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Die Heimatlosen Roman von Oskar Schwär (Fortsetzung) err Heinrich, der sich natürlich auch jetzt als Sieger fühlte, gab sich wieder die so ost vor dem Spiegel geprobte Feldherrenhaltung. Er zwirbelte den Schnurrbart und blickte sich im Zimmer um. Er war durchaus nicht neugierig, an wen Grundmann dachte. Als Geschäftsmann und glänzenden Patriot bewegten ihn andere Dinge. „Er muß ein ehemaliger Schulkamerad von dir sein," bemerkte Grundmann weiter, seinen Gast scharf aufs Korn nehmend. »Ach?" „Der Tauscher-Hermann." „Aha. — Ah, das Zinn da is nich übel. Interessier mich dafür. Hast du eine gute Quelle ? Würde mir auch noch einiges zulkg.n." Grundmann ließ aber nicht locker. „Das dürfte schwer sein. Die Sachen hier sind teils Geschenke, teils bei Ver steigerungen und sonstigen Gelegenheiten erworben. Aber das ist ein Prachtstück hier: die Ühr! Zu der hat mir Tau scher verhalfen. Auf den Tauscher-Hermann besinnst du dich doch?" „Tauscher, Tauscher — mir is so. Ach, wenn man nicht fortgesetzt so schwere und immer neue Dinge durch seinen Schädel wälzen müßte!" „Deiner Jugend und deiner Heimat solltest du manchmal eine Mußestunde widmen! Tauscher war schon mehrfach bei mir. Der Mann macht Schweres durch." Grundmann erzählte kurz Tauschers Geschichte. „Hm — Ach nee! — Aha," das waren so die gelegent lichen Bezeugungen der Teilnahme von Seiten des Zuhörers. „Seine Frau flicht zu Haus Granatkörbe, um auch ein paar Groschen zu verdienen. Aber natürlich, das ist zu wenig. Könntest du nicht vielleicht den Leuten unter die Arme grei fen? Ich meine, indem du der Frau eine lohnendere Be schäftigung in deiner Fabrik zuwiesest?" Herr Heinrich wiegte sein glattes Haupt. „Tut mir tat sächlich leid. Momentan kann ich niemand mehr einstellen. Zu dumm!" „Wenn du aber immer große Aufträge hast?" „Aber ich habe mich natürlich auch rechtzeitig um Arbeits kräfte umgesehen. Weoschicken kann ich doch niemand. Aber später — wollen mal abwarten. Ja, lieber Gott, das sinn nu mal schwere Zeiten." Heinrich zuckte bedauernd die Achseln. „Da is kein Zuckerbrotessen. Da heißts eben den Leibriemen enger schnallen. Der Krieg fordert von allen seine Opfer." Jetzt war aber bei Grundmann das Maß voll. Er stand aus mit hochrotem Gesicht. Mit diesem Manne da war er fertig, den kannte er jetzt durch und durch, und er wollte ihm seine Meinung unverhüllt sagen. „Und was legst du in die Opferschale?" fragte er ihn. „Was entbehrst du während des Krieges? Es märe wahr haftig ein kleines Opfer, einem unglücklichen Landsmann durch eine lohnende Beschäftigung durchhalten zu helfen. Nein, ne n, spare deine Einwände; große Hindernisse können dabei nicht zu überwinden sein, es fehlt nur am guten Willen, am Ovfersinn, den du von anderen verlangst, am Patriotis mus, den du für dich in Anspruch nimmst. Ich weiß, es ist keine Kunst, sich als „Patriot" aufzuspielen. «Immer feste druff!" und „Immer feste annektieren!" das ist euer Feld geschrei weit hinter der Front, und für die, die draußen Leben oder wenigstens Gesundheit opferten, habt ihr bedauerndes Achselzucken. — Es ist gut, jede weitere Auseinandersetzung über diese Dinge ist fruchtlos zwischen uns, leider!" Herr Heinrich hatte, verlegen lachend und mit den Fingern wie mit brillantengeschmückten Knackwürstchen auf den Tisch tippend, zugehört. Nun etwa wie ein begossener Pudel ab ziehen, widersprach seiner Würde. Lag auch durchaus kein Grund vor, beherrschte er doch durchaus die Situation. Und dies bewies er durch ein erzwungenes Lachen und die Be merkung: „Es is doch wirklich unnötig, sich über dergleichen so aufzuregen. Es muß halt jeder nach seiner Fasson selig werden." Dann nahm er wieder Haltung an, die er in dieser Stunde so oft verloren hatte, und tat so, als wäre garnichts geschehen. Ein paar gleichgültige Worte wurden noch gewechselt, dann verabschiedete sich Heinrich. Grundmann nötigte ihn nicht zu längerem Verweilen, auch lud er ihn nicht zu neuem Besuche ein. „Na also, dann leb wohl, alter Hitzkopp! Empfiehl mich deiner liebwerten Gattin! Dschö!" „Guten Tag!" Grundmann saß auf der Eckbank und sah sich seine Bauern stube an. Nicht Zorn blitzte mehr aus seinen dunklen Augen, sondern Schmerz lag darin. Bittrer Schmerz über die Ent täuschung, die er an einem Landsmann erlebte. Er hielt die Mummelswalder durchaus nicht für lauter Engel, zu gut nur wußte er, daß sie auch recht schwache Seiten hatten. Doch diese Falschheit und Hohlheit, diese sittliche Verkommenheit, die sich in der Verleugnung der Heimat aussprach, nein, die hatte er noch bei keinem Mummelswalder gefunden. Grund mann stellte sich HandtllchebHeinrichs, die schlichten, braven Leute, vor die Seele. Wie ists möglich, daß ihr Sohn so ein Abtrünniger werden konnte, fragte er sich. Gewiß, er war als Junge schon kein Feiner, er war etwar aus der Art geschlagen, soweit wars ihm von der Natur gegeben, aber zur Blüte getrieben hatte er seine schlimmen Anlagen sicher erst in derStadt. Die begünstigt dieseTriebe, sie istderbeste Nährboden für sie, während die einfachen Ledensbedingungen und die an Brauch und Sitte gebundene Umwelt auf dem Lande ihre Entfaltung hemmen. Gewiß gibts Lumpen und Bösewichter auch auf dem Dorfe, aber selbst sie haben etwas Natürliches, Ursprüngliches, Echtes an sich, was den Men- schenbeobachter zu reizen vermag. Dieser Heinrich hatte mit den Mummelswaldern nichts mehr gemein, er war ganz und gar losgelöst von der Heimat und ein Erzeugnis der Stadt welt. Grundmann nickte mit gerunzelter Stirne bet dem Gedanken: Erzeugnis der Stadtwelt, in der du auch stehst, in der du dein Heim begründet hast. Ein Heim in der Fremde. Das mar ein schöner glücklicher Gedanke gewesen, jetzt schien es ein Widerspruch zu sein. Er grübelte nicht weiter nach, er scheute sich davor. Er dachte an Tauschern, da wurde ihm wohler. Dieser Tischler stand doch als ein braver, ehrenhafter Kerl da, er hatte Charakter, einen klaren Charakter, der durch den Ursprung aus der Mummelswalder Heimat bestimmt war. Er trug Sehnsucht und Liebe zur Heimat im Herzen, und wer solcher Regungen fähig ist, der kann niemals ganz schlecht sein. Und da fiel es Grundmann wie Schuppen vom Auge: von uns dreien hier in der Fremde ist doch wirklich heimatlos nur der eine. Wollen wir zwei anderen darum treu zusammenhalten und unsere Wurzeln immer wieder in die Heimat senken, die uns Kraft spendet. Er stand auf und wollte in sein Stübchen gehen, denn er hatte noch zu arbeiten vor. Aber nein, jetzt würden ihm seine