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Var ^rckiv c^er Krücier-Unitst Bon Archivdirektor Wilhelm Bektermann ^Während sich ersi in unsrer Zeit die Kirchen ein Archiv anzulegen beginnen, hat die Brüdergemeinc von 4765 an, ia eigentlich von Anfang ihres Bestehens an, ein Archiv gehabt. Das lag daran, daß sie eine vom Staat freie Kirche war und daß Zinzendorf ein Adliger gewesen ist. Als Gutsherren hatten die Adligen die niedere Gerichtsbarkeit und waren deshalb ge nötigt, Gerichts- und Verwaltungssachen aufzuheben. Dazu kamen noch Familienurkunden, Akten über Belehnungen mit Linr«n«1orl<jenkinal im tierrlckaktigoeten Rittergütern und Käufe von solchen. Und ist einmal ein Archiv vorhanden, dann werden auch wichtige Briefe und Privat sachen aufgehoben. So war Zinzendorf von vornherein auf das Sammeln von Urkunden eingestellt und ließ auch alles, was sich auf die entstehende Brüdergemeine bezog, in einem Archiv sammeln, das aber, da der Sitz Zinzendorfs ständig wechselte, an verschiedenen Orten zerstreut vorhanden war. - Urach Zinzendorfs Tode wurde die Archivangelegcnheit ge ordnet. 4765 wurde alles nach Zeist in Holland gebracht und im dortigen Schloß aufgehoben. Ein Archivkollegium wurde ernannt, das eine vorläufige Ordnung herstellte. Aus diesem Kollegium ging der erste Archivar der llnität, Erich von Ran zau, hervor. Als man merkte, daß das Zeister Schloß zu feucht sei, wurde das Archiv 4803 nach Barby an der Elbe verlegt. Von dort kam es nach vorübergehendem Aufenthalt in Niesky 4820 nach Herrnhut. Aber erst 4 880 erhielt es ein eigenes Haus, das eine feuersichere Aufbewahrung der Akten ermöglicht. Im Erdgeschoß des Gebäudes befindet sich ein Saal von 98,5 Geviertmetern Bodenfläche, der zur Auf bewahrung der Handschriften dient, und ein andrer etwas klei nerer Saal für die mit dem Archiv verbundene Bücherei. Endlich ist mit dem Archiv noch eine Gemäldesammlung ver bunden, die im Oberstock untergebracht ist. Wenn man sich die Größe der Räume vergegenwärtigt und dabei bedenkt, daß es überall an Platz zu mangeln beginnt, so kann man sich eine Vorstellung von der Menge der Akten machen, die das Archiv besitzt. Die Zeit, in der es entstanden ist, war eine schreibselige Zeit, man schrieb sich lange und in haltreiche Briefe, viele Manschen führten ein Tagebuch, und man warf erledigte Papiere nicht so schnell weg, wie man es heute tut. Und besonders die Pietisten hatten ein starkes Be dürfnis, sich auszusprechen, und alles, was sie erfahren hatten, ihren Freunden mitzuteilen. Nun war in Herrnhut und den anderen Brüdergemeinen ein beständiges Kommen und Gehen, man wurde in die umliegenden Dörfer, aber auch in entfern tere Gegenden des Vaterlandes und sogar in fremde Länder gesandt: da mußten viele Briefe geschrieben werden. Dazu regte Zinzendorf die Ausgesandten an, Tagebücher zu führen und als Berichte in die Heimat zu senden. INan gewann auch Freunde in aller T8elt, von denen Briefe ankamen. Und end lich schrieben viele der Mitglieder der Gemeine einen Lebens lauf, in dem sic vor allem ihre innere Entwickelung schilderten. Darum ist im Herrnhuter Archiv eine Fülle von wertvollen Schriftstücken ans dem 48. Jahrhundert vorhanden. Mancher Pfarrer, der etwas über das ^Wirken herrnhutischer Diaspora arbeiter in seiner Gemeinde erfahren wollte, war glücklich, ganz unerwartet Nachrichten über das religiöse Leben in seiner Ge meinde und in seinem Kirchenkreis aus längst vergangenen Zeiten zu finden. Schweden, Finnen, Norweger, Dänen, Schweizer, Esten und Letten finden wichtige Nachrichten über das kirchliche Leben ihrer Länder im Herrnhuter Archiv. Ein Barbyer Heimatforscher war überrascht, Tabellen über den Wasserstand der Elbe bei verschiedenen Hochwassern zu finden, die in Barby unbekannt sind. Die Akten von der Mission ent halten wichtige ethnographische und religionskundliche Angaben. Und die Briefe, Tagebücher und Lebensläufe lasten Blicke in das Geistesleben eines früheren Jahrhunderts tun, und zwar uicht nur in das solcher Menschen, die man ohnehin aus Büchern kennt, sondern in das Geistesleben ganz einfacher Manschen, das sonst immer der Vergessenheit anheimfällt. Es gibt viele Archive, die größer sind als das Herrnhuter, aber es wird wenige geben, die auf so engem Raum so viele interessante Onellen enthalten. Die meisten Urkunden sind aus dem 48. Jahrhundert, doch gibt eg auch einzelne frühere; die älteste ist ein Lehnsbrief Kaiser Wenzels für Großhennersdorf vom 45. Oktober 4408. Die Bücherei birgt als besonderen Schatz 43 Bände einer Urkundensammlung der Böhmischen Brüder ans dem 46. Jahr hundert; daneben besitzt sie schön ansgestattete Gesangbücher aus derselben Zeit in deutscher und in tschechischer Sprache. Aus der Zeit der erneuerten Brüderkirche sind besonders Vie zahlreichen Übersetzungen und sprachlichen Arbeiten von öen Missionsgebieten anzuführen; es dürften wohl 30 Sprachen im Archiv vertreten sein, darunter so seltene wie nikobarisch und kalmükisch. Die Gemälde sind nicht wegen des Kunstwerkes gesammelt worden, sondern wegen ihrer Bedeutung für die Brüder geschichte; doch befinden sich auch Kunstwerke darunter, so einige Bilder von dem hannoverschen Hofmaler Johann Georg Zie- senis, der mit der Brüdergemeine nahe verbunden war, und ein Bild des in der ganzen Lausitz bekannt gewesenen Herrn huter Arztes Christoph Kaufmann, das der Dresdener Hof maler Anton Graff gemalt hat.