. Was läßt sich nun gegen diese leider so weitverbreiteten Unsitten und irrigen Ansichten tun? Zunächst lerne man endlich einmal einsehen, daß unser deutscher Wald, wie schon oben gesagt, durch die Forst- und Beerenkultur so verarmt und verödet ist, daß ihm jedes, auch das unscheinbarste Schmuckstück erhalten werden muß. Man lasse sich, wie gleichfalls schon oben erwähnt, nicht durch den Gedanken beeinflussen, es könnten andere Sammler die von uns für giftig erkannten Pilze für eßbar halten und dadurch sich und ihre Familie ins Unglück stürzen. Ein echter Sammler wird stets nur solche Pilze eintragen, die er ganz genau kennt. Die Vergiftungen, die leider immer noch, wenn auch nicht mehr so häufig wie früher, vorkommen, sind lediglich auf Leichtsinn und vor allem auf Unkenntnis zurückzuführen. Darum arbeite man lieber an der Verbreitung der Kenntnis unserer Pilze, besuche Borträge und Lehrgänge, wie sie jetzt in jedem größeren Orte abgehalten werden, und lege sich ein gutes Pilzwerk zu. Ein zweiter Gedanke wäre der, schon in der Schule der Heranwachsenden Jugend klarzulegen, daß die Pilze — auch die giftigen — Naturgebilde wie alle anderen sind und deshalb nicht sinnlos vernichtet werden dürfen. So wird schon jedes Kind den Fliegenpilz ganz genau kennen und ihn von jedem anderen sofort unterscheiden können, aber es weiß: der Pilz ist giftig, also fort mit ihm! Gerade der so allge- mein bekannte Fliegenpilz, von dem jedes noch nicht schulpflich tige Kind schon aus Märchen, Bilderbüchern usw. weiß, daß er giftig ist, kann am allerwenigsten verkannt werden. Und da er mit seinen lebhaften Farben einen so schönen Schmuck des Waldes darstellt wie keine andere Art, so ließe sich sein Schutz unschwer durchführen, indem die Kinder auf diese Schönheit aufmerksam gemacht werden: Anders die giftigen Doppelgänger von genießbaren Pilzen, wie z. B. der K nol lenblät 1 erschwamm, der wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Champignon schon oft von Unkundigen mit diesem verwechselt worden ist. Aber vermöge seiner oft beschuppten Oberhaut, den weißen Blättern und der Knolle an seinem Fuße wird ihn der Kenner sofort von seinem kostbaren Nebenbuhler unterscheiden können. In diesem Falle also ließe sich eine Scho nung weniger leicht durchführen. Weiterhin bilden dieTäud - linge eine schwer unterscheidbare Piizgruppe. Der seiner Sache nicht ganz sichere Sammler, der zugleich Naturfreund ist, wird diese Pilze, die übrigens mit ihren meist roten Häuptern gleich falls recht belebend auf den Waldboden wirken, stehen lassen und schon aus ästhetischen Rücksichten zu erhalten suchen. Wer sich eben an Pilzen vergreift, die er nicht, kennt, iftselbst schuld an etwaigem Unglück. Aber das ist doch noch lange kein Grund für die anderen, allen giftigen Pilzen den Krieg zu erklären, gleichgültig ob sie schön oder un scheinbar sind, llnd wer wirklich glaubt, aus Menschenfreundlich, keil giftige Pilze vernichten zu müssen, wird herzlich wenig er reichen, mag er zertrümmern, so viel er will: es werden immer einige stehen bleiben, neue schießen aus dem Boden, und dem Unkundigen ist so wenig geholfen wie zuerst. Und darum, dies ist der Zweck meiner Zeilen: man freue sich lieber an diesen be scheidenen Vertretern unserer heimatlichen Flora und suche sie auch an seinem Teil zu schützen, bilden sie doch einen nicht zu verkennenden Schmuck unseres herbstlichen Waldes.