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Gib deinem Kinde eine Heimat! sonderbares Verlangen! Kind hat doch seine Heimat! Schließlich ruft man Dir auch noch zu: Gib deinem Kinde Atem! Als ob es nicht ganz von selbst atmete. Natürlich atmet es, freilich hat es eine Heimat und ein Heim, drinnen Vater und Mutter und Bruder und Schwester und Großvater und Großmutter. Aber denke doch einmal darüber nach, ob du ihm seine Heimat belebst, ob du ihm jeden Winkel und jedes Eckchen kindlich-traulich aus gebaut hast. Freilich sprechen hier die Verhältnisse ein Aber. Glücklich die Kinder, deren Vater sein eigen Häusel hat, wo die neu gierige Gesellschaft jeden Winkel untersuchen darf ; glücklich die echten Dorskinder, die mit allem, was zur lieben Heimat gehört, viel reicher vertraut werden als die Stadtpflanzen. Vielleicht bist du ein Beamter oder Arbeiter, den die Be hörde oder die liebe Not von Ort zu Ort durchs deutsche Land jagt. Welche Stadt, welches Dorf ist denk da die Heimat deiner Kinder ? Vielleicht warst du auch besser dran: du hattest dein Brot immer im gleichen Orte. Nur war dir in deinen vier Pfählen die Schlafstube zu eng, lag dein Arbeitszimmer nicht ungestört genug vom Lärm der Straße, oder war der Keller nicht geräumig: du mußtest ausziehen, es ging nicht anders. Hast du dabei auch an deinen kleinen Hans gedacht, der neben der Sommerlaube den Stall für seine Kaninchen ge baut hatte? Hast du dir einmal den Winkel angsguckt, Elsbeths Spielecke, wo die Puppe schlief? Ja, das Heim ist deinem Kinde nicht bloß eine Schlafstätte und das Schuh dach gegen Wind und Wetter, sondern der Tempel der Kind heit, den es sein ganzes langes Leben mit sich herumträgt. Wie nun, wenn du es mit dir durch alle vier Winde des Ortes jagst? Wo ein richtiges Heim ist, dort hat die kleine Seele ihren heimlichen Winkel, in dem sie fühlt, was sie selbst der lieben Mutter nicht sagen kann, weil es im Her zen schlummert und es kein Wort dafür gibt. An die Schule hast du wohl noch weniger gedacht; denn in der Stadt ist ja in jedem Stadtviertel ein Schulhaus: der Kleine hat's in die neue Schule auch nicht weiter. Doch in die Liebe deiner Kinder teilt sich mit dir noch jemand, der Lehrer, die Lehrerin. Fiel dir ein, daß die Schulstube dem Kinde ein zweites trauliches Heim geworden war, daß es dort seine Spielgefährten fand und daß es sich so hübsch an seinen Lehrer und die Lernweise der Klasse gewöhnt hatte? Je schwächer dein Kind ist, desto schwerer werden ihm die neuen Verhältnisse in den kleinen Kopf wollen. Der Erwachsene soll in die Welt, unter andere Leute; dem Kinde gönne eine Heimat! In dieser Heimat aber laß deine Kinder Herr sein! Hin dere sie nicht, allmählich den nahen Wold, den Teich, die Sandgrube selbst zu erobern! Zu viel Aussicht macht nicht freie Menschen. Solche Forschunasreisen sind einen zer rissenen Hosenboden wert. Und die Menschen, die im Sturm unsrer Tagr recht wurzellocker geworden sind, werden wie der bodenständig werden. Laß dein Kind zur Fastnacht un besorgt mitlaufen! „Foasnachtsnoarrn wulln o woas hoan." Dein Ansehen stellst du damit nicht in Zweifel. Laß auch am Gründonnerstag deine Lieblinge mit den andern Paus backen von Haus zu Haus ziehen! Sie bringen in ihrem Säcklein mehr als Apfel und Brezeln mit, ein Stück Hei mat, ein gut Säcklein Volkstum. Und wie denkst du über die Mundart? Wenn du sie deinen Kindern verbietest oder dich schämst, wenn sie deine Bengels von der Straße mit bringen, so gehst du Ker Heimatliebe an die Wurzel. Der Reichtum, den die Mundart birgt, ist ihnen am wenigsten schädlich. Wie herzerquickend wars doch für mich, als ich im Felde nach einem Jahre dem ersten Lausitzer begegnete. Ich war bis dahin der einzige in der Kompanie. Wie schnell waren wir Freunde! Unsre Interessen gingen gar ost aus einander. Aber sein „Aberlausitzsch" zog mich zu ihm hin. Es hängt doch ein groß Stück Heimatliebe daran. Schafft frohe Jugend! So klingt es in unseren Reihen. Ihr Eltern, helft uns bei unsrer Arbeit. Wir wollen dem Kinde eine Heimat geben in Haus und Schule. Sperrt die Heimatliebe nickt ein, dann habt ihr den Frohsinn in das Kinderland gepflanzt, und ihr braucht nur immer ein wenig an der Windseite des Lebens zu gehen, damit die lebens frohen Pflänzchen nicht vom großen Lebenssturme umgerissen werden. Je besser hier das Elternhaus Vorarbeit leistet, desto tiefer kann der Lehrer gehen, der das Heimatprinzip durch den ganzen Unterricht trägt, sei es in der Erdkunde, in der Weltgeschichte, im Deutschunterricht. Die Arbeit der Schule eingehend zu beleuchten, würde zu weit führen Wir könnten noch lange plaudern, liebes Elternhaus, aber ich will es machen, wie die Großmutter, die eine gute Erzählerin ist: sie sagt dem Kinde auch nicht alles; sie läßt ihm noch was zum Nachdenken und Fragen übrig. Denke auch du, ernster Vater, liebevolle Mutter, einmal weiter nach. Ich weiß, du gibst deinem Kinde, was es so nötig hat, wie sein täglich Brot: eineHeimat! Georg Runge, Ebersbach. Bcmtzner SchulvertMnisse vor 100 Zähren Nach alten Quellen non KarlHennig (Zittau) as hat das liebe, alte Bautzen doch für herr liche Schulpaläste! Turm- und zinnengekrönt blicken sie in das Land hinaus und grüßen mit blinkenden Feusterreihen. Und eine stattliche Zahl von Lehrkräften waltet darin ihres ver ¬ antwortlichen Amtes. Freilich haben die Zeitverhältnisse auch hier ungünstig eingewirkt: Streit um Religionsunterricht, Besoldungsreform bewegen in heftigem Für und Wider die Gemüter und veranlassen Schwarzseher zu den pessimistischen Aussprüchen, daß es mit der Schule noch nie so schlecht gestanden habe wie jetzt. Wirklich? So sprich und erzähl du einmal, alter, guter Bornemann! Steig aus deinem Grabe, das so wunderschön mit Epheu umkränzt im Schatten der Taucherkirche liegt, und erzähl und berichte uns von dem Schulwesen in Bautzen vor hundert Jahren. Vielleicht denkt der und jener dann ein wenig anders über heutige Tage. Um 1820 befand sich das Schulwesen in sehr übler Ver fassung. Die alte evangelische Stadtschule hatte sich zur Gelehrtcnschule entwickelt. Die Bürgerschaft begann aber cinzusehen, daß als Vorbereitung für das Handwerk Latein keineswegs erforderlich sei. Außerdem habe das weibliche Geschlecht ein Anrecht auf Bildung; folglich sei eine vom Gymnasium getreunteBürgerschule notwendig. Bessergestellte liehen daher ihren Kindern Privat-Unterricht erteilen, oft sogar durch junge Schüler der Lateinschule, oder vertrauten sie Sammelschulen — lies Winkelunterricht! an, die von Kandidaten geleitet wurden. Für „gemeine Bürger" und Tagarbeiter bestand allerdings schon mit dem Waisenhause eine einfache Volksschule. Ein Oberlehrer, zugleich Aufsichts führender über die Dienstleute, und ein Unterlehrer, der die