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62 ö^etlausitzet^eimstreituog l^. 4 Die kleine Ansiedlung vertriebener Nkähren war in über raschender Schnelligkeit gewachsen, und es erscheint »ns kaum glaubhaft, daß in der öden Gegend an der Löbau—Zittauer Landstraße bereits nach drei Zahrzehnten Siedlertätigkeit die einfachen Blockhütten verschwanden und sich Gebäude erhoben, die wir heute noch als Kulturwerke in Ehren halten. 1722 hatte der Graf von Zinzendorf die ersten Flüchtlinge ausgenommen. 2Vo der Zimmermann und spätere Missionar Ehristian David den ersten Baum zum Hausbau geschlagen hatte, wurde später ein Gedenkstein in Barockform errichtet, der heut einem würfelförmigen Platz gemacht hat und — im Drtsmuseum aufgestellt — dem Beschauer das Diesen des Zcitstils deutlich macht. ver Vogtrkot, rl«r litr «Isr <teutl«t»en UnitStrckirektivn Dem ersten Blockhause folgten weitere, ärmlich und klein, aber schon noch zwei Zähren fand der Gedanke Zinzendorfs, in dem wachsenden Herrnhut in Anlehnung an die Francke- schen Waisenhäuser und Erziehungsanstalten in Halle ein Waisenhaus für junge Adlige zu bauen, Verwirklichung. Dies wurde das erste Hans, das in seiner Ausführung über den anderen stand. Es trug ein Nkansarddach und barg einen Saal, Nach kurzer Zeit schon wurde das Haus wegen zu geringer Benutzung der wachsenden Gemeine als Versamm lungshaus zur Verfügung gestellt und der Saal als Betsaal verwendet. Daß das ganze Gebäude „Der Saal" genau tt wurde, zeugt von der Bedeutung, den dieser Raum als Ver sa mmlungöstätte zu gemeinsamen Erbauungsstunden gewann. Er ist noch jetzt als der ehrwürdige „Kleine Saal" in Ge brauch, der in seiner fast spartanischen Einfachheit zu sehr der Ausdruck pietistischer ErziehungSgrundsätzc ist, als daß mau ihn unter einen besonderen Baustil einbeziehen könnte. Fünf Zähre nach Herrnhuts Gründung standen bereits 34 kleine Häuser. 1750 war die Zahl auf 64 gewachsen. Über die Bau art dieser ersten Wohnungen ist wenig zu erfahren. Es werd-n Fachwerkbanten gewesen sein, einfach und schmucklos. Die Häuser, die einige Zahrzehnte später an ihre Stelle traten, wurden von Durchreisenden gerühmt, weil man erstaunt war, eine gewiße Vornehmheit anzutreffen, wo man Armut zu finden erwartete. Zhre Bauzeit liegt nach 1750. Ilkan könnce die Geschmackswandlung der einfachen Zimmerleute und Lein weber, die sich in dieser kurzen Zeit an ihnen vollzogen hat, nicht verstehen, wenn man nicht wüßte, daß gleich von Ser Gründung des Drtes an Adlige ihren ^Wohnsitz in ihm ge nommen hatten. Der brüderliche Umgang mit ihnen ist den einfachen Leuten sehr zum Vorteil geworden. Die Dreiheit Zinzendorf, Adel und Volk, die sich in ihrer Einheit als Brüder- und Schwesterngemeine ausdrückt, hat Einfachheit mit Vornehmheit verschmolzen. Diese innere Geisteshaltung mußte sich in der Baukunst auswirken. Der bürgerliche Barock Herrnhuts beschränkt sich auf den Hausbau und zu ihm in engster Beziehung stehende Bauten, wie Gartenhaus und Brunnen. Das ist der kjarste Beweis für die Nüchternheit des Herrnhuter Geistes vor reichlich 150 Zähren. Die Anlage von G a rten Häusern verrät Vaohl- stand und Kultur. Nahe beim Wohnhaus in einer Ecke des gut gepflegten Gartens gelegen, bestimmen die Häuschen seinen Eharakter. Lusthänschen ähnlich schauen sie über die Garten mauer in die Wiesen hinein. Ans Holz oder Stein erbaut, erhalten sie ihre eigene Prägung durch die Dachform. Nkan ist erstaunt, zu sehen, wie verschieden und dabei schlicht ein Dach sein kann. Flache Haube oder Helmdach mit unten leicht aufgeschwungenem Rande und dann die nach innen ge drückten Holzdächer chinesischer Pagoden, die Spitze meist durch Urnenvasen gekrönt. Und alles leicht und anmutig! Bevor wir uns das Wohnhaus betrachten, sei der Blick kurz auf ein zweckbestimmtes Bauglied desselben, auf die Tür - laterne, gelenkt. Nur zwei haben sich in die neue Zeit hin- übergerettct. Die eine, mit einem derbbarocken Dach, ist im Dberlicht der Nkissionsbuchhandlung noch in Verwendung, die andere, mir einer zarter gehaltenen Blende als Aussatz, ge nießt die Ruhe im Nkuscum. Bürgerhäuser aus der zweiten Hälfte des 18. Zahr- hunderts findet man auch heutzutage in Herrnhut nicht selten. Als Nkusterbeispiel eines größeren Bürgerhauses hat das Kölbingsche Haus (Berthelsdorfer Straße 7) zu gelten, mit zwei Seitenflügelbaukcn und Freitreppe. Es liegt im Viesen des Barock, Einzelformen besonders heroorzuheben. So haben wir auch hier kunstvoll gebildete Dachfenster und Türen, von denen die letzteren am mannigfaltigsten und mit schönen Schlößern und Beschlägen verziert sind. Der Erbauer hat den Eingang so persönlich gestaltet, daß er zum Aushängeschild für das ganze Gebäude wird. Eine Tür kann einladend oder ab weisend sein. Solche Verschiedenheiten zeigen auch Herrnhuter Türen. So wie die Türen und Portale dem Äußeren der Häuser zur Zierde gereichen, sind die hölzernen Treppen ganz besonders Schmuckstücke Alt-Herrnhuter Treppenhäuser. Die durchbrochenen Geländer strahlen in ihrem Weiß. Zhren oberen Abschluß bilden reichgekehlte Griffstangen, ünd das Ganze ein leichter, anmutiger Barock. Nicht aber all diese kleinen, verborgenen Schätze sind cS, die dem Fremden einen Eindruck von Herrnhuts Baukunst er mitteln, sondern die für den kleinen Ort zahlreichen repräsen- rablen Gebäude: Die beiden Chorhäuser, das Schwe sternhaus und das BrüderhauS, wo die ledig-n Nkitglieder der Gemeine, nach „Chören" getrennt, wohnen können, das Herrs chaftö Haus und der Vogtshof, der jetzige Sitz der Deutschen Unitätsdirektion. Diese Gebäude sind mehr oder minder Zweckbauten, bei denen der barocke Charakter wieder ans Einzelheiten ersichtlich ist: Portale, Treppen, Dachfenster. Es sind weitläufige, symmetrische Bau ten mit Seitenflügeln senkrecht zum (Mittelbau. Das Herr schaftshaus ist schon ganz vom Geiste des Klassizismus be herrscht. Die breitfrontigen Bauten find in ihrer horizontal gelagerten Baumaße von einer ruhigen, beschaulichen Wir kung und beherrschen die sie umgebenden freien Plätze. Die gebrochene Form der leicht geschwungenen Nkansarddächer mit den hell heranstretenden Dachfenstern trägt zu einer Belebung