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Die Heimatlosen Roman svou Oskar Schwär (Fortsetzung) WADAic gute Frau riß die Augen weit aus! denn nicht MWD die kleine, unterwürfige und schüchterne Dörflerin stand vor ihr, die den bald protzig, bald geheimnis- voll vorgetragenen Lügen geduldig zuhörte, son- dem die Mutter, die sich mit loderndem Zorne gegen die Verbrecher an ihrem unschuldigen Kinde erhob. Waas? — Mein Eduard? Meine Liebe, so tragisch — nee, Heern Sie — 'n Scherz, weiter is es doch wohl nichts gewesen!" „Do soll a sich seinesgleichen suchen! Mit wenn Kinde hoat a Tändeleien zi unterlussen!" „Aber ich bitte Sie, Frau Tauscher, Sie sind bloß erregt. Unser Eduard is doch 'n ganz guter, netter Mensch! Sie müssen's nich schlimmer machen " Aber Gustl ließ sich auf weitere Unterhandlungen nicht ein. „Wu hoan Sie dan Karln?" fragte sie. Ihr energischer Ton und ihr Blick befahlen: holen Sie ihn sofort heraus! Und Frau Langer wagte nicht, sich zu widersetzen. Sie rief den Musiker. Der erschien aber nicht. „Das tut mir leid, er is also schon fort!" „Aha! Ar hoat sich aus'n Stöbe gemacht! Klenn Maideln gegenieber hoat a Mut! — Vcrkummnes Volk!" Damit verschwand Gustl. Sie hatte kaum die Tür hinter sich geschlossen, da traten Martinowskys schon heraus, um die beleidigte Frau Langer, mit der sie gut befreundet waren, zum Rachekampfe aufzu- stacheln. * » * 9. Kapitel. Der Zufall hatte im letzten Winter Dr. Grundmann mit Hans Heinrich zusammengeführt. Es war im Theater, in einer Vorstellung von „Rosmersholm". Als Grundmann in der Pause im Parkettgange zwischen den sich erholenden Zuschauern auf und ab wandelte, wurde er plötzlich vertrau lich aus die Schulter geklopft und von einer fetten Männer stimme also angeredet: „Na also, bist du's, oder bist du's nich? Weiß Knöppchen, er is es! 'n Abend, Grundmann!" Der Angesprochene, dessen Geist noch in dem düsteren Psarrhause Rosmersholm weilte, war etwas verblüfft und sah ver wundert den runden befrackten Herrn im Schmucke des stolzen Kaiserschnurrbarts an. „Sie oerzeihn, mit wem „Nanu, hör aus! Denk mal so dreißig Jährchen zurück! Nich?Na also,Heinrich —meine Gattin!" „Sehrangenehm!" wandte sich Grundmann zu der häßlichen, auffällig geklei deten Person und färbte sich puterrot. „Nu also, was machen wir?" fragte Herr Heinrich, indem er sich breitbeinig vor Grundmann hinstellte und den Bart strich, wobei Brillanten von drei Ringen im Lichte blitzten. Und Frau Elisebah hielt das Lorgnon vor ihr nervös zuckendes und dazwischen süß lächelndes Gesicht, wobei ebenfalls reichlicher Gold- und Edelsteinschmuck zu glänzender Wirkung gebracht wurde. Aber Grundmann verhielt sich sehr gemessen und kühl; das ausfällige Benehmen dieser Emporkömmlinge, das die Blicke aller Vorübergehenden auf sie und ihn lenkte, empörte ihn, am meisten diese Vertraulichkeit. Doch wie er seinen Miß mut auch merken ließ, die beiden gingen ihm nicht vom Leibe. Ja, er sei jetzt gerade einmal einige Tage zu Haus, erzählte Heinrich, und da habe er natürlich wieder mal ins Theater gehen müssen, er interessiere sich nun mal sehr für sowas. Allerdings, das Stück sei ziemlich langweilig, na, vielleicht käme es im nächsten Akte besser. Ja also, sonst habe er nicht oft Gelegenheit, er sei meist unterwegs, zuletzt in Wien, Budapest, rückzu in Straßburg und Aachen gewesen, habe für 400000 Mark Material cingekauft. Was man als Unternehmer jetzt für einen Kopf haben möchte, wie heut zutage Verkäufe abgeschlossen würden, das sei fabelhaft. Ja, ja, da wisse Grundmann als stiller Beamter nichts davon. Neulich habe er 50000 Mark mit einem Schlage verloren; wie er die nun wieder mit herausbringen solle, das habe ihm anfangs etwas Kopfschmerz gemacht, aber dann habe er Rat gefunden. „O da muß einer Kops haben, sag ich dir!" So schloß Heinrich seine wichtigtuerischen Reden. Da klingelte es. „Ach, schade!" sang Elisebah, und „Gott sei Dank!" dachte Grundmann. „Na, vielleicht trinken wir hinterher noch'n Schoppen?" fragte Heinrich, aber Grund mann schlug's bestimmt ab, er habe noch weilen Weg. Diese letzte Bemerkung sollte er allerdings sogleich bereuen; denn sie veranlaßte Heinrich, sich nach Grundmanns Woh nung zu erkundigen und natürlich einen Besuch anzusagen, vorausgesetzt, daß ihn sein Geschäft mal ein paar Stunden freigäbe. Sie verabschiedeten sich. „Ach, du sitzt wohl da hinten? Wir haben Sperrsitz. Na, viel Spaß!" Und wirklich stellte sich Herr Heinrich auch nach kurzer Zeit im weißen Hause ein. Sein großprotziges Gebaren, seine grobsinnliche Art, die nur Geld, Schinkensemmeln, Wein, Flimmer und wieder Geld als vornehmste Ziele menschlichen Strebens gelten ließ, stieß Grundmanns ab; sie waren nicht zu Frönern des All tags und des materiellen Genusses geworden. Gotllode, die Pfarrerstochter, gehörte zu den seltenen Frauen, die neben einer tiefen Geistesbildung sich eine tanzende, kindlich frohe Mädchenseele bewahren, die im Geiste zunchmen und im Gemüt immer jung bleiben. Sie besaß auch noch den feinen Sinn des unschuldigen, natürlich-naiven Kindes, den Klang der Seelen zu vernehmen, die noch so rasch seinen Weg kreuzen. Sie brauchte nur wenig Worte mit jemandem zu sprechen — einen kurzen Strich aus den Saiten zu führen, und schon hatte sie den Wohlklang oder die Mißstimmigkeit heraus. Nicht selten kam cs vor, daß sie da..n über ihre Neigung oder Abneigung nicht Rechenschaft ablegen konnte, sie hatte eben mit dem Sinne wahrgenommen, den nur das unverdorbene, selbst noch ganz rein klingende Kindcrgemüt hat. Vor dem neuen Gaste nun empfand Gottlobe einen Abscheu; sie konnte, solange er im Hause weilte, nicht froh sein, ihre Augen lachten nicht blank wie sonst, und das Brünnlein ihrer Rede hatte keinen Hellen Ton. Grundmann bemerkte es, und er überlegte, ob er sich nicht kurzweg weitere Besuche verbitten solle. Doch überlegte er eben, er wollte niemandem unrecht tun. Bis er schließlich aus den Gedanken verfiel, daß ihm hier wohl eine Erziehungs pflicht erwachse. Er brachte den Optimismus auf, zu glauben, er könne ruhig, unmerklich und ganz allmählich auf den Mann so einwirken, daß er seinem Dasein doch noch einen feineren Inhalt zu geben versuche. So kam's denn, daß der Fabrikant nach wenigen Monaten wiederum den Weg nach dem weißen Nause machte. Frau Gotilobe zog sich zurück. Grundmann führte seinen Gast in die Bauernstube, auf Heimatboden. Hier würde er allen unechten, von verschiedenen Gesellschaftskreisen als vornehm entliehenen Plunder, der zu seiner derben Natur so schlecht stand, abwerfen, und dann würde Grundmann zu ihm wie ein Mummelswalder zu einem Mummelswalder reden.