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Die Heimatlosen Roman von Oskar Schwär (Fortsetzung) brach er die Brücken ab, mit einem Ruck wendete er sich, hastig zog er an der Zigarre und wie Schrap- nellnölkchen stieg, stand und zerstob der Rauch über ihm. Seine Linke griff nach dem in Silber gefaßten Block, dieRechte nach dem Bleistift in silberner Hülse. Er schrieb hastig Zahlen, dann rig er das Blatt herunter und rechnete auf dem nächsten weiter. Etwa drei Minuten. „Donnerwetter!" rief er plötzlich mit einer Bärcnstimme. „Famoses Geschäft, diese Hundwärmer? Lieb' Vaterland, magst ruhig sein!" Er sprang auf. „Lieschen!" Schon öffnete sich die weiße Flügeltür und Frau Elisebah Heinrich trat ein. Sie stand an Körperfülle ihrem Gatten nicht viel nach, trug ein mit Spitzen besetztes lila Samtkleid und auf dem Haupte einen babylonischen Turm, aus schwarzen Haaren kunstvoll errichtet. Auf jeder Seite hing eine Locke über die Wange. Ihr Gesicht zeigte ziemlich reinen jüdischen Typus: schwarze Äugen, gebogene, tief herunterreichende Nase, etwas wulstige Lippen, sogar ein kleines Bärtchen auf der Oberlippe. Handtüchel-HeinrichsNachbarn hatten als schlichteDörflcr deinen Sinn für diese Rasseschönheit und meinten nach dem Besuch des Paares in Mummelswalde: „Woas a dar schiene senn soll, mechtch wissen; wie a sich ok hoat die nahm Kinn, die muß a doch an Finstern geheirat hoan!" Frau Elisebah half wie ihr Gatte der unvollkommenen Natur fleißig nach, um ihrer äußeren Erscheinung Bedeutung und Würde zu verleihen. Sie übte sich ein nervöses Zucken der Wimpern und Mundwinkel ein, wie man es bei Leuten findet, die sich durch geistige Arbeit überanstrengt yaben oder von Kummer und schweren Schicksalsschiägen heimgesucht worden sind. Auch befleißigte sie sich eines würdigen Ganges, was ihr die Körperfülle ja etwas erleichterte. Immerhin über raschte sie sich noch ost beim hastigen Hin- und Herschießen, das sie sich im Trödlerloden angewöhnt hatte. Wenn da ein Musiker, welcher öffentlich auftreten wollte, einen Smoking erstand oder ein Bräutigam einen billigen aber guterhaltenen Zylinder suchte, mußte Elisebah vielmals hinter den Theken hin und her, die enge Wendeltreppe hinauf- und Herunter schietzen, denn der alte bärtige Benjamin Golden mit den ungefügen Stiefeln konnte das nicht. Er klagte derweil dem Kunden, daß er die besten Waren mit großem Verlust ver kauf!», weil er so gutwillig und weichherzig sei, das bringe ihn noch ins Unglück' Bis dann der Kunde, weil ihm diese Klage psalmen aus die Nerven fielen, ein altes, aber geschickt aus gebessertes und glatt gestrichenes und gebürstetes Stück für das Zwei- oder Dreifache des wirklichen Wertes kaufte. Ja also, dort im Trödlerladen war das Hasten angebracht, aber der Gattin eines bedeutenden Fabrikanten und Kriegsliefe ranten stand das nicht an. Jetzt hatte sich Frau Elisebah auch nicht vergessen. Fast feierlich kam sie hereingeschritten. „Du riefst mich, Liebster?" fragte sie und zuckte mit den Wimpern. „Jawoll, Lieschen, ich habe dir einen genialen Einfall mit zuteilen. Eine geniale Erfindung, sag ich dir!" Er klatschte ihr den fleischigen Nacken. „O schon wieder! Wirklich, Hans, du bist Immer hast du so große Ideen!" himmelte sie ihn an. „Ja ja, Äckermann, da staunste! Nu paß mal auf? Du hast doch gelesen, was unsere braven Soldaten unter der Laufe kälte gelitten haben, nich?" Das war nicht gewählt und fein. Aber Elisebah entschul digte den Galten; in der Freude über solch geniale Idern, wie er ihr jetzt wieder offenbaren werde, zerbricht man leicht die Schranken des guten Tons. Sie waren ja auch unter sich. „Ach, wie oft hat man gelesen davon! Schrecklich!" Und sie zwinkerte ganz erregt mit den Augen. „Wie die armen Teufel die Füße, Beine, Hände, Arme und was sonst erfroren haben dort in den Karpathen." „Freilich ja, ach, es muß schrecklich kalt sein in Rußland." „Da sind Tausende draufgegangen, Tausende ssg ich dir. Siehst du, vor dem Gliedererfrieren und vor diesem elenden Tode will ich die Soldaten, schützen. Jawoll, das will ich!" „Wer das kann machen, Hans " „Der sammelt feurige Kohlen aus sein Haupt, was? Da« mein ich. Und" — das sagte er mit einem schlauen Blick — „mit Leichtigkeit ein schön paar tausend Taler in die Tasche. Besser noch als die feurigen Kohlen! Also zunächst werde ich Handwärmer Herstellen." „Handwarmer!" Frau Elisebah schüttelte lange staunend ihr Haupt, sodaß ihr Haarturm ordentlich in Schwung geriet. „Siehst du, Soldaten können nicht einfach die Hände in die Hosentaschen stecken, wie ich das jetzt tu." Er machte es ihr vor. „Nee, das geht nu mal nich. Wohl aber können sie rauchen. Und nu paß aus!" Er sog schnell an seiner Zigarre und hielt sie nahe an Elisebahs Hand Hera». „Merkst du was? Warm, nicht wahr, und diese Wärme darf man nicht ungenutzt verfliegen lassen. Damit erwärmen sich von nun an die Sol daten die Hände!" „Nein, ist es möglich!" Die Augenwimpern und Mund winkel der erstaunten Frau kamen lanae nickt zur Ruhe. „Ist es möglich! Sage, Liebster, woher kommen dir diese wunder baren Gedanken?" „Ja, da staunst du! Aber das Wie! Das Wie ist noch eine Hauptsache. Also ich konstruiere ein Zigarrenpfeischen und eine Hülse aus Blech, welche man über die Zigarre hinweg darauf schraubt. Diese Hülse hat lauter kleine Löcher, durch die die Wärme ousströ nt. Das ist der ganze Handwärmer. So, nun tut der Soldat ein paar kräftige Züge, dann nimmt er das Ding in die Hand. Und wenn die eine erwärmt ist, tut er wieder ein paar Züge und nimmts in die andere. Ganz einfach, was? Jawoll, zuletzt ist die Kiste allemal verblüffend einfach!" „O, mein Liebster ist ein großer Erfinder! Aber, Hans, das strengt dich wohl zu stark an, wenn du so nachdenkst! Oder fliegt dir das nur so zu?" Ja, lieber Gott, hä ." Herr Heinrich blies eine große bläuliche Wolke in die Höhe, reckte sich und tat ein paar große Schritte. Dann stellte er sich breit vor seine Gattin hin. „Das blitzt mir so im Gehirn aus. Geist muß man haben. Genie heißt mans bei Goethe!" «Gewiß, ja, es kann nicht anders sein. Also meinen Glück wunsch, Liebster. Sie schmiegte sich an ihn und reichte ihm die dicken Lippen, damit er sie küsse. Und er tat es, daß es knallte. „Aber nun ist die Geschichte noch nicht zu Ende^ Das Geschäftliche folgt noch. Ich denke, das Ding läßt sich bei Massenherstellung für etwa fünf Pfennige schaffen. Wie ver kauf ich das?" „Du bedenkst doch, Liebster, daß jetzt alles sehr teuer ist?" „Erstens das. Bor allem aber die Wohltat, den Segen, den diese Erfindung stiften wird. Sie erhält den Leuten die Glieder, dem Bateriande also Soldaten. Dieser Handwärmer ist also eine Waffe. Eigentlich genau wie die großen Kano«