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weit am andern Ende der Neide Marken an die Hüte steckt, wäh rend ihr Mann pendelartig mit den Sachenbündeln in den Kata komben verschwindet. „Dar leeft as im Kaglschuhb." Es kommt Stimmung in die Menge, bald werden Echos wach. Ach, wie sie heiter sind, die Lausitzer hier in der Großstadt. „Ich stieh schon seit cnner Stunde doa," ruft endlich jener mit Stentorstimme. „Ich seit zwccn." „Du lcugst! Leug ick schon mit menner enn." Unter derlei Scherz vergeht das lange Warten und alle komme» dran. Im Saal! Fürs erste hat man gar keinen Eindruck, so bunt ist das Bild, welches sich einem da bietet. Man ist eben uffm Schiss». Aber das sind hier alle verflossenen und noch zu veranstaltende» Lausitzer Schiss» „zusammenkonzentriert". Man bleibt gebannt stehen und sucht Ordnung in den Komplex zu bringen. Mau hat freien Blick auf die „Schißwiese", denn dazu hat der Natursinn der Lausitzer heute das profane Parkett gemacht. Dort drehen sich die Paare im Tanze. „Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier znsammenkamen!" In allen erdenkliche» Trachte» sind sie erschienen: bnnt in die Menge verstreut ein Dutzend Domi nos, schwarze, rote und „aeschüpverte", alte und junge Dirndl mit buntbesticktem, prall gefülltem Mieder, wendische Amme», sich brüstend mit der Milch der frommen Denkungsart, Strandbumm ler im Hellen Flanellanzug und Butterblume. Bergfexe mit Knie hosen, dicken Waden und in Hemdärmeln. Männer in verlocken den Frauenkleidern. Weiber in keuschen Männerhosen, daß man sie wirklich geschlechtlich kaum zu unterscheiden vermag und im recht fatale Situationen kommen kann, wenn man „anzubaudcln" wagt. Denn es muß ein Grans sein, mit einer Schönen zu flirten, welche zuletzt ein reizloses Maskulinum ist, welches sich über die Don Juan-Manieren des blindeifernden Jüngers vom eigenen Geschlecht im Innern lustig macht. All das und was weiß ich alles noch an Kostümen walzt, schiebt, foxtrottet, hiawatat und twosteppt hier aus der Schützenfestwiese bnnt durcheinander, je nachdem die Musikanten vorne ihre Instrumente führen. Es ist, als ob ein großer Ball Konfetti hier ausgeschüttet worden wäre. Dabei sind es doch alles geschmackvolle Trachten, nichts ist auffällig, nichts herausfordernd, nichts beleidigt das Auge. Das ist ein schönes Zeugnis für „unsere Leute", daß sie sich in einer Zeit, in der ein Clou den andern zu überbieten trachtet und dabei vorVerschroben- heilen und Würdelosigkeiten nicht zurückschreckt, ihren gesunden Geschmack erhalten haben. Was sich da vor den, Auge dreht, ist wie ein großer Kreisel, immer kehrt er neue Farben und andere Bilder hervor, und man schaut und sucht und findet und wird nicht müde dabei. Ah, da ist ja auch Herr Seyffert, jener leutselige und gar kein Bissel eingebildete Herr Hofrat aus der Neustadt, der im Stillen soviel für unser sächsisches Volkstum und in seinem Studier zimmer soviel für sächsische Volkskunde tut. Wer kennte ihn nicht, den lieben Herrn tzosrat Seysfert! Er sitzt gerade unter einem Schilde, das „Nach der böhmiscken Seite" weist. Also handelt es sich hier um ein Schiss» an der Grenze, vermutlich in Noigiersch- durf. Ja, richtig: Hier geht es „Nach der Tanzdiele auf dem Buderberge bei Fillivsdorf", was in der Regel die Galerie zu sein pflegt. Maansn und Weibsn steigen die Stufen hinan. Man steigt nach. Es fällt einem der Anstieg schwer, denn gegen den Strom der Ansteigenden kämpft der Strom der Zurückkehrenden. Oben ist ebenfalls „alles voll". In engem Quadrat tanzt man hier auf blanker Diele, daß die Zwecken immer wieder in den Asten und Adern hängen bleiben. Aber ganz recht, es soll ja eine Tanz diele sein. Drei hemdärmliche Musiker, nach ihrer Aufmachung„Oberbanern",!iefernTakt und Melodie, das erstere vornehmlich der Dicke mit der großen Pauke, das letztere der immer Lächelnde mit der Ziehharmonika unddertem- peramentwutige Geiger. Wenn unten auf der Schießwiese der letzte Akkord verklungen ist, hebt oben auf der Tanzdiele der „Schwoof" los und umgekehrt. Aber die tanzlustige Schar bat es bald herausbekommen, daß man unten ganz gut nach der Musik von oben und oben noch bester nach der Musik von unten tanzen kann, und so läßt man schließlich überhaupt keine Pausen mehr zu. (In Verschwiegenheit: die Tour mit der „unrechtmäßigen" Musik ist immer umsonst.) Aber was ist denn das? Da kommt ja die Schützenkapelle. Vorweg der Büttel — ich muß heute immer wieder lachen, wenn ich an die Gestalt denke — dann der Herr Vorstand, als solcher muß heute einmal der Dresdner Schriftsteller Ziescke herhalten, dann die Musik und die Schützen und zuletzt die Dörfler. Das ist ein prächtiger Zug, der da auf die Sckießwiese zieht. In der Mitte macht er halt. Der Fierstand hält eine Rede, aber die Maansn johlen und die Weibsn quietschen, daß man ihm nichts verstehen kann. Nur wenn der Wind aus dem „Bihmschen" weht, trägt er ein paar Brocken herzu: „Willkommen Lausitzer! — fest zur Heimat halten — viel Spaß uff'm Schiff»," hinterher fällt ei» dreifaches Hoch der Menge ein, und der Schützenzug zieht ab wie er gekommen. Der übertritt von Sachsen nach Böhmen ist auch hier nicht leicht. Ein feister Schlagbaum hängt über der Straße. Daneben am Zollhaus stehen die Grenzer und hallen scharfe Wacht. Sie baden keinen leichten Dienst heute bei so starkem Schießverkehr. Streng sehe» sie nach Zollwaren, die ie nach der Güte mit lO oder 20 Pfennigen belastet werden. Mancher, der sein Mädel im Arm nach Böhmen vascben will, muß sie verzollen. Aber es geht in sofern alles rechtmäßig zu, als jeder die Zollstraße benutzen muß, Schleichhandelswege und Schmuggelstege gibts hier nicht. Hallo! Das ist ja Feuersignal! Wo brennts? Ach, dort am Butterberge ist der rote 5)ahn aufs Dach geflogen. Tut! Tut! Schon rückt dis Feuerwehr an. Fünf, sechs wackere Scblauch- brüder kommen mit der Handspritze. Mübsam bahnen sie sich ihren Weg durch das Getümmel, aber für Geld und gute Warte gelingt es ihnen schließlich dock, den Brand zu löschen oder auch nicht, je nach Lage der fraglichen Momente. Auch sie haben es schwer. Sei es, daß mancher Jugendliche, der mit Feuer und Zigaretten noch nicht sachgemäß nmzngehen versteht, hier und da Unheil stiftet, sei es, daß mancher biedere Häusler des Volks Getümmel benutzt, zu einer neuen Hütte zu kommen, kurzum: Heut Abend brennt es „allendchen", und die Spritzenleute schwitzen, daß ihnen sogar vom Kopfe das Wasser herunter läuft, kein Wunder, daß sie auch ihr Inneres andauernd löschen muffen. Drüben im „Bihmschen" geht es echt „bihmsch" zu. Da gibt es soviel zu sehen, daß man zuerst nicht weiß, wohin man schauen soll. Da ist die Bude des Landesvereins sächsischer Heimatschutz, wo man im Glückrad für 50 Pfennige allerliebste Spielsachen, Nivpes oder sonstige geschmackvolle Handarbeiten gewinnen kann. Wenn man Glück hat —! Gegenüber aibt es echte Pulsnitzer Pfeffer kuchen. Leckerle, leckerle! Das ist Ware. Sie geht ab wie warme Semmel. Vor einer halben Stunde lagen noch Berge da. daß der dicke Johann hinter der Ladentafel kaum darüber hinweg aucken konnte, jetzt kratzt er eben die letzten Krümel zusammen. Und erst dis große Tombola! Die nimmt alleine das halbe „Bihmsche" ein. Fast bis zur Decke hinauf sind hier Oberlausitzer Tövle aller Art (d. h. soweit es sich nm Kocktöpse handelt) gestapelt, cs ist eine Lust, sie zu schauen. Wer Glück hat, kann hier eine ganze Garnitur gewinnen. Wer Gluck hat —! Aber es wüsten doch immer noch viele auf der Welt sein, die Glück haben, denn es dauert kaum zwei Stunden, und der ganze große Tovfvorrat ist „verglückt". Vorhin ging ein Bursche an mir vorbei, der nicht weniger als drei Tövfe aewonnen hatte, dazu von einem Umfang als seien sie für die Volksküche berechnet. In einem hatte er obendrein drei speckige Zderinae liegen, wahrscheinlich auch „er- alückt". Den Glückspilzen hätte ich überhaupt raten können, drüben im böhmischen Lotto ihren Mann zu stellen, im Gedränge habe icks aber ganz vergessen, vielleicht sind sie von selbst auf den glücklichen Gedanken aekommen (zweifellos, denn wer Glück hat, kommt auch auf glückliche Gedanken). Dort konnte man im günstigsten Falle lOO Mark gewinnen, zwar nicht viel bei d^r heutigen Valuta, aber so nebenbei ists immerhin mitzunehmen. Wer aber kein Glück im Spiel hat, der falls sprichwortqemäß in der Liebe haben, und der pilgert zum Gasthaus des A. Lewan dowski) (genannt Butter-August) in Aloysburg, denn dort gibts hübsche Modln, die man ausschwenken kann. Überdies hat Butter-August auch Bänkl- und Bratstänger in seinem Lokal, die machen „scheene" Musik, und Witze verzapfen die, daß mau