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Der Bibliothekar fühlte sich jetzt als Erzieher, ja als Seelsorger, und dies verlieh seinem vergeistigten, ruhig ernsten Gesicht eine väterlich-milde Freundlichkeit. Doch waren sie kaum über die Schwelle getreten, so Hub der runde Herr Heinrich schon ein breites Lachen an, daß die Zwirbel seines Kaiscrschuurrbartcs ordentlich tanzten. „Nuna, was ist denn das? Morbleu! Du willst wohl gar ein Altwarengeschäft gründen?" Aus so einen Anfang war nun Grundmann nicht gefaßt gewesen. Seine pastorale Stimmung war durch das laute Gepolter auf einmal zerstört. Enttäuscht und verletzt brachte er nur die Frage „Wieso denn?" hervor. „Na, so sieht's doch aus. Was du da für Kram auf gestapelt hast! Na immer zu, immer was gewagt! Kon junktur ist günstig. Immer mach'n Laden auf!" Bei dieser Art Humor wollte es Grundmann nicht bleiben lassen. Auf sein Gesicht war ein herber Schatten getreten, und kurz erwiderte er: „Könnte nichts schaden. An Ge schäften mit ehrlichen Waren fehlt's!" Herr Heinrich merkte einen kleinen Stich. Es tat ihm zwar nicht weh, so zartfühlend war er nicht, aber immerhin zog er vor, sich zu wappnen. Er besann sich auf seine Würde, strich seine pomadisierten Haare glatt und ließ die Augen energisch und stolz blitzen. Er reckte sich, daß seine Hose wieder in scharfen Bruch kam und die schwere Goldkette über dem Leibe in die Höhe sprang. So, nun stand er in seiner ganzen Überlegenheit. Er rümpfte etwas die Nase und wiegte denKopf. „Wie's die Welt braucht, so muß sie's Kriegen. Was ist ehrlich? Das sind solche Phrasen!" „Deine Frage ist in dieser Krlegszeit wirklich am Platze!" Heinrich wich lieber aus. „Na also! Die Welt will aber vor allein Neues. Immer Neues! Du mußt was Neues er finden. Natürlich", — und jetzt warf er sich wieder in die Brust — „man muß den Instinkt dafür haben, Erfindersinn und kaufmännisches Talent! Immer Fortschritt, Fortschritt! Nicht am Alten kleben!" „Vorderhand will ich mich doch diesem ehrlichen, guten Alten widmen. Wenn du wiederkommst, wirst du das Alt warengeschäft noch reichhaltiger finden." „Du machst Witze, alter Freund. Du hast doch sonst Geschmack und Geist!" Diese Anerkennung tat Dr. Grundmar.n nicht besonders wohl. Bitter entgegnete er: „Aber bekanntlich läßt sich über den Geschmack nicht streiten. Mein Geschmack soll eben hier zu seinem Rechte kommen. Dies wird eine richtige Mummelswaldcr Bauernstube." Herr Heinrich kniff das linke Auge zusammen und blies hörbar die Luft aus dem Mundwinkel. Mit einem über legenen Lächeln fragte er denn: „Und deine Frau?" „Sie hilft's mit rechtem Sinn vervollkommnen." „Aha, hm. — Na ja, jedes Tierchen hat sein Pläsierchen Weißt du, Grundmann, ihr Beamten habt zuviel Zeit, viel zuviel Zeit, und da verfallt ihr dann auf solchen Krimskrams. Unsereins ist davor bewahrt. Donnerwetter, man möchte zwei Köpfe haben und allgegenwärtig sein können. Man kommt nicht zur Ruhe. Wir hinter der Front haben, weiß Gott, heißen Dienst. Ader ich ulagc nicht, im Gegenteil, gern und begeistert erfüll ich meine Pflicht für's Vaterland. Grundmann nickte und verzog keine Miene, er hielt eine Entgegnung nicht für notwendig. Der andere aber war richtig in Fluß gekommen und glitt natürlich, wie das überall Sitte war, auf das Gebiet der Politik hinüber. „Mir jauchzt das Herz, daß nun endlich Ernst gemacht wird mit dem U-Bootkrieg. Wir wollen die Kerls da drüben mal Moritz lehren! Die deutsche Technik, die deutsche Intelligenz wird glänzend bestehen. Immer runter auf den Grund, was uns in die Quere kommt! Nur nicht Rücksicht! Das is Quatsch! Wir tun viel zu moralisch, viel zu zimperlich! Ach, ich möchte selber so ein U-Bootchen haben, ich wollte Haifischfutter zachen! Und paß auf, unsre blauen Jungen lassen sich nicht lumpen! In drei Monaten, ich will mal sagen dreieinhalb bis vier Monaten, da sollen unsre Feinde zu Kreuze kriechen! Es wäre längst soweit, wenn unsere Politik nicht versagt hätte. Es hat an Einsicht, am rechten Mut, am rechten Drauf gängermut gefehlt. Das is es, und das sag ich auch: immer feste drusf. Wenn die Baterlandspartei gleich am Anfang auf den Plan getreten wäre, da wär der Krieg längst zu Ende! Längst wären wir die Herren über Belgien, Nord frankreich, ach, was sag ich, die Herren Europas. Längst könnten wir Berge von Gold aus den Erzgebieten geholt haben. Na, das kommt, und bald! Denn Belgien, das is klar, das wird unser! Am besten England gleich mit! Man muß an die Zukunft denken!" Herr Heinrich mußte eine Atempause machen und sich den Schweiß vom Gesichte wischen. Er reckte sich wieder auf, seine Augen strahlten. Er hatte herrlich geredet. So etwas gehörte in die Zeitungen; Gott, da stand Ähnliches ja auch, aber noch lange nicht so Klipp und klar und so überzeugend. Denn überzeugend waren seine Worte gewesen, sonst hätte Grundmann doch Einwendungen gemacht. Aber der schwieg, er war also überwältigt. „Du gehörst doch der Vaterlandspartei an, Grundmann?" „Nein." „Nanu, ein Mann wie du? Säume nicht! Die ganze Intelligenz gehört der Partei an, alle Männer, denen das Wohl und die Zukunft des Vaterlandes am Herzen liegt!" „Manche von ihnen bilden sich das wenigstens ein." Herr Heinrich war entrüstet. „Da scheinst du schlecht in formiert zu sein! Und der große, herrliche Krieg scheint dich kalt zu lassen. Höre, Grundmann, das ist flau. Ich begreife dich nicht!" Grundmann maß ihn mit einem kurzen Blick. „Das glaube ich. Du schwärmst für den Krieg, ich meine, Friede ernährt. Ich meine auch, daß mir nur einen Ver teidigungskrieg führen. Und schließlich meine ich auch, daß wir uns die Grundsätze, die wir an unfern Feinden als unsittlich und unwürdig tadeln, nicht selbst zu eigen machen dürfen, sondern daß wir sittlich stets über ihnen stehen bleiben. Ob sich eure Ziele erfüllen werden, wird sich zeigen. Unsere Armee kämpft heldenhaft, aber es ist nicht gut, uns durch herausfordernden Lärm noch mehr Feinde zu machen: denn auch unsre Kraft hat Grenzen. Ihr macht Feinde, wir sollten aber Freunde suchen, das hätten wir immer schon tun sollen. „Und wenn die ganze Welt gegen uns stünde, wir hauen sie zusammen!" rief derKriegsheld, und seine Augen feuerten. „Hast du schon mit zugehauen?" „Ja, allerdings, das habe ich! Und das tu ich noch. Der eine tut's mit dem Schwert, der andere durch seine Arbeit. Und darum habe ich mir keinerlei Vorwurf zu machen, immer bin ich im Dienst des Vaterlandes." „Also ist alles in Ordnung", sagte Grundmann ruhig und schloß die Debatte. „Aber da denke ich gerade an einen, der auch mit draußen war und der mir diese Stube hier einrichteu Hilst. Du kennst ihn, es ist ein Landsmann." (Fortsetzung folgt.)