Volltext Seite (XML)
r?4 Gberlaufltzsr Heimatzettung Nr. 2^l Zeitrechnung. Lysander hatte am Ziegenfluffe die Streitmacht der Athener gebrochen, die Akropolis genommen und kehrt nun mit reicher Beule beladen nach seiner Heimatstadt am Eurotas zurück. Aber mit ihm hallen die Erynnien ihren Einzug, und die „goldene» Vögel der Athene" bedrohen ernstlich die spar, tonische Sittenreinheit. Schon hat der Minister Gylippos einen Teil der Beute widerrechtlich an sich gebracht. Lysander hält es daher für geboten, für seine Person dos Festhalten an der alten Einfachheit besonders zu betonen. Er möchte daher, daß seine Töchter die ihnen von Philostratos als Geschenk des Tyrannen Dionys von Syrakus überbrachten Prunbgewänder zurückweisen, möchte aber andererseits seinen Bundesgenossen nicht beleidigen. Er verheißt der athenischen Kri gsgesangenen Melitta, die seine Töchter erzieht, die Freiheit, wenn sie die Mädchen zum freiwilligen Verzicht bringt. Sie ist aber die Iugendgeliebte des Philostratos und soll seine Hausfrau werden, und in seinem Interesse soll sie die Mädchen zur Annahme der Geschenke bewegen. Dieser Zwickmühle entzieht sie sich mit listigem Witz, erlangt die Freiheit, den Gemahl und sogar die beiden Prunkgewänder. Das Ganze ist in gefällige Vers- spräche gekleidet. Der Gegensatz zwischen überfeinerter albeni- scher Kultur und spartanischer Urwüchsigkeit ist sehr wirksam entwickelt. Die sorgfältig? Inszenierung des Herrn Melchtnger verdient uneingeschränkte Anerkennung, wenn auch Ly'anders Haus die trotsche Stilechtheit vermiffen ließ. Die Domen Milde, Held und Rohn-Ressel sowie die Herren Hof. mann und Brandt erfreuten durch erstklassige Leistungen- Hieran schloß sich eine ganz vorzügliche Wiedergabe von Friedrich Lienhards Schelmenspiel „Der Fremde". Dies ist der mittlere Teil einer wundervollen Eulenspiegeltrilogie. Das Werk erzielte bereits im vorigen Sommer einen unbe strittenen starken Ersolg, der sich aber diesmal noch ganz erheblich vertiefte. Im Wesentlichen ist das ein Verdienst Egon Lindenaus. Er hatte nicht allein als Spielleiter eine bemerkenswerte Summe künstlerischer Arbeit geleistet, sondern gab auch darstellerisch etwas den Tagesdurchschnitt turmhoch Überragendes. Er ging dem Schaffen des gemüt vollen Dichters bis in die letzte Wurzelfaser nach und legte dem Narren kristallisierte Lebensweisheit in den Mund. Erne glänzende Type war seiner Arno Hofmann als Löwenwirt. Hilde Held (Kunigunde) und Karl Burger (Hans) ver vollständigten die Reihe der ausgezeichneten Darst.Ner. Die stattliche Znschauermenge folgte beiden Dichtungen mit de- merkensnvrter Anteilnahme und ehrte die Mitmukenden durch lcbbaite Ane-k-mvuna Bruno Reichard. i»amailiiiiiaiaiiiiiiaii»miniiiiailiimmaiiaoiniiirniniii>iaaiiiiiiiiiiiiiammiaiaiiiaiii Die unglückliche Gräfin Eine rätselhafte Geschichte aus der sächsischen Oberlausitz Mitgeteilt von Oberlehrer Fr. Bernh. St örzn er-Arnsdorf war vor ungefähr 80 Jahren. Da ging in der Ober- lausitz Sachsens ein dunkles, märchenhaftes Gerücht von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus. Eine geheimnisvolle Erscheinung ließ sich hie und da erblicken. In den Städten Bautzen, Zittau, Löbau und in den nächsten Städten des Grenzlandes Böhmen hielt sich kurz nacheinander eine polnische Gräfin auf, die viele Millionen als Vermögen besaß und die genannten Städte durchreiste, um sich einen Gatten zu suchen. Doch nirgends hat sie einen solchen ge funden. Ihre Erscheinung hatte etwas Furchtbares und Gräß liches. Niemand hielt sich in ihrer Nähe auf und jeder mied ihren Umgang: denn ihr Rumpf trug einen — Totenkop f. Ein skelett artiges Gesicht grinste wider Willen den Nächsten an. Man hielt dieses verbreitete Gerücht über jene polnische Gräfin mit dem Totenkopf für ein erfundenes Märchen. Doch die Sache beruht auf Wahrheit, wie der damals weltberühmte Operateur Ioh. Fr. Dieffenbach im 4. Hefte der von ihm heransgegebenen „Opera tiven Chirurgie" vom Jahre 1845 ausführlich berichtet. Er erzählt darin folgendes: „Es sind 4 Jahre her, als mich spät abends drei Fremde, ein Pole, eine Polin und eine Italienerin, zu sprechen wünschten. Die Polin, tief verschleiert, befand sich im Hintergründe, die Italienerin führte das Wort und sagte: „Die Unglückliche dort wünscht Herrn Dieffenbach allein zu sprechen." — Darauf zogen sich die beiden anderen Personen wieder zurück. Mir gegenüber stand nun lautlos die schwarz verschleierte Gestalt. Sich ängstlich umsehend, ob auch niemand in der Nähe sei, schlug sic, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, den schwarzen Schleier in die Höhe. Ich habe viel Schreckliches in meinem Leben gesehen, hier aber bebte ich wirklich zurück vor dem, was ich sah: denn ein Toten kopf, wie ich noch keinen auf einem lebenden Rumpfe erblickt, stand vor mir, wider Willen grinsend, mit skelettartigem Gesicht. Das ist das Lied einer 18jährigen Jungfrau, des Gliedes einer glücklichen, glänzenden Familie, deren einziges Unglück sie war. Die furchtbare Entstellung ihres Gesichts war in frühester Kind heit durch Skropheln (Drüsengeschwulst) herbeigeführt worden. Statt einer menschlichen Stimme entströmten dem Loche im Gesicht, das als Mund gelten sollte, nur zischende, unartikulierte Töne, doch begriff ich, ohne ihre Sprache zu verstehen, was sie wollte, da sie ihren Finger nach meiner Nase führte. Bei diesem Anliegen befand ich mich in großer Verlegenheit, mehr noch beschämte mich das Gefühl, der Unglücklichen auch nicht die kleinste Verbesserung ihres gräßlichen Zustandes verschaffen zu können. Da ich ihr die Unmöglichkeit einer Hilfe durch Pantomimen — sie verstand nur polnisch, ich nicht — ausdrückte, erfolgte eine erschütternde, herz ergreifende Szene, und als ich dann ihre Leute zu meinem Bei stand herbeirief, umgab sie sich eiligst mit ihrem schwarzen Schleier, denn nur in diesem ließ sie sich selbst vor ihrer eigenen Familie erblicken. Ich teilte darauf dem Bruder und der treuen Gouver nante, die französisch sprachen, die Unmöglichkeit einer Operation mit, empfahl eine künstliche Larve und machte somit dieser selt samen Szene, die noch jetzt in meinem Gedächtnis lebt, ein Ende. Am anderen Morgen reiste ich nach Wien. Kaum dort ange kommen, trat mir diese gräßliche Erscheinung wieder entgegen. Ich erlangte hier wenigstens, daß der große Künstler Carabelli ihr ein kunstvolles Gebiß und eine Gummiplatte machte, wodurch das Essen erleichtert und ihre Sprache deutlicher wurde. Hieraus kehrte sie in ihr Vaterland zurück, suchte mich jedoch später aber mals auf, um mich von neuem um eine künstliche Nase anzuflehen. Diesmal konnte ich nicht widerstehen und machte mich mithin an eine Operation. Der Erfolg war ein nicht erhoffter. Die Operation gelang und gab der Unglücklichen wirklich weues Leben wieder. Sie ging kühn unter die Menschen, besuchte unverschleiert, mit Blumen in den Haaren und mit dem Bewußtsein, mir durch ihre unerschütterliche Standhaftigkeit eine Operation abgedrungen zu haben, welche ich für unmöglich hielt und durch deren glücklichen Erfolg ich mich gehoben und belohnt fühlte!" Hiermit schließt Dieffenbach*) seinen interessanten Bericht über die Gräfin mit dem Totenkopfe. Auf welche Weise aber der ebenso edle und menschenfreundliche, als in seiner Kunst wohl unterrich tete Operateur endlich die Bille der unglücklichen Gräfin erfüllte und ihr nicht nur eine Nase schuf, sondern auch die übrigen Ent stellungen ihres Gesichtes hob, erregt noch heute die höchste Be wunderung jedes Sachverständigen. Noch heute gibt es Leute in der Oberlausitz, die von jener selt samen Erscheinung zu erzählen wissen. Man hat später nie wieder etwas von jener polnischen Gräfin gehört und gesehen. Sie scheint ihr Vaterland nie wieder verlassen zu haben, in das sie zurück kehrte. — *) Dieffenbach wurde am 1. Februar 1794 zu Königsberg geboren, studierte feit 1810 zu Rostock und Greifswald Theologie, diente 1813—1815 als freiwilliger Jäger und studierte seit 1810 Medizin, besonders Chirurgie in Königsberg, Bonn und Wurz burg. Er ließ sich später in Berlin nieder und erlangte einen Weltruf ass Chirurg. 1830 wurde er dirigierender Wundarzt einer chirurgischen Abteilung des Eharitee- krunkenyauses uns 1840 ordentlicher Professor nud Direktor der chirurgischen Klinik daselbst. Er starb den »I. November 1847. — Dieffenbach befand sich in Berlin, als sich das zutrug, was er in dem von ihm herausgegebenen Fachblatte erzählt. — MttMllliMllMUMMIllMUlM'MIMMIlMIllMUMMttlMttiMMMUMUMlUMMlMttttttM „Schafft eins tüchtige, kerngesunde fugend, die ihren Leib wie eine kostbare, güldene Schale hält, dann wird euer Dolk das glückliche wie früher werden."