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Asten vor seinem Bretterhäuschen, wie er schnalzte und schluchzte: daheim bin ich, wieder daheim! und glücklich der Kleine hier unten, der begeistert zu dem alten Freunde hinauf blickte: willkommen, willkommen! — Ich bin alt geworden, und doch noch immer in jedem Frühjahr derselbe Jubel aus tiefster Seele, wenn ich den ersten Star wieder höre oder die erste Lerche; alle Sorgen sind dann vergessen, alle Mühsal des Lebens. Gerade die kleinsten Dinge sind es oftmals, über die wir uns so recht von Herzen freuen können, wenn nämlich diese Dinge oder Ereignisse den Anfang eines neuen, hoffnungs frohen Lebensabschnittes bezeichnen. Ich glaube, unser Herr gott freut sich selbst, daß er uns Menschenkindern mit der artigen Kleinigkeiten, die seiner Allmacht ein Nichts sind, von Zeit zu Zeit solch eine Riesenfreude bereiten kann. Der erste Star — das ganze Haus ist voll Jubel; das erste Veil chen, das erste Primel — Vater und Mutter müssen es sehen; der erste Zitronenfalter — mit Hurra bringt ihn mein Junge; der erste Maikäfer — habt ihrs im Wochenblättchen gelesen? Nun muß sich alles, alles wenden!" Die ersten Frühlingsblumen, oft nur bescheiden die einzelnen Blüten, Schneeglöckchen, Veilchen, Primel, aber als erste Gaben des Lenzes die Lieblinge eines jeden. Selbst die herrlichsten Rosen, die prächtigsten Nelken, welche der Sommer uns schenkt, können ihnen den Platz in unsern Herzen nicht streitig machen. Die Schneeglöckchen sind es, die am wenigsten warten mögen. Ihre feinen grünen Spitzen haben den Tauschnee im Garten durchbohrt; an zarten Fäden hängen die weißen Blüten. Noch sind sie geschlossen; aber der erste Sonnenstrahl öffnet die drei kahnförmigen Blättchen und läßt uns nun den inneren Blattkreis mit den grünen Flecken erkennen, eine Vorahnung der hoffnungssrohen Farbe, die sich bald wieder siegreich über die Erde ausbreiten soll. Das hübsche Blümchen wächst in unsrer Heimat nur in Gärten oderhalb verwildert auf den Wiesen hinter dem Hause; in freier Natur kommt es nur in Süodeutschland vor, besonders auf Berg wiesen. Seine größere Schwester hingegen, der Märzbecher, mit dem gleichfalls weißen, aber mehr kugelförmigen Glöck chen tritt, wenigstens an einer Stelle der Sächsischen Schweiz, noch massenhaft wild auf, während an manchen andern Orten Habgier und Unverstand diese reizende Frühjahrspflanze mit Stumpf und Stiel ausgerottet haben. Etwa gleichzeitig schmückt sich ein niedriger Strauch, der Seidelbast, auch Kellerhals genannt, mit roten Blüten, die also lange vor den grünen Blättern erscheinen. In unsern Wäldern, besonders nach dem Gebirge zu, ist diese früh blühende Pflanze nicht eben selten; auch in den Gärten, wohin man sie gern verpflanzt, begegnet man ihr häufig. Allgemein bekannt und beliebt sind weiter die beiden holden Blümchen: Veilchen und Himmelsschlüssel. Die Kunst des Gärtners versorgt uns das ganze Jahr hin durch mit duftenden Deilchensträußchen; ob wir freilich durch solche künstliche Gewaltmittel, die den anmutigen Wechsel der Jahreszeiten meistern, daß wir nicht mehr wissen: ist's Sommer, ist's Winter? wirklich gewonnen haben, das ist eine andere Frage. Wer nur die duftenden Sträußchen kennt, die der Süden gesandt hat und die von unsrer Damenwelt so gern an die kostbaren Pelze geheftet werden, der weiß nichts von dem Entzücken, das uns im Vorfrühling ergreift, wenn wir das bescheidene Blümchen hier und da zwischen den Hecken finden oder in den Vorgärten, wo alles blau erscheint und die Luft von Wohlgerüchen erfüllt ist. „Die Kinder haben die Veilchen gepflückt, All, all, die da wachsen im Mühlengraben. Der Lenz ist da! Sie wollen ihn fest In ihren kleinen Fäusten haben." (Storm) Zu den Erstlingen unter den Blumen gehört, wie der Name schon sagt, das Primel. Wo es zahlreich auftritt, da leuchtet die Wiese licht in goldigem Schein, daß einem das Herz lacht. Man kann der Versuchung nicht widerstehen, ein paar Blütenschäfte abzubrechen, um mit ihnen daheim das Zimmer zu schmücken. Oft stehen Himmelsschlüssel am Rande des Gebüsches im Verein mit blau, rot, violett blühendem Lungenkraut, das den Naturfreund mit den verschiedenfarbigen Blüten erfreut. Am Uferrand leuchtet das satte Gelb der Sumpf dotterblume. Wo sie massenhaft wuchert, auf feuchten Wiesen, in einem Graben, da scheint flüssiges Gold dahin- zurieseln. Vielleicht noch massenhafter tritt, ebenfalls an feuchten Stellen, hier und da das Goldmilzkraut auf; aber die kleinen, gelblichgrünen Blüten entbehren der Leuchtkraft, während wir Dotterblume, übrigens auch die Feigwurz, oft Scharbockskraut genannt, mit strahlenden Sonnen vergleichen können. Das rundlich-herzförmige Blatt dieser Pflanze ist besonders schön und erinnert an das freilich viel größere Laubwerk der Haselwurz, di» ihre unschein baren Blüten auch schon im März oder Anfang April dem Licht öffnet. Zu den ersten Blumen des Frühlings, die manche Stellen im Walde, Waldränder und Waldwiesen mit weißem Schleier überdecken, gehört das Buschwindröschen oder die Anemone. Mit dem gelben Stern inmitten der weißen, oftmals rosa angehauchten Hüllblätter blickt uns jede ein zelne Blüte gar lieblich an, und ebenso treuherzig schaut unser liebes Leberblümchen aus seinen blauen Augen. Es ist die nächste Verwandte der Anemone. Ein derberer Geselle ist der sehr zeitig blühende Huf lattich. Seine großen gelben Blütenköpfe entfalten sich an den dicht behaarten Schäften schon lange, ehe die herz förmigen Blätter erscheinen. Auf lehmigem Boden, an Ufer wänden, auf Ackern ist der gemeine Huflattich eine der ersten Frllhjahrspflanzen. Auch der große Huflattich, die Pestwurz mit den großen Blättern wächst überall an unsern Büchen. Schon im zeitigsten Frühjahr schmückt sich die Pflanze mit purpurnen Blüten. Dagegen bewohnt die Kuhschelle trocknen, sandigen oder auch felsigen Boden; sie ist in ihrem dichtbehaarten Kleid mit den braunoioletten, überhängenven Blütenglocken für den, der sie nicht kennt, eine fast fremdartig wirkende Erscheinung. Die reizenden violetten und gelben Blüten des Früh- lingssafrans oder des Krokuschens schmücken den Garten. In Süddeutschland kommt die Pflanze auch wild vor, z. B. aus mancher Alpenwiese, bei uns aber höchstens verwildert. Sie ähnelt der Herbstzeitlose, mit der sie oft mals vom Volke verwechselt wird. Die ersten Frühlingsblumen im Garten oder draußen im Wald und aus der Wiese sind bereits verblüht; der Kuckuck ruft, die Mauersegler sausen durch die Gassen der Stadt, und schon schauen die halbflllggeu Stare mit ihren Gelb schnäbeln aus der Haustüre der bretternen Wohnung: da erfreut uns — ein Spätling unter den Frühlingsblumen, aber eine der anmutigsten Gaben — das Maiglöckchen mit seinen duftenden Blütcnschäften. In lichten Wäldern kommt es noch immer massenhaft vor, allerdings nicht mehr