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124 Gberlausiher Helmatzeitung Nr. N nen, bloß daß er nicht soviel Krach her- und soviel Wesens von sich macht." „Wahrhastig, das ist er, wenn mans richtig überlegt." „Ja also, ich denke — hm, äh — zwei Mark Ladenpreis, das ist in Anbetracht seiner riesigen Bedeutung für die Vater- landsoerteidigung und für den siegreichen Ausgang dieses gewaltigen Bölkerringens sehr billig. Paß auf, wie das die Kriegersrauen für ihre Männer anschaffen werden. Natür lich muß man es ihnen gehörig empfehlen, am besten gleich eine Anzahl Reisende auf die Dörfer schicken, die die Frauen ausklären. Das klappt. Das gibt ein Bombengeschäft I Lieb' Vaterland, magst ruhig sein! Und jetzt, Lieschen, laß eine Flasche Rüdesheimer heraufholen!" O, würdig wollen wir deine große Erfindung feiern!" sagte Frau Elisedah und begab sich nach der Tür. Da Klopfte es. Das Dienstmädch-tt 'metdete einen Mann namens Tauscher, der Herrn Heinrich zu sprechen wünsche. Er sei wahrschein lich ein Arbeiter seinem Gehaben und seinem Aufzuge nach, fügt? sie mit verächtlicher Miene hinzu. „Was is das nun wieder fllrn Tölpel! Hier is dock, weiß Gott, keine Fabrik. Schicken Sie den Mann in die Fabrik, Else!" Has Mädchen ging, kam aber nach einer Minute wieder zurück. Nein, der Mann wolle keine Arbeit. „Nein? Na, was will er denn nachher?" „Er sei der Hermann Tauscher. Der gnädige Herr werde ihn schon kennen," sagte das Mädchen und lachte. „Wen soll man alles noch kennen! Das is wahrhaftig viel verlangt. Will er betteln oder pumpen?" „Er sagt nicht, was er will. Er fcheints selber nicht recht zu wissen." „Io, dann soll cr sich» erst mal überlegen." „Geben Sie ihm einen Fünfer, Else," sagte Frau Elise- bah, „damit er seiner Wege geht." „Na, geben Sie ihm einen Fünfer! Und wenn er etwas anderes will, in der Fabrik bin ich morgen zu sprechen. Dann lassen Sie mich in Ruhe, man hat anderes im Kopse." Das Mädchen erschien aber doch zum dritten Male. Der Mann habe kein Geld genommen. Er habe sogar beleidigt getan und sei murrend gegangen. „Unverschämtes Pack! Ein Fünfer war zu wenig?" Frau Elisebah war ganz nervös geworden durch die Stö rung, in ihrem Gesicht zuckte cs ganz schrecklich. „Bis in die Wohnung dringt einem der Pöbel. Kein bischen Lebensart. Dazu heute und in dieser Stunde. Aber wart', Liebster, jetzt hol' ich dir eine vom ältesten, daß du wieder heiter wirst." Sie ging. Herr Heinrich trat vor den Bücherschrank und prüfte in den Scheiben, ob Haarscheitel und Hoscnbruch noch tadellos waren. Dann schritt er stolz aufgereckt und mit leuchtenden Blicken auf und ab Das Mädchen trug Wein und Gläser auf. „Das Kind muß doch auch einen Namen haben, Lieschen. 'Meinst du nicht auch?" fragte der Erfinder seine glückstrah lende Gattin. „O, einen schönen Namen! Einen großen Namen! Aber man muß erkennen, daß du ihn hast erfunden, den Hand- wärmer." „Auf, daß wir ihn taufen!" Er ließ die Schrapnellwölkchen wieder steigen. „Heinrich — Heinrich —, wart, ich habe ein französisches Wörterbuch." Er suchte im Bücherschrank und sand ein kleines Heftchen, ein Reisewörterbuch, in dem die allernotwendigsten Wörter und Wendungen deutsch'französisch ausgezeichnet waren. "Hand" suchte er. „La meng — la meng. Hm. Wo haben wir denn „warm"? Schohd. Aber „Wärmer?" — Blödsinniges. Buch, was man braucht, hats nicht. Mengschohd — Schohd- meng — hm — klingt nicht." „Vergiß nicht, Liebster, daß dein Name drinstecken muß." „Versieht sich. Jawoll, das muß er unbedingt. Also „Hein rich". Er suchte im Heft. „Henn)". „Wie sagt man Henry, Hengry oder Hangry? Da läßt sich was bauen. So mit oi, um, akum. Henryol. Was meinst du, Lieschen? Das ginge schon. Bischen unscheinbar. — Halt, ich Habs: Henryakunr." „So muß er heißen, so muß er heißen, das ist schön. Und jeder weiß: Heinrich hat ihn erfunden. Ö wie bin ich stolz." „Henryakum! Das hat Klang!" Und um der heiligen Handlung die höchste Weihe zu ver leihen, zog Heinrich — rrrr — das Grammophon auf und setzte eins Platte ein. Lohettgrin natürlich. Sssssschschschrrrr — Treulich gefühlt, ziehet dahin, wo euch der Segen der Liebe bewahr'! Es paßte zwar nicht, aber es klang doch ss hehr und feierlich. Heinrich erhob das Glas. „Prosit, Lieschen! Henryakum lebe!" Die Gläser klangen. „Das gibt ein Geschäft. Lieb'Vaterland, magst ruhig sein!" Und aus dem Grammophon sangs: „Rauschen des Festes seid nun entronnen, Wonne des Herzens sei euch gewonnen. Duftender Raum, zur Liede geschmückt, nahm euch nun auf^ dem Glanze entrückt." Ja, wenns auch nicht paßte, es war doch so wunderbar feierlich, wies bei einer Taufe sein soll. » * 4- 5. Kapitel. Während Herr und Frau Heinrich auf die geniale Erfin dung. das in Aussicht st, hende Bombengeschäft und das ge rettete Vaterland die Gläser leerten, schlich Tauscher heim. Er mied die belebten Straßen. Als Bettler war er angesehen und behandelt worden, als Bettler, Vagabund, „Schlottch", wie die Mummelswaldrr sagten. Wars soweit gekommen? Er sah an sich herab, er tat unauffällig hie und da einen Blick in eine Schaufensterscheibe. Gewiß, viel Staat machte er nicht. Er hatte den blauen Turneranzug angezogen, welcher lange Jahre in der Lade gelegen. Ehemals hatte der ihm gesessen, wie ein Turneranzug sitzen muß, und Tauscher selbst war leicht und in guter Haltung dahingeschritten, daß man ihm den Vorturner sogleich angesehen hatte. Heute schlotterte ihm die Hose um dieBeine und die Jacke bilsete unter den Schul tern große Falten. Die Schultern selbst waren wie Aststumpfe an einem Baum herausgetreten, der Kopf war zwischen ihnen tief eingesunken und erschien größer. Als er diese Verände rungen bemerkte, blickte er in keinen Spiegel mehr; er hatte genug gesehen. Die Augen auf dem Pflaster, so eilte er durch die Gassen. Im Hause standen und begegneten ihm Mitbewohner. Er grüßte kurz, vermied, jemand anzusehen. Nur hinauf mußte er in die Mansardenwohnung, um seiner harrenden Familie die Luftschlösser zarter Hoffnungen in Trümmer zu schlagen» Dann saßen sie alle um dieses Ruinenfeld. Der Mann, die Ellenbogen auf dieTischplatte gestemmt und die Fäuste gegen die Schläfen gedrückt; die Frau, stumpf auf den halbfertigen Korb auf ihrem Schoße starrend; die zwei größeren Kinder, scheu in den Winkeln hockend. Nur der kleine Gustav floh den Ort des Grauens, kroch auf seinen Stuhl und guckte» über Menschen und Häuser hinweg, den Wolken zu, die im Aprilwind fröhlich dahinjagten. Ja, was war ihnen denn geschehen? (Fortsetzung folgt.)