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Urteile über unsere Lausitz aus Briesen, Aufsätzen und Berichten berühmter Persönlichkeiten n zwangloser Reihenfolge werden wir fortan in unserer das Heimatliche auch in der Weise pflegen, wie es in der Überschrift angedeutet ist. Jed wede Zusendung aus dem Leserkreise soll uns deshalb will kommen sein und wir hoffen dabei auf eine rege Mitarbeit Aller, denen die Lausitz lieb und wert oder denen sie ans Herz gewachsen ist. Wir beginnen mit dem Abdruck von Briefen des Fetdmarschalls Moltke und Heinrich von Treitschkes*). Es braucht hierbei nicht daraus an zukommen, ob Manches schon bekannt ist oder ob die Ein sendungen eine noch frühere Zeit betreffen oder aus den letzten Jahrzehnten stammen. Der Oybin. Das Schönste, was ich bis jetzt auf dieser Reise gesehen habe, war die Ruine des alten Schlosses Oybin bei Zittau an der böhmisch sächsischen Grenze. Einen so uncrsteiglichen Berg habe ich noch in meinem Leben nicht gesehen. Nach allen Seiten mehr a!s IM Fuß hohe, senkrechte Sandstcinwände und nur ein einziger Au'gang von ein paar hundert Stufen führt in die alte Burg. Diese ist fast ganz zerstört: aber beinahe unversehrt steht die im gothischen Stil unv mit der größten Sorgfalt erbaute Kirche. Es flhit fast nichts als das Dach und das obere Gewölbe, das einigermaßen durch große lichtgrüne Birken ersetzt wird, die auf der alten Mauer wurzeln Die Kapitäle der Säulen und die Bögen der Fenster sind, reich verziert und sorgfältig in Stein gehauen, noch ganz erhalten: die Stufen des Altars und des Beichtstuhles, die Sakristei und die Zellen geben ein deutliches Bild von dem, was hier gewesen ist. Merkwürdig ist eine Wand dieses hohen Gebäudes: sie ist aus dem Felsen selbst geschnitten und wurzelt natürlich in dem Berge selbst. Nach innen hat man den Raum der Kirche ausgehöhlt, nach außen einen vier Fuß breiten Umgang, der diese seltsame Mauer van der Masse der Felsen trennt. Die ganze Mauer ist also ein Stück Stein. Welche Arbeit, ehe man das Pulver zu Hilfe nehmen konnte I Die Aussicht von diesem Schlosse ist noch schöner als das Schloß selbst. Helmuth von Moltke. (In einem Briefe an seine Mutter aus dem Jahre 1838). * * Dresden, 20. 5 1853. Du kannst Dir keinen Begriff machen von dem eigcnthiimlich düsteren Charakter der Sudeten und ihrer Fortsetzungen Dunkel grün in Grau — Tannen und Fichten und graue Sandsteinfelsen — und darüber ein matter Himmel, ein falbes Licht, als ob das Land nach der Sonne beglückterer Gegenden trauerte. In der sächsischen Schweiz und im Erzgebirge giebt dies dem Ganzen, trotz der herr lichen Felsbildungen eine ertötende Monotonie. Die Lausitz aber besteht nur aus einzelnen dichtbewaldeten dunkelen Kuppen, um geben von den lachendsten reichsten Feldern mit herrlichen sauber gebauten Dörfern und Städten: dieser Kontrast läßt das Monotone ganz verschwinden und erhöht die Freude an den schönen Felsen. So haben wir denn erst von Zittau aus den Oybin erstiegen. Da findet man — eine Seltenheit in unserem geschichtsarmcn Lande — die Ruinen eines Schlosses der Dohnaischen Burggrafen und eines Klosters im reinsten gothischen Stile. Hoch oben auf dem Gipfel an einer Stelle, die der Blitz fast alljährlich Heimsucht, ist der Kirchhof. Seltsam: der Laus der Zeit hat von hier den Tempel des schwarzen Gottes der Sorben und das katholische Kloster ver schwinden lassen, aber der Glauben an die Heiligkeit des Ortes ist in dem jetzt starkprotestantischen Lande noch so lebendig, daß man gern die Tobten 2 Stunden weit bergauf zu der geweihten Stätte führt. In der Nähe schweift der Blick Uber die schroffen Felsen des Hoch waldes und dunkle, von Buchen durchrauschts Gründe; nur an einer Steile öffnen sich die Berge, da stecken im freundlichen Thale die Häuser der schnell erblühten Bergstadt ihre frischgcwaschenen Ge sichter zusammen, dahinter stehen im Nebel die Kuppen des Riesen gebirges. Viel weiter ist der Blick vorn Czernebog bei Bautzen, wo jetzt neben dem Fclsenaltar des Wendengottes,"der wohl ein eigenes Gesicht zu diesem Pygmäengeschlechte machen mag, ein Thurm ch Heinrich von Treltschke, geb. 15. Septbk. 1834 in Dresden, Geschichtsschreiber, seit 1874 an der Universität Berlin, nach Rankes Lod Historiograph de» preußischen Staates, gest. 28. April 1896. steht, erbaut vom Adel der Markgrafschaft mit allem Zubehör von Wappen und loyalen Inschriften. Da sieht man denn vom böhmi schen Terrassenlande und Erzgebirge bis zu den burgartigen breiten Kegeln der sächsischen Schweiz, auf der andern Seite über das Lausitzer Gebirge bis zur Schneekoppe, nur nordwärts verflachen sich die letzten Ausläufer der süddeutschen Herrlichkeit zu der endlosen Prosa der Marken. — Eine Nacht blieben wir in Herrnhut, und waren wir von einer schweren Last befreit, als wir die fromme Stadt wieder verlassen konnten. — Weiß Gott, wie es zugeht: man fühlt, wie fromme, brave Leute da sind, ohne alle Heuchelei — sie sind so über allem Weltlichen erhaben, daß sie die Regeln unsers prüden Anstands ganz außer Acht lassen: mau zeigte uns mit der größten Naivität die Schlaf- und Wohnzimmer in dem Schwesternhaus — und doch hat man das drückendste Gefühl von der Welt: kein lautes Wort, keine lebhafte Gebärde — Alles, Alles nach Regel — Alle sind einander gleich, aber nicht als Menschen, sondern als Knechte Christi — das Individuum verschwindet gänzlich, jedes Gesicht hat den gleichen Ausdruck — es ist eine entsetzliche Leere dort. Man lernt dort recht einsehen, daß das Christentum allein wohl ante, aber nicht große Menschen bilden kann. Die Begriffe von Ehre und Selbstachtung sind ihm fremd, und doch darf ein Mann, der mächtig wirken will, nicht im allgemeinen verschwinden: er muß seins Individualität so schroff in die Welt hereinrücken, daß sich das Gemeine und Alltägliche die Stirn daran einrennen. Und doch ist diese Entsagung des eigenen Ich der Gipfel der Selbstbeherrschung : es gehört eine kindliche Reinheit dazu, die wir Alle, ich glaube selbst Du, meine Bereit, nicht mehr besitzen. Darum ergriffen mich dort die widersprechendsten Gefühle: ich sah da eine stille Größe, zu der ich nicht hinaufrciche, nicht hinaufzudenken wage, und die ich doch als einen überwundenen Standpunkt betrachten kann Das ist das ewig neue Lied vom Glauben, Suchen und Nichtfinden. (Aus dem Briefe an seinen Fceund Wilhelm Nakk („Dereli"), geschr. Dresden 20. 5. 83 Heinrich o. Treitschkes Briefe l. Bd. S. 166167, herausgegeben von M. Cornelius.) MUMIUHUMlMHUUMlMUUMIMMUMlUUUUMMttMMMttUMMMttMttttMMttMMUI Heimatliche Wanderungen Von R. Mättig-Großschönau Jauernick längst hegte ich den Wunsch, einmal eine Wande- rung nach Jauernick, dessen Berge immer so freundlich herübergrüßten, sobald ich auf einem unserer südlausitzer Aussichtspunkte stand und die Blicke nach der Landes- Krone richtete, zu unternehmen. An einem freundlichen Frühlingssonntage kam ich auch diesem Wunsche nach. In aller Herrgottsfrühe entführte mich das Dampfroß bis nach Nikrisch, wo ich dieses verließ und die Fuß wanderung ihren Anfang nehmen sollte. Die Häuser von Nikrisch berührte ich nicht, sondern wandte mich sogleich dem nahen Tauchritz zu, das sich aber solange hinter dichtem Gebüsch verborgen hielt, bis ich fast in ihm war. Es ist ein freundliches sauberes Örtchen, seine wenigen Häuslein reihen sich fast alle an der schön gepfla sterten Dorfstraße hin. Beinahe am Ortsende führt ein Weg nach rechts: ich schlug diesen ein und schon stand ich auf dem weiten Dorfanger, der so hübsch von der bescheidenen Schule und der weinumrankten Pfarrei umsäumt wird. Inmitten aber erhebt sich, von einem kleinen Friedhof umgeben, das schlichte Dorf kirchlein, dessen geöffnete Tür mich einlud, sein Inneres zu be schauen. Ich folgte dieser Einladung. Wie freundlich war es gehalten. Die Morgensonne guckte eben durch die langen Fenster und besah sich die alten barocken Bänke, dann schielte sie hinauf zur Orgel, deren Gesicht keine Augen mehr hatte, denn die Pro spektpfeifen hatte ihr der Weltkrieg genommen. Der säulcnrciche Kanzelaltar mit seinem Kruzifix ließ sich nicht bemalen, indem er ihr den Rücken zuwandte. Welche feierliche Stille herrschte in dem altehrwürdigen Raume. Plötzlich wurde diese unterbrochen, denn oben auf dem Kirchenboden sangen zwei Glocken den Sonn tag ein. Das Gotteshaus hat keinen Turm, die jetzige Gemeinde könnte sich einen solchen noch nicht leisten und die Altvordern waren damals froh, daß sie Anno 1689 ihr Kirchlein wieder so weit fertig hatten, nachdem ihnen durch einen Wetterstrahl am 5. des Wonnemonds 1686 das vorherige niedergebrannt war.