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Die Heimatlosen Roman von Oskar Schwär (Fortsetzung) Heinrich sah die Zeitungen durch. Er suchte die Anzeigen seiner neuen epochemachenden Er- finduug. Es war immer derselbe Text bei den Anzeigen, aber er las eine wie die andere. Er hatte einen tüchtigen jungen Mann im Kontor, der hatte ihm den Text aufgesetzt, meisterhaft, sodaß das Herz des Erfinders vor Stolz und Wonne bebte. Und was mußten erst die Laien sagen, wenn sie das lasen. Mit Henryakum wars vorbei. Die Welt erwies sich als unreif für sowas und als undankbar. Für den nächsten Winter war nichts zu hoffen, hatten doch ein paar Zeitungen diese herrliche Erfindung als Schwindel angegriffen. „Jerusalem, Jerusalem, wie oft habe ich dich retten wollen, -aber du hast nicht gewollt!" rief er aus, als er die schmäh liche Verunglimpfung las. Er wollte den elenden Zeitungs schreibern den Prozeß machen, aber schließlich taten sie ihm leid, und er ließ es bleiben. Ein paar tausend Stück hatten die Reifenden ja an die Frauen auf dem Lande verkauft. Aber mit dem Eisernen Kreuz erster Klasse und gnädigen Handschreiben Seiner Majestät war's nichts. Herr Heinrich hatte also was Neues erfinden müssen; denn die Hufnägelherstellung allein füllte seinen regen Geist nicht aus. Aus Schilderungen des Kriegerlebens hatte er ersehen, daß die Soldaten im Schützengraben und im Feld lager ost der notwendigsten Gerätschaften ermangelten. „So etwas verbittert die Leute, raubt ihnen die Kampflust," dachte Heinrich und ersann Abhilfe. Ein Universalmöbel erfand er. In einer flachen Pappschachtel war das Ganze bequem mitnehmbar, der Soldat konnte es in den Tornister packen oder daran hängen wie eine Feldpostschachtel: denn dieses Ganze bestand aus weiter nichts als mehreren feld grau angestrichenen Blechtafeln, Stäben und Schrauben und einer gedruckten Gebrauchsanweisung. Wer diese mit Verstand durchlas, konnte als Zauberkünstler aus dem Inhalt der Schachtel alles mögliche machen. Einen gewöhn lichen Eßtisch, das war einfach eine aus den Tafeln zu sammengesetzte Platte, die man auf das Stativ schraubte; dieses konnten sich die langen Kerls von der ersten Kom panie hoch, die von der zwölften tief stellen. Die Platte konnte man schräg einstellen und schon hatte man den schönsten Schreibtisch. Eine sinnreiche Konstruktion des Tisches gestattete, ihn durch ein paar Handgriffe in ein längliches Waschbecken zu verwandeln. Dieses konnte bei der Kavallerie zugleich als Pferdekrippe verwendet werden. Wer sich Hühner hielt, was in der Etappe vielfach vorkam, der benutzte es als Nest für das eierleqende Haustier. Bei Sturmangriffen stülpte man es noch über den Stahl helm, dann war der Kopf gegen jede Kugel geschützt. Den Offizieren konnte diese Einrichtung als Eiskübel dienen, in dem sie den Champagner kühlten. In jeder nur erdenk baren Lage leistete die Heinrichsche Erfindung dem Krieger irgendeinen wichtigen Dienst. Sie stellte eine hervorragende nationale Tat dar. Die Geburt der großen, völkerbeglückenden Idee war denn auch würdig gefeiert worden. Nicht nur Sektpfropfen hatten geknallt, nicht nur der arme Lohengrin, der Waffen schmied, Mignon, Agathe des Grammophons hatten bis zu ihrer Erschöpfung feierliche Arien singen müssen: abends hatte Heinrich die in knisternde Seide gehüllte Elisebah ins Zentraltheater geführt, wo sie entzückt den erhebenden Versen lauschten: „Es war im Mai, im schönen Mai, da pocht das Herzchen, doch bricht es nicht entzwei!" Das lag nun alles schon einen Monat zurück. Heute meldete der Inseratenteil der Blätter von Heinrichs neuestem Erzeugnis. Reisende waren unterwegs, sie bearbeiteten das flache Land, dort gab's immer noch Menschen, die sich von gewissenlosen Kaufleuten gründlich einseifen ließen. Das Geschäft würde schon wieder klappen, für eine Weile wenigstens; denn ehe die guten Kriegerfrauen aus den Schützengräben ein schriftliches Donnerwetter erhielten, weil sie auf solchen Schwindel reingefallen waren, und ehe dann die Sache allgemein bekannt wurde, verging eine ganze Weile. Diese mußte ausgenutzt werden. Daher gedachte derFabrikant noch einige Arbeitskräfte einzustellen. Nach der letzten Musterung hatte man ihm wieder zwei junge Leute weg geholt. Daran dachte Heinrich eben, wie er mit der Faust auf den Tisch schlug, als sei seinem Hirn ein neuer genialer Gedanke entblitzt. Frau Elisebah fuhr zusammen und starrte ihn mit ihren schwarzen Augen an. „Hans!" „Verzeih, Lieschen!" „Was hast du denn?" „Na, hm, eigentlich weiter nichts. Interessiert dich nicht. Da ist hier einer erwischt worden bei einem Einbruch." „Ja, alle Tage liest man von Einbrüchen. Die rohen Menschen! Ach, die Welt ist so verwahrlost, so schlecht!" „Der Kerl da stammt aus Mummelswalde." „Aus Mummelswalde? Was?" „Nette Landsleute, das muß man sagen! In'n Kontor eingebrochen, einhundert Mark gestohlen und erzählt, er hätte dafür heimfahren wollen. Heimweh! Und sowas glauben die Richter !" „Nein, du machst Spaß!" „Weiß Gott! Das Gericht erkannte die Heimatnot des Mannes als einzigen Beweggrund zu seiner Handlung und verurteilte ihn zu vier Wochen Gefängnis, wovon drei als verbüßt gelten! — Ist das nicht rührend?" „Dann braucht man sich nicht zu wundern!" Er drückte auf den Klingelknopf. „Da haste recht. Aber ich will mir mal den Kerl merken. — Emma, bringen Sie mir doch mal das Adreßbuch! — Ja, es ist ja doch möglich, daß der Kerl sonst seine Sache macht. Er ist nämlich nicht etwa im eigenen Geschäft ein gebrochen, sondern beim Herrn Nachbar, is doch aller Ehren wert. Ich meine, es is schließlich nicht gefährlich, wenn einer den in die Fabrik nähme. — Ich danke, Emma!" ,.Na!" Er suchte im Adreßbuch. „Tauscher Tauscher —Her mann aber nicht. Oha, das ist wohl der gute Mann, hm, hm. 's is gut, Emma, schaffen Sie den ollen Sckinken wieder weg! — Das Bankgeschäft war doch genannt." Er überzeugte sich noch einmal im Blatt. „Ja. Also schön, ich frag mal tele phonisch an, ob dieser Tauscher noch dort beschäftigt wird, und erfahre seine Adresse. Siehst du, Lieschen, wenn der Kerl aus'm Küttchen kommt, is er sicher zu haben." „Und er wird froh sein, wenn er überhaupt eine Beschäf tigung findet. Er kann doch als ein unsichrer Mensch keine Ansprüche stellen. Bedenke das, Hans!" „Klar, 'ne Gnade is es geradezu, wenn man so einem fraglichen Bruder Brot verschafft! Wird ne billige Arbeits kraft!" Er stützte sich mit beiden Händen auf die Sessellehnen, daß es knackte, und kam zum Stehen. Die Anstrengung