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Die Heimatlosen Roman von Oskar Schwär (Fortsetzung) awohl, das is noch das einzig Gute!" fiel die, welche eigentlich scheuern wollte, begeistert ein. „Ein wahres Glück is das und nun wirds ihnen mal heimgezahlt, was sie an mir gesündigt haben! Das is die Vergel tung!" Seit sie ihren netten Eduard und mit ihm einige Taler eingebüßt hatte, stand ihr Vermietzimmer leer, und daran waren allein die törichten Dörfler schuld, welche keinen Spaß verstehen. Es gab also doch noch eine Gerech tigkeit in der Welt, das befriedigte sie, und sie konnten nun wirklich den Reinigungsprozeß vornehmen. Frau Langer tauchte ihren Hader ins Wasser und fletzte mächtig über die schieferigen Dielen, damit ja die Berbrecherbazillen, womit Tauschers diesen heiligen Fußboden verseuchen könnten, weggeschwemmt würden. Einmal trat Gustl Tauscher heraus. Aber die beiden schossen ihre vor sittlicher Entrüstung lodernden Blicke auf sie ab, sodaß sie sofort wieder hinter ihrer Tür verschwand, wie man einen Hund, der einen Eintretenden belästigt, mit drohender Gebärde zu Rande jagt. „Hm, haben Sies gesehn, die verheilten Augen?" fragte die Kehrende. „Der sieht man an, daß da was Arges los is!" ant wortete Frau Langer mit unverhehlter Schadenfreude. Sie wand den Hader aus. „Ja ja ji ja ja!" rief sie und wand fester, daß ihr die Adern auf den Armen heraustraten, und immer fester und mit richtiger Gier, als hätte sie die Hände an die Kehle ihrer Todfeindin gelegt. „Ja ja ja ja ja, jitz kommt die Vergeltung!" Die andere besann sich, daß die Frau von unten ja viel leicht noch garnichts wisse. Sie räumte ihren Besen auf, schloß sorgfältig die Tür und eilte hinunter. Es wäre aber möglich, daß Frau Martinoosky Wich tiges vergäße, fiels der Frau Langer ein; besser wäre es jeden falls, wenn auch sie zugegen sei. Vor allem könne sie dank ihres Umgangs mit Tauschers sicherlich manches erklären, was die andern beiden nicht durchschauten. Also wischte Frau Langer die übrigen Stufen nur noch großzügig und eilte dann auch hinunter. Natürlich paßten sie den Inngen scharf auf. Am andern Morgen pflanzten sie sich wieder, diesmal beide mit Besen, auf der Treppe auf und warteten aus Fritz, der ja zur Schule mußte. „Na, Kleener, was is eich denn zugestoßen?" fragte ihn Frau Martinoosky mit wahrer Leichenbittermiene. Fritz aber antwortete nicht, sah die Weiber nicht erst an, sondern sprang zwischen ihnen hindurch und in großen Sätzen die Treppe hinunter. „Aha, hm! Frecher Bruder, verstockt wie sein Alter! Wie die ganze Sippschaft!" machte Frau Langer ihrem Arger darüber Luft, daß ihre Neugier nicht befriedigt worden war. Aber Frau Martinoosky tröstete sie: „Na, das kommt schon alles noch ans Licht. Und noch viel, viel mehr, als wir jetzt ahnen. Morgen wissen wir vielleicht, mit was für Leiten wirs zu tun gehabt haben! — Huh!" Sie schüttelte sich, das war das Grauen des Gerechten vor dem Ungerechten. So schnell ging es indessen nicht; nach drei Tagen geschah etwas, was die guten Flurnachbarinnen in Erstaunen und ihre Häupter in eine anhaltende Schüttelbewegung versetzte: Gustl Tauscher kam mit einem ziemlich ruhigen Gesicht und einem warenvollen Handkorbe nach Haus. „Haben Sies gesehn? Die tat. als wenn nirscht gewesen wär! Den Leiten is alles egal! Die haben keen Ehrgefiehl! Oder sie is froh, daß sie den Kerl in Nummer Sicher gebracht haben? Aus den Leiten soll eens klug werden! Ich sog Sie bloß soviel: das sinn Komeedchenspieler.Komeedchenspieler!" „Und was sie da für einen Haufen Sachen brachte! Ge räucherten Fisch, rochen Sies nicht? Und weiß Gott, Kon serven, eine ganze Anzahl Büchsen! Konserven, denken Sie, was die Kasten!" „Ratierlich!" machte Frau Martinoosky mit vielsagender Gebärde, „wer sich auf diese Weise Geld macht, kann kosen! Die teiersten Sachen!" Ja, das war nun mal eine harte Nuß zu knacken! Die beiden Frauen mühten sich redlich und versuchten es mit allen möglichen Methoden, sie preßten und drangsalierten ihre Gehirnlappen, wie wenn sie aus einem Scheuerhader den letzten Tropfen herauswinden wollten. Alles vergeblich! * * * So müssen Landferien sein! BlauerHimmel, warme Sonne, ab und zu ein reinigendes Gewitterund ein herrlicherSommer- reqen. Beschäftigung in Garten oder Feld, Streifen durch Fluren und Wälder, immer im innigen Verkehr mit der Natur und natürlichen Menschen. Da bräunt sich die Wange, der Körper erfrischt sich, die Seele erheitert sich. Solche Land ferien sind eine Gnade! Grundmanns genossen diese Gnade dankbaren Herzens und in vollen Zügen; auch Gertrud, denn ihrem Großvater gings wieder besser, des Arztes Maßnah men schienen von Erfolg zu sein. Da zuckte ein Blitz aus heiterem Himmel hernieder. Grund mann war gerade mit einem russischen Kriegsgefangenen dabei, ein Fuder Heu abzuladen, als ihm der Briefträger ein Schreiben mit der Siegclmarke der Kriminalbehörde überbrachte. Da dem Kriminalbeamten nur eine Person bezeichnet worden war, mit welcher Tauscher in der letzten Zeit innigen Verkehr gepflogen hatte, nämlich der Biblio thekar Dr. Paul Grundmann, ersuchte man diesen um Aus kunft über den Verhafteten. Grundmann zeigte sich über den Inhalt dieser Zuschrift bestürzt und mar froh, daß er sich mit dem Russen allein im Hofe befand. Die begonnene Arbeit führte er noch mit zu Ende. Dabei beruhigte er sich etwas und überlegte, was er zur Rettung seines Freundes und Landsmannes tun könne. Zunächst beschloß er, eine schriftliche ausführliche Darstellung von Tauschers durch den Krieg herbeigeführtem Unglück zu geben, seinen schlichten, geraden Charakter, sein Heimweh, seinen guten Leumund in Mummelswalde zu schildern. Doch wie er sich der Stunden erinnerte, wo sie gemeinsam von Jugend und Heimat geschwärmt, da ward ihm klar, daß er nicht nur als Leumundszeuge in Betracht komme, sondern seinen Schuldanteil an dem Fall des Freundes habe. Diese Erkenntnis trieb ihm das Blut von neuem zu Kopfe, denn sie belastete sein Gewissen schwer. Er mußte hin und sich an klagen. „Jawohl, ich will sofort hin und m^ine Mitschuld bekennen!" sagte er zu sich. Auch dachte er an Tauschers Familie, der er sofort erste Hilfe leisten müsse, wenn nicht noch Schlimmeres geschehen sollte. Bei dem beschränkten Zugverkehr war es unmöglich, noch an demselben Nachmittag nach Dresden zu gelangen. Grund mann fuhr also wieder mit dem Russen hinaus auf die Wiese. Erst zum Feierabend erklärte er Gottlobe und seinen Eltern, daß er am nächsten Morgen dringlich nach Dresden fahren müsse. Den Grund der Reise werde er ihnen später mitteilen.