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hatte ihm das Blut zu Kopfe getrieben. Er pustete, besann sich aber sofort seiner Würde, zupfte an den Hosen, damit der Bruch wieder scharf wurde, strich sich das Haar zurecht und zwirbelte von frischem den Schnurrbart. Tipp topp mußte sein Außeres sein. Er bildete sich dann gern ein, daß der innere Mensch dem äußeren entspreche. Obgleich er doch selbst unter die Leuchten der Menschheit gehörte, hatte er noch keine Ahnung davon, daß große Geister immer den Sinn auf das Große, Innerliche, Wesentliche lenken. Der tipp-toppe Kommis steckte noch in ihm. Frau Elisebah war wieder in den Sessel zurückgesunken. Doch nur die hundertfünfundachtzig Pfund schwere Körper hülle; denn die Seele war entschlüpft in das Herz der Heldenbraut. Herr Heinrich sprach laut ins Telephon und schön leise zu der hübschen Emma, die einem Spaß nicht abhold war. Das Gespräch dauerte eine gute Weile, bis der blaue Junge seine Braut an den Altar führte und der Dichter beiden ein glückliches, wonniges Eheleben bis an ihr seliges Ende ver sprach ; denn da flatterte Elisebahs Seele vergnügt zurück und rief nach dem Gatten. — Da er auf seinen Brief an Tauschern nach drei Tagen noch keine Antwort erhalten hatte, entschloß sich der Fabri kant, nach dem weißen Hause zu fahren und zu sehen, was „der tolle Schwärmer", „der drollige Fritze" mache, ob er sich nun zu vernünftigen, mit deutschem Ehrgefühl verträg lichen Anschauungen bekehrt habe. Grundmann, der diesem Landsmann die Freundschaft gekündigt hatte, sah sich überrumpelt und führte tatsächlich den Gast in sein Zimmer. Während Heinrich körperlich sich immer mehr der Kugelform genähert hatte, war Grundmann abgekommen. In seinem gebräunten Gesicht lagen Falten, der Kragen war zu weit, die hohe Gestalt hagerer und eckiger geworden. Tauschers Unglück hatte ihn schwer ge troffen, ihm schlaflose Nächte bereitet und ihn noch viel un zufriedener mit seinem Dasein gemacht. Dies verriet auch sein mürrisches, wortkarges Wesen. Heinrich hatte sich vorgenommen, den Unwissenden in der Tauscherschen Angelegenheit zu spielen. Da aber Grund mann von selbst nicht darauf zu sprechen kam, mußte er ihn daran erinnern. „Und das ist also erwiesen?" fragte er, nachdem er die Zeitungsnotiz erzählt hatte. Grundmann nickte mit finstrer Stirn. „Leider!" „Es ist unbegreiflich! Unbegreiflich! Der über die Schlechtigkeit der Welt Entrüstete schlug sich mit beiden flachen Händen die runden Schenkel. „Geradezu unfaßbar von einem Menschen, der, wie du doch mal sagtest, den braven Kerl spielt. Aber so sind sie, die Brüder, äußerlich brav, gefällig, abe^ innerlich verfault! Und wenn sie ihre Sozisversammlungen halten, du! Du bist nicht Unternehmer und kennst die gefährliche Bande nicht! Gesindel, in'n Schützengraben gehört's!" „Wer?" „Wer? fragst du da! Leute wie dieser Schandkerl!" „Tauscher?" „Nu, wie tust du denn! Er ist's doch eben, der den Ein bruch begangen hat? Wie der Kerl es fertig gebracht hat, deine Güte fortgesetzt in Anspruch zu nehmen, dir überhaupt ins Gesicht zu sehen! Aber so sind sie, jawohl! Und wenn man der Blase Tag zehn Mark zahlte, knurrten sie „Hungerlohn!" genau, wie sie's jetzt tun! Denk mal, was so'n Arbeiter früher verdiente, so vor dreißig Jahren! Und was man ihm heute zahlt. Man sollte denken, sie erstickten im Gelde! Statt dessen brechen sie sogar noch ein!" „Immer richte! Richte!" sagte Grundmann mit ver haltenem Zorn. Desto höher schäumte des Gerechten Wut. „Sag mir nur, Grundmann, bist du denn nicht geradezu vom Schlag ge troffen worden, wie du das von deinem Landsmann gehört hast? Bon dem Manne, der in deinem Hause ein- und ausgegangen ist? Aber das Tollste: so ein Einbrecher stellt sich hin und heult dem Gericht was vor von Heimweh! Hat man so was unerhört freches — nee, noch toller ts es beinah, daß die Richter auf solchen Ulk reinfallen! Das sin ja Waschweiber, aber keine Richter! Und die Kerle feixen sich was, die Herren Einbrecher, Diebe, Räuber, Mörder, wenn sie dem gestrengen Herrn Richter eine Komödie vor gespielt haben! Das kam früher nicht vor, da wußten die Richter noch, wozu sie da waren. Aber die heutigen Gefühls- duselisten — hast's hier wie in der Politik, wie ich dir das schon mal klar gemacht habe —, die Waschweiber, die züchten ja geradezu die Verbrecher! Heimweh! Ha, ha, ha, gottvolle Zeiten!" Grundmann bezwang sich immer noch, aber es siel ihm sehr schwer, die Ader auf seiner Stirn war angeschwollen, und seine Stimme klang heiser, als er fragte: „Das ver stehst du nicht, nicht wahr?" „Nee, allerdings nicht! Man is keen Kind mehr! 'n Mann und Heimweh! Man hat anderes im Kopfe als nach der Mutter zu schrein wie'n Wickelkind. Man steht draußen im feindlichen Leben, muß wetten und wagen und kann nicht träumen. Ich weiß, das is jetzt so eine Schwärmerei um die Heimat; Heimatschutz, Heimatfeste, und was sie da alles für Kram aus'n Markt bringen! Und dabei lassen wir uns draußen den Buckel vollhauen. Weg mit der guten, alten Zeit! Weg mit der Heimweh flennerei! Wir gehören der Welt. Nu ja, is nich so? Wir sind international, wir haben —" „Und engherzige Patrioten, alldeutsche Chauvinisten!" konnte sich Grundmann nicht enthalten, einzuw erfen. „Ach nu, das is wieder was anderes! Aber als Kaufmann ist man international. Und stets voran, neuzeitlich. Wie soll man sonst konkurrieren! Ich weiß ja, dir fehlt auch der Sinn dafür. Der Großvater lief auf Schusters Rappen nach Leipzig, wenn's sein mußte. Ja, das ging damals. Heute heißt's: Zeit ist Geld. Das erste, was ich mir nach dem Krieg anschaffe, is 'n Auto. Also ich mein': weg von der Heimat, nicht kleben wie ne Fliege aus 'm Leim. Hat denn dieser Tauscher nichts zu arbeiten gehabt? Es hat doch jeder Mensch alle Hände voll zu tun! Wenn er Arbeitslust gehabt hätte, da hätte sich genug Gelegenheit gesunden. Und da hätte er nicht Zeit für solche Duseleien gehabt und wäre vielleicht kein Einbrecher geworden!" „Schimpf ihn nicht Einbrecher! Ein Mensch, dem eine sonnige Kindheit in seiner Heimat geschenkt wurde, der dann durch den Krieg in die Fremde verschlagen wurde, wo er infolge seiner Unbeholfenheit, Gutmütigkeit, Ehrlichkeit nicht Wurzel fassen kann, ein Mensch, gegen den die Ver hältnisse und die fremden Menschen der Großstadt rück sichtslos und hart sind wie gegen einen Feind, ein Mensch, der in dieser Not täglich nach dem Lande seiner Kindheit entflieht, nach der Heimat, von der er sich getrennt sieht wie von seiner verstorbenen Mutter, ein solcher Mensch ist, wenn er in einer schweren Stunde den Halt verloren hat, noch lange nicht ein Verbrecher wie irgend ein anderer? Nicht zu mild ist das Gericht gegen ihn verfahren, sondern zu hart. Aber es ist ja nun überstanden!" Heinrich war Grundmann nur dankbar für diese Vertei digungsrede, die ihm das Spiel erleichterte. „Hm," machte er,