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durch den Turm; aber die Neuzeit stellte leider neben ihn ein mächtiges Tor hin. Der Turm stammt wohl — nach Angabe der Bau- und Kunstdenkmäler, Heft Löbau — aus dem Jahre 1698 oder zumindestens aus dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts. Wie ich neulich durch den dortigen Glöckner erfuhr, schämt sich die Gemeinde ihres Kirchturms ob seiner Kleinheit und kann es noch nicht fassen, daß das Ministerium einen etwaigen Abbruch verboten hat. Nun die Kirche selbst. Äußerlich ist sie ein rechteckiger Bau mit dreiseitigem Ost abschluß und entstand Anno 1776—1777, nachdem die vorherige um 1500 erbaute abgetragen worden war. Auf der Mitte des Walmdaches sitzt ein eleganter Dachreiter, der angeblich von der Heiligengeistkirche in Bautzen herrühren soll. Die Mauerflächen sind durch lange Rundbogenfenster und ovale Ochsenaugen lieb lich belebt. — Anmutig und gefällig wirkt auch das durchweg hell gehaltene Innere mit seinen beiden auch um den Altar herum geführten Emporen. Der Altar besteht aus einer rankenverzierten Pilaster- und Pfeilerordnung, die einen kreuz- und vasen bekrönten Rundbogen trägt. Dazwischen eine große Nische mit lebensgroßem Kruzifix, über welchem auf einer Tafel steht: „Siehe, das ist Gottes Lamm" usw. Dieses weiß, golden und grün gehaltene Werk schenkte 1777 Frau Christiane Luise von Gersdorf geborene von Hochberg auf Kleindehsa. An der Süd seite befindet sich die Kanzel, empirisch einfach und würdig aus gestattet. Ihre Vorderseite ziert ein Täfelchen mit der Bezeichnung: „das Wort ward Fleisch Johannes!" Auf dem Schalldeckel prangt ein Sockel mit Wolken und Kränzen. Hinter dem Altäre ziehen in hübscher Anordnung Betstuben hin und verdecken die Emporenstiegen. Uber den Altarplatze schwebt ein lebensgroßer, teilweise vergoldeter Taufengel mit Spruchband, beschriftet: „Lnnctus, Lnnctus, 8anctu8 68t OöU8 Oominu8 ^sbnotli!", der bei Gebrauch herabgelassen wird. Gestiftet wurde das hübsche Werk 1743 von Hofrat Johann Georg Rausch. — Die Orgel ist neueren Datums und verträgt sich mit der ganzen Ausstattung weniger. Früher befanden sich in derKirche noch einige Epitaphien, die jetzt in das Löbauer Museum gewandert sind.— Auf dem säkularisierten Friedhöfe liegt westlich des Turmes ein uralter Grabstein, bestehend aus einer Granitplatte, darauf ein vertieftes Kreuz und: „1571 Höchstwahr ¬ scheinlich ist er das Denkmal der Frau des Bonaventura von Luttitz, dem 1561 Lawalde gehörte. Oybiner Erstaufführungen Auch die zehnte Spielzeit des Oybiner Waldtheaters bringt eine ganze Anzahl von Werken heraus, die dort noch nicht zur Aufführung gelangt sind. In der vorletzten Woche allein waren es deren zwei, und zwar völlig entgegengesetzter Art. Beiden sah man in Kunstkreisen mit einem gewissen Miß trauen entgegen. Das angebliche Lustspiel „Im weißen Röss'l" von Blumenthal und Kadelburg, das in Wirklich- keil ein richtiggehender Schwank ist, bricht mit den bis- herigen künstlerischen Überlieferungen des Unternehmens, aber nur „der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe". Ich habe es äußerst ungern mit angesehen, daß es nun doch da draußen seinen Einzug gehalten hat. Doch werden wir wohl oder Übel darüber hinwegsehen müssen, da die wenig günstige Witterung des laufenden Sommers der Waldtheaterleitung manchen bösen Streich gespielt hat und man auch von den wertvollsten Überlieferungen leider nicht satt wird. Schließlich muß auch zugegeben werden, daß die Sache glimpflicher ablief, als wir befürchtet hatten und daß die Auf- führung der ziemlich zahlreichen Besucheischar unsagbares Per- gnügen bereitete. Die Menge erwies sich als außerordentlich dankbar und überschüttete die Hauptdarsteller oft bei offener Szene mit lebhaftem Beifall. Einigermaßen gespannt konnte man sein, wie die Spielleitung den Regenschauer deichseln würde, der am Schluffe des ersten Auszugs einzusetzen hat. Einen Schnürboden gibt es natürlich bei der Freilichtbühne nicht; eine zwar primitive, aber ganz sinnreiche Hilfseinrich tung half über die Schwierigkeit leidlich hinweg. Die Aufführung hinterließ nachher darstellerischen Seite einen hochgediegenen Eindruck. Die Spielleitung (Alfons Melchinger) hatte mit bemerkenswertem Fleiß gearbeitet und höchst reizvolle Bühnenbilder geschaffen. Außerdem schoß der genannte Künstler als Darsteller des Giesecke bei weitem den Bogel ab. Er stand an dieser Stelle erstmalig vor einer derartigen Ausgabe, entwickelte aber mit den einfachsten und natürlichsten Mitteln von der Welt einen zwerchfellerschüt ternden Humor, der seinesgleichen suchen dürfte. Er fand von Seiten der Damen Milde, Held und Huwart, sowie der Herren Brandt, Lindenau und namentlich auch Karl Burger wirkungsvollste Unterstützung. Das „weiße Röss'l" hat jedenfalls in dieser hübschen Aufmachung auf der Oybiner Waldbühne Bürgerrecht er worben, und die Leitung wird vermutlich bei jeder Aufführung sagen können: „Del Ieschäft is richtig!" Lessings „Nathan der Weise", dessen Erstaufführung am 6 August stattfand, begegnete beschämender, aber leider be zeichnender Weise einer sehr spärlichen Anteilnahme. Ver schiedentlich geäußerte Bedenken, daß die Dichtung sich szenisch dem Rahmen unserer norddeutschen Waidlandschaft schwer ein fügen will, haben unzweifelhaft eine gewisse Berechtigung, kommen aber in demselben Maße auch für „Iphigenie" oder „Sappho" in Betracht, die bekanntlich hier ganz besonders tiefe Wirkungen hinterlassen. Und tatsächlich denken wir auch hier während der Ausführung gar nicht daran, daß wir gar keine Dattelpalmen, sondern nur Kiefern und Fichten vor uns haben. Auch die für die im Sultanspalaste sich abspielenden Vorgänge geschaffene Szenerie ist so beschaffen, daß wir über gewisse Unzulänglichkeiten gern hinwegzusehen geneigt sind. Auch hier hat Alfons Melchinger etwas Großes geschaffen, das seinen Namen sür immer mit der Geschichte des Oybiner Waldthealers verbinden wird. Eine Wahrnehmung jedoch müssen wir ganz besonders betonen; roch niemals haben wir von der Dichtung an sich einen so ungetrübten und zusammenhängenden Genuß gehabt, wie gelegentlich dieser prächtigen Aufführung. Sie spielte sich nahezu ohne die geringste Unterbrechung hintereinander ab. Keine durch spanische Umbauten bedingte Pausen zersplitterten die Aufmerksamkeit. Groß und wuchtig zog der tiefe Gcdankengehalt der Dichtung an uns vorüber und eindringlich das schöne Ebenmaß der Lessingschen Quinäre. Glänzend war auch jede Einzelleistung, allen voran Alfons Melchinger in der Titelrolle. Sein „Nathan" darf sich dem der besten Fachgenosscn ebenbürtig zur Seite stellen; das gleiche gilt für Cölcstine Andröe-Huwart bezüglich ihrer Doja. Eine wundervoll subtile Studie war seiner der Klosterbruder Egon Lin den aus, sorgfältig herausgemeißelt der Derwisch Friedrich Carlmayrs. Der Patriarch, wie ihn Arno Hof mann zeichnete, war eine groteske Gestalt, etwa im Stile William Hogarths, aber mit großer künstlerischer Feinheit und Folgerichtigkeit durchgssührt. Vornehm und würdevoll, jeder Zoll ein König, gestaltete Walter Brandt den Sultan Saladin, und Stefanie Rohn-Ressel als Sittah war ihm eine hohsitsvolle Schwester. Hilde He ld als liebenswerte Recha und Karl Burger als ziemlich kratzbürstiger Tempelritter vervollständigten den Reigen der ausgezeichneten Darbietungen in bester Weise. Das wie gesagt leider wenig zahlreiche Publikum blieb vollständig im Banne von Dichtung und Aufführung; der Beifall überstieg den örtlichen Durchschnitt ganz wesentlich. Der vorletzte Freitag hatte wieder eine ziemlich ansehnliche Menschenmenge angelockt, die anscheinend, und zwar nicht mit Unrecht, so eine Art literarischen Ereignisses erwartete. Zur Aufführung gelangten zwei Einakter, von denen der erste eine Neuheit darstellt. Es handelt sich um ein historisches Lustspiel, das sich „Lysanders Mädchen'^ betitelt und aus der Feder des bekannten Bühnenfachschriststellers I. B- Widmann stammt. Es gehört zu des Verfassers „modernen Antiken", und spielt in dem alten Sparta am Ende des 5. Jahrhunderts vor unsrer