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. So hat der Tscheche besonders an den Grenzen sein slavisches Volkstum unterstrichen und die deutschen Gaueinit einem Gürtel tschechischer Agitatoren und slavischer Kolonisatoren umkreist, um von den Grenzen aus systematisch nach dem Innern vorzudringen. — „Zittre, Wien, um deine Mauern ist der Eisenring gezogen!" Heute scheint es wieder wahr werden zu wollen. Seit es in meiner Umgebung ruchbar geworden ist, daß ich in der böhmischen Lausitz gewesen bin, ist man verschiedentlich mit Tragen an mich herangetreten: ob es ratsam sei, einmal hinüber zu gehen; ob es Schwierigkeiten mache, hinüber bezw. herüber zu kommen: ob cs noch immer ein gutes Glas Bier und eine billige Flasche Wein drüben gäbe: ob die ff. Wiener Küche von ehedem noch immer im Schwünge sei: wie es sonst um die Ernährungs verhältnisse stehe: wie die Preise seien und eine ganze Anzahl anderer, darunter auch sehr verschwiegener Fragen hat man an mich getan. Was die verschwiegenen Fragen anbelangt, so habe ich mit ebensolcher Verschwiegenheit die Antworten gegeben. Ein Teil der übrigen Fragen ist bereits durch die vorhergegangenen Ausführungen beantwortet worden, blieben also noch die—sagen wir einmal Leib- und Magenfragen. Sie nahmen natürlich den breitesten Raum ein. Kein Wunder bei den kärglichen Krippen einerseits, die uns hier hüben vorgesetzt werden, daß man nicht übel Lust empfindet, nach einem andern Planeten auszuwandern, und bei den wohlfeilen Düften anderseits, die einem noch von einst aus der böhmischen Küche her in der Nase hängen. Allen den Fragern soll gleich zu Ansang klärend gesagt sein, daß man natürlich auch drüben ein „Vor dem Kriege" und ein „Nach dem Kriege" streng unterscheidet. Ja, vor dem Kriege! — Kein Bautzener oder Sohlander kann ohne stillen oder lauten Seufzer der Zeiten gedenken, wo er an freien Tagen gen Hains pach pilgerte und sich für eine Krone einen ganz possierlichen Be gleiter für den Heimweg antrinken konnte. Und wer mehr den gastronomischen Genüssen huldigte, der bekam in Schluckenau oderRumburg oderWarnsdorf oder in jedem andern böhmischen Grenzort für „eine Krone fünfzig" ein voluminöses Schnitzel mit Kraut, vorangehender Suppe und nachfolgendem Pflaumenkom pott, inklusive zwei Glas Böhmisch und eine Virginia und das Trinkgeld für den „Zoahlkellner", der einen, wie seine beiden Kollegen, der „Spsisenkellner" und der „Bierkellner", mit der ausgesuchtesten Höflichkeit von der Welt behandelte. Wer aber fünf Kronen anzuletzen vermochte, der konnte sich samt Frau und Kindern ein richtiggehendes Menü mit einer Flasche Resosko und allem übrigen Zubehör leisten. Etwas derartiges ist heute nach fünf Kriegs- und einem Revo- lntionsjahre natürlich nicht mehr zu finden und wohl auch nicht zu verlangen. Immerhin, in den Gasthäusern braucht man »ach keiner Seite hin Not leiden. Du bekommst noch ein wirkliches Glas Bier, vier Zehntel und — Bier. Wenn man zum ersten Male das schwere Glas wieder in der Hand hält, schielt man unwillkürlich mit innerem Auge nach den Borkriegsjahren, und wenn alle Lausitzer Männer bei uns hüben wüßten, wie das Bier schmeckt, ich fürchte, die Kurve der verbotenen Grenzüber- trittsfällc würde mit tollem Sprunge nach oben schnellen. — Aber ich will nichts gesagt haben, denn nichts wäre mir peinlicher, als auf solche Weise den Zorn der Grenzbeamten und Ehefrauen auf mich zuzuziehen. Du bekommst weiter eine noch immer gute, nicht teure Flasche Wein. Vor allem wird dir die reichhaltige Wein karte in die Augen stechen, die Namen aufweist, deren Klang du längst vergessen hast. Besonders wohltuend berührt dich, daß du für mittelmäßiges Geld noch allerlei vorzügliche Süßweine kre denzt erhältst. Überhaupt, an Spirituosen —das missen wir selbst diesseits der Grenze sehr gut — hat es drüben keine Not. Für !5 Kronen bekommst du in jedem Laden eine Flasche Rum, für t,50Kronen jedweden Likör, Boonekamp, Eierkognak und selbst Chartreuse nicht ausgeschlossen. Wenn du aber noch eine halbe Krone drauflegst, darfst du dir einen echten französischen Kognak leisten. Aber gerade die Branntweinfrage hat ihren Haken. Den hatte sie zwar von jeher, aber heute in besonderem Sinne. Sie ist nachgerade identisch mit der Pascherfrage. Es ist nicht zu viel behauptet, wenn man sagt: Neunzig Prozent aller von Böhmen nach Sachsen geschmuggelten Waren sind Spirituosen. Wir Grenz bewohner, die wir Tag und Nacht die Grenzerslinten knallen hören, haben einigermaßen ein Bild vom Grenzschmuggel, aber eben nur einigermaßen. Wenn wir einmal einen rechten Einblick in den wahren Umfang der Pascherei machen könnten, wir würden erschrecken. Tausende von Arbeitslosen nähren sich sest Jahren von diesem überaus lohnendenGcschaft. Nähren sich? Siegclangen dabei zu ganz hübschen Ersparnissen, vorausgesetzt, daß sie — was freilich in der Regel der Fall ist — ihren Verdienst nicht ebenso leicht vertun, wie sie ihn erworben haben. Der gewerbsmäßige Pascher besitzt eineTechnik in seinem Fache, von der der gewöhn liche Sterbliche keine Ahnung hat, weshalb er auch immer selbst durch die engsten Maschen des Grenzschutzes schlüpfen wird, und er entwickelt eine Todesverachtung, welche mit der unserer Front kämpfer erfolgreich zu konkurrieren vermag, nur daß eben die Motive Beider verschieden sind. Man versteht nicht, wie cinMensch für eine Flasche Schnaps sein Leben und seine Familie zugleich aufs Spiel setzen kann, aber solche Typen charakterisieren gar treff lich die Blindheit unserer geldgierigen Tage. Die Schnapsfrage Deutschböhmens hat aber noch eine zweite Schattenseite: unsere böhmischen Nachbarn leiden bekanntlich weit mehr unter Mangel an Kartoffeln als wir, was sicher etwas bedeu ten will. Man führt dies unmittelbar auf die umfangreiche Brannt weinerzeugung und dito -Schmuggel zurück. Die tschecho-slowa- kische Republik kauft für schweres Geld Kartoffeln im Auslande, läßt indessen die einheimischen verschachern und in Branntwein verarbeiten und ermöglicht so das Schmuggelhandwerk. Die not leidende Bevölkerung protestiert zwar immer wieder gegen diese verkehrte Wirtschaftspolitik, erreicht damit aber ebenso wenig wie in Sachen der deutschen Schule. Doch zurück insGasthaus! Du erhältst weiter eine Tasse Bohnen kaffee mit reichlich Zucker und Sahne von einer Güte wie sonst nirgends. Ein Kcnner, dem ich das sagte, machte den Zusatz „außer in Brüssel!" Ich lasse dies gelten, weil es dem Kaffee drüben um so mehr Ehre macht. Was man zu essen bekommt? Ach so, Ver zeihung, ich sprach immer nur vom Trinken (woraus ich keine persönlichen Schlüsse ziehen zu wollen bitte). Ja also: alles. Bei uns auch? Eingestanden. Aber du brauchst drüben weder Brot-, noch Fleisch-, noch Kartoffelmarken. Bei uns auch nicht? Pst! so etwas denkt man sich nur. Ja, aber während du samt Kellner und Wirt bei uns ständig Gefahr läufst, eingelocht zu werden, kannst du drüben vor aller Äugen und mit dem ruhigsten Gewissen deinen Schweinebraten und deine Platte mit diversen Würsten essen und niemand krümmt dir darob ein Haar. Bis hierher klingt die Sache ziemlich rosig, übler wird es, wenn man nach den Preisen fragt. Im allgemeinen gilt, daß man drüben im Gasthaus weit teurer lebt als bei uns, mindestens um fünfzig Prozent teurer. Es ist natürlich schwer, die Preise in Zahlen an zugeben, weil sie nicht nur in den verschiedenen Orten, sondern auch in den verschiedenen Lokalen verschieden sind, und wenn hier trotzdem eine Speisenkarte ausgeführt wird so geschieht dies mit de», ausdrücklichen Bemerken, daß die Preisangaben durchaus keine Norm darstellen. Es kosten also beispielsweise: 1 Graupensuppe I Portion Rindfleisch mit Zmiebelkraut 7-- I Beefsteak mit Ei 12.- „ 1 Wiener Schnitzel 12.- „ l Portion gebratene Leber 8.- „ 1 Stück trocken Brot ('/- Schnitte) . . -.50 „ 1 Tasse Bohnenkaffee (weiß) .... 2.40 „ I ganzes Glas Bier -.80 „ 1 Schnitt Bier -.60 „ I Tschei l.20 „ 1 Tee mit Rum 1.40 „ l Kognak 1.50 „ 1 französischer Kognak 2.— I Chartrcuse 1.50 „ Wenn hierzu noch bemerkt wird, daß die tschechische Krone 80 deutsche Pfennige zählt, wird man sich immerhin ein Bild von den Preisen machen und nicht uninteressante Vergleiche mit den Verhältnissen diesseits der Grenze ziehen können.