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Die Heimatlosen Roman von Oskar Schwär (Fortsetzung) fMAUas aber an Menschenglück zugrundegerichtet wird", fuhr Dr. Grundmann fort, „das läßt sich nicht zahlenmäßig angeben, das läßt sich überhaupt nicht so leicht erkennen, man kann wohl nur zufällig hier.und da einen Blick in die Not tun, die als Grundwasser unter der Menschew ansammlung steht." „Meine Praxis hat mir manchen Einblick ins Leben der Städter gewährt. Ich habe auch gefunden, daß mancher sich hier die Flügel verbrannte, der auf dem ruhigen Lande, in dem festen sozialen Bau der kleinen Dorfgemeinschaft wohl bestanden haben würde. Aber ich glaube, das waren schon nicht die Kräftigen, von ihnen hätte die Welt sowieso nicht viel erwarten können!" „Ob viel oder wenig, aber doch etwas! Gut, also zu Tauschern! Als Kriegskrüppel war er gewiß nicht mehr derselbe, der er früher gewesen war. In seiner Heimat aber wäre er ein braver Mensch geblieben, hätte sein Selbstgefühl und seinen Lebensmut bewahrt und, wenn auch in beschei denem Maße, am Ausbau unseres ruinierten Vaterlandes mithelfen können." „Ruinierten Landes?" fragte der Rechtsanwalt und ließ sein Staunen über diese Wendung deutlich merken. „Ja, selbst wenn wir den Krieg gewonnen hätten!" „Sie sehen heute alles Grau in Grau, lieber Herr Doktor! Aber dann denken Sie mal an sich selbst! Sie wurden auch von dem Riesenmagneten angezogcn " „Und bin, wie Sie mir ruhig glauben dürfen, genau so elend wie mein armer Landsmann! — Nur", fuhr Grund mann in strengem Tone, sich selbst einen Verweis erteilend, fort, „nur gehöre ich zu denen, die ihrer Mutterscholle aus eigenem Entschlüsse den Rücken kehrten und sich in den großen Strom warfen, und die selbst verantwortlich für die Folgen sind. Tauscher wurde durch sein Unglück, durch den Krieg, jedenfalls durch eine stärkere Macht heimatlos, ich durch eigenen, durchaus nicht notwendigen Entschluß." Mit plötzlich verändertem Tone fügte er hinzu: „Doch ist es bei mir noch nicht zu spät. Aus meiner Großstadteinsamkeit gibts noch eine Rettung. Dies will ich bedenken und die Konsequenzen ziehen!" * * * 14. Kapitel. Am Abend sah Dr. Grundmann den Arbeitsnachweis der Zeitungen durch. Tauscher mußte sofort nach seiner Frei sprechung sogleich einen neuen Dienst antreten können, sonst würde ihm sein Leben als ein elender Trümmerhaufen er scheinen und er würde nicht Mut und Kraft besitzen, um dar aus eine neue Existenz auszurichten, sondern vollends ver zweifeln. Es sollte aber jetzt nur eine Notbrücke zu dem wirklichen, festen Lande geschlagen werden. Denn Grund mann war durch das Gespräch mit dem Rechtsanwalt ins Reine mit sich gekommen: er hatte nach langem, vergeblichem Suchen erkannt, daß es eine Wahlheimat für ihn nicht gab, daß er Ruhe und wahres Glück nur auf der Vätcrschollc finden konnte. Zurück nach diesem einzigen Stück Erde! Zurück zur Natur! Zurück zu den Herzen, die mit dem eige nen gleichen Schlag halten, die aus dem gleichen Boden ge wachsen sind! Und er wußte, anders ist auch meinem unglück lichen Freunde nicht zu helfen. Doch mußten sie beide mit der Rückkehr in die alte Heimat sich gedulden bis zum Frie den. Bis dahin hieß es ausharren. Und in dieser Frist hieß es auch sich vorbereiten, die neue Existenz in der alten Hei mat vorbereiten. Denn die Heimkehrenden waren Männer mit Familien und nicht Fräuleins, die, wenn sie draußen nicht fanden, was sie suchten, einfach ins alte Nest zurück kommen und Haustöchter spielen. Den ganzen folgenden Tag brachte Grundmann damit zu, für Tauschern eine Stelle zu suchen, die ihn bis zu dem sehn süchtig erwarteten Tage der Heimkehr nährte. Er hatte Mühe) denn obgleich Arbeitskräfte aller Art gesucht wurden und Grundmann warm für seinen Landsmann sprach, ja bat, waren die Arbeitgeber doch mißtrauisch. Einer, der sich zum Einbruch verleiten ließ, ist doch immer unsicher. Wer kann garantieren, daß der Mann nicht wieder solchen Fehltritt be geht? Soll man sich denn Hasen in den Kohlgarten setzen? Endlich sand er eine Stelle. Bei einem Baumschulenbesitzer sollte Tauscher als Pförtner und Hausmann zu angemessenem Lohn antreten. Grundmann begab sich sofort zur Frau Tauscher, um ihr und ihrem Manne die wichtigste Sorge zu nehmen und einen Lichtblick in die Zukunft zu schenken. Von seinem letzten, großen Plane sprach er noch nicht. Erst wenn die Verwirklichung nahe bevorstand, sollten Tauschers damit überrascht werden. Dann erst kehrte er nach Mummelswalde zurück. Der überfüllte Zug fuhr mit einstündiger Verspätung in Dresden ab, auf den meisten Stationen mußte er über die fahrplan mäßige Naltezeit warten, denn eine ganze Völkerwanderung von den Städten nach landwirtschaftlichen Gegenden hatte eingesetzt: mit Rucksäcken, Koffern, Körben, Krügen zogen die Hamster aus. Da trug manch einer in der Brüthitze Über zieher oder Wettermantel, aber in den besonders für diesen Zweck eingenähten großen Taschen konnte man immerhin ein paar Pfund Getreidekörner, erwucherte Butter oder Eier, die gleich am Orte der Versteigerung gekocht wurden, vor den Augen der selbst in den Zügen kontrollierenden Polizisten verbergen. Auch in Dr. Grundmanns Abteil befanden sich solcher- weise ausgerüstete Hamster. Die Männer rauchten gemischte Kräuter, deren scharfer Qualm an die herbstlichen Kartoffel- krautfeuer erinnerte, und machten Politik. Die Weiber er zählten von niederträchtigen Gendarmen, die armen Hamstern teuer erworbene Butter und Milch weggenommen hatten, und fluchten auf die Bauern, die an Fettsucht zugrunde gingen und Wucherpreise forderten. Auf jeder Station gab's einen kurzen aber hitzigen Kampf zwischen den Insassen des Abteils und den neu Hereindrängenden. Die Fahrt war eine Qual. Und doch perging sie Grund mann sehr schnell, zu schnell. Denn daheim hatte er noch eine schwere Pflicht zu erfüllen. Er mußte sich ihrer auch gleich entledigen, damit man ihm nicht etwa von unberufener Seite zuvorkam und Unheil anrichtete. So saß er noch an demselben Abende beim Tauscher-Tisch- ler. Wie der Arzt vor der Operation des Kranken das Herz erst genau untersucht, ob es die Anstrengungen des operativen Eingriffs auch ertragen kann, so prüfte Grundmann im Ge spräch des alten Mannes Widerstandskraft. Dann erzählte er schlicht und sachlich, in welche Not er selbst und Hermann in der Großstadt getrieben würden, wo sie in den Herzen der fremden, anders gearteten Menschen keine Heimat finden könnten. Und wieder wie der Arzt gebrauchte er ein Be- täubungs-und Beruhigungsmittel: Lange werde es nicht mehr dauern, dann kehrten sie beide nach Mummelswalde zurück.