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Nr. 18 Gberlausitzev Helmatzsttung 211 Wie lieb ich Dich, mein Sachsenland! Oberlausitz, wie bist Du so traut! Sachsen vor den Wahlen 1920. XAs scheint, als sollte der Wirrwarr in Deutschland immer schlimmer werden! Sehen wir die Tageszeitungen durch — so ist jede Partei ihrer Behauptung nach die einzig unfehlbare. Vor mir liegen die Hamburger Nachrichten — da stellt der Bauernführer Dr. Heim Forderungen an das deutsche Volk auf — die einem — wer es gut mit Deutschland meint — das Herz im Leibe lachen machen könnten. Du Bauernführer aus Bayern — Deine Rede ist ein Heller Trompeteuton! Ihr Leute in Stadt und Land, hört auf und spitzt die Ohren: Nicht vom Nichtstun und revolutionärer Gewalt — sondern von der Zusammenarbeit Aller hängt Deutschlands Wohl ab. Arbeiten wir nicht — verkürzen wir unsere Arbeitszeit weiter — so werden wir — sagt Dr. Heim mit Recht — gar bald ein Dreckhaufen ge worden sein! Landsleute, das darf nicht sein, jeder an seinem Platze tue jetzt, was seine heilige Pflicht ist — als deutscher Manu: Er sorge, daß unser Vaterland — daß Deutschland nicht zum Gespött und Gelächter unserer Feinde wird! * -k- * Dieser Tage kam ich wieder einmal unter die Blutbuche in der Dresdener Heide — der Wind brachte mir ein Stück Papier zugetriebeu — auf dem stand in alter ungeschnör- kelter Handschrift folgendes geschrieben: Weckruf an alle Deutschen! „Nur das Volk, das sich selbst aufgibt, ist verloren." Deutschland gibt sich nicht selbst auf! Deshalb rufen mir auf zur Mitarbeit am nationalen Wiederaufbau unseres Volkes. Die Rechte und Lebensmöglichkeiten des deutschen Bürger tums in Stadt und Land zu schützen und die Wohlfahrt der deutschen Gesamtheit zu fördern, betrachten wir als unsere vornehmste Aufgabe. Für zunächst: Jedermann trete an zur Wahl! Nicht nur Recht — heilige Pflicht ist es, zu wählen! Deutsche— wählt deutsch! Dann wird Deutschland gesunden, ein neues Morgenrot wird über Deutschlands Zukunft leuchten! Landsleute, ich saß und las dies — unter dem Baum, wo einst die Richter der heiligen Vehme gesessen haben. — Ich bin kein Richter, aber als ich zurück dachte, mußte ich mir doch sagen: In der Reichshauptstadt Berlin hat man seiner Zeit das Menschentum nicht verstanden! Ein neuer Bismarck tut uns not — drum jetzt aber auf zur Wahl — wählt deutsch!!!! Allen meinen Landsleuten rufe ich zu: Seid eingedenk! Wir haben Herrliches begraben, Die wir doch kämpften Hand in Hand; Laßt halten uns denn, was wir haben: Ein einziges deutsches Vaterland! O laßt noch einmal euch beschwören: Vergeßt der großen Väter nicht; Auf Gottes Stimme laßt uns hören, Die laut in unsren Herzen spricht! Macht Leid und Not euch taub und blind? O denket, daß wir Deutsche sind! A. M., Mitglied der Landsmannschaft Oberlausitzer, Dresden. Es wird alles liederlich Bon TheklaWenzel hätte vor drei Jahren noch dieses Wort als eine N » ( Prophezeiung angesehen? Wer hätte es mit Recht »I damals auf Deutschland anwenden können mit seinen geordneten Verhältnissen? Und jetzt? Macht man nicht jeden Tag solche Erfahrungen? Dabei muß ich immer an den alten Geyer denken und eines seiner letzten Worte: „'s wird alles liederlich". Ungefähr eine Stunde von Z. entfernt liegt ein sehr kleines Dorf mit nur wenigen Häusern und nicht viel über lOO Einwohnern. Wenn man es zum ersten Male sieht, kommt es einem so vor, als hätten Kinder eine Spielschachtel aufgestellt oder als wäre es aus einem Märchen übrig geblieben. Eins von den wenigen Fleck chen Erde, die, von der ruhelosen Welt entrückt, nur Ruhe und Frieden zu atmen scheinen. Mitten durch Felder und Wiesen geht der Weg dahin und nachdem man auf einem kleinen Steg im Tale einen Bach überschritten hat, erlangt man die Anhöhe, auf der das Dorf liegt. Man brauchte nicht lange zu suchen, so kam man an das kleine Häuschen des alten Geyer. Ein Pflaumen- nnd ein Apfelbaum umgab es und ein kleines Borgärtchen mit Blumen war seine Zierde. Als einzige Mitbewohnerin zählte er eine Henne, die er mit Kaffeesatz fütterte; das war seine Unter haltung. Er selbst war ein Greis von mehreren achtzig Fahren. Seine Frau war schon etliche Jahre tot, und da sie keine Kinder hatten, war er ganz vereinsamt. Ein Mädchen hatten sie zwar angenom men, da sie aber ihr Brot bei fremden Leuten verdienen mußte, konnte sie sich nur selten um den alten Mann kümmern. An jedem Ersten des Monats machte er sich auf und ging zur Stadt, um dort seine Rente in Empfang zu nehmen. Diese empfand er als einen großen Segen, und dankbar war er seinem Herrgott für solche Gabe, denn er konnte doch nichts mehr verdienen. An diesem Tage ging er aber nie leer. Diese Gelegenheit be nutzte er stets, um seinen Pastor, zu dem er eingepfarrt war, mit zu besuchen und ihm etwas mitzunehmen. Für ihn sammelte er die Eier seiner einzigen Henne, die er der Frau Pastor ver kaufte, außerdem nahm er ihm noch Aepfel oder Pflaumen, ja auch manchmal einen schönen Blumenstrauß mit. „Denn", sagte er, „wenn man anderen etwas davongibt, wachsen wieder neue." Er fand dies bestätigt. Wenn niemand im Dorfe etwas auf den Bäumen hängen hatte, beim alten Geyer wuchs stets etwas. — So kam er auch eines Tages wieder einmal zu seinen Pastors ins Pfarrhaus. Diesmal schleppte er sich aber nur mühsam die Treppe hinauf, seine Kräfte hatte» recht sehr abgenommen. Sorg sam trug er das rote Taschentuch am weißgeränderten, verknoteten Zipfel, worin er seine Liebesgaben eingepackt hatte. Diesmal hatte er zwei Aepfel noch besonders für das Dienstmädchen eingesteckt, die er auch gern beschenkte. Wie reich war dieser Mann in all seiner Armut! Er konnte noch von dem Wenigen, was er hatte, geben! — Nach dem langen, anstrengenden Wege tat ihm eine besondere Stärkung wohl, und während er viel von früheren Zeiten erzählte, bereitete ihm die Pastorsfrau gewöhnlich eine solche, die in gutem Kaffee oder Kakao bestand. Sonst kam er immer auf seine frühere Tätigkeit im Berg werk zu sprechen, wie er da so zeitig hatte aufstehen müssen, und daß er noch so weit zu laufen hatte, ehe er den Schacht erreichte, wie wenig Lohn er damals bekommen habe, wie die Leute aber