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O^erlsusitzer ^eimatreitung ä in !-Ii^ctiseIc!e Nach tatsächlichen Begebenheiten erzählt von Ferdinand Hess e*). Im Jahre 4706 waltete in dem Oberlausitzer Landstädtchen Hirschselde Paul Schicht seines Amtes als Bürgermeister. Er war ein kleiner, rundlicher Herr, trug eine respektable Glatze und überdies ein ziemlich griesgrämiges Gesicht. Zu einem freundlichen Worte tat er den '.Mund kaum aus; die Leute nann ten ihn daher den „Muffel". Bor allem aber war er wegen seiner Selbstherrlichkeit und Anmaßung, die im umgekehrten Verhältnis zu seinen Kenntnissen und Fähigkeiten standen, im Orte wenig beliebt und geachtet. Das scherte ihn jedoch nicht. Er ging, von der Wichtigkeit seiner eigenen Person fest über zeugt, seinen Weg weiter, nahm aus niemand Rücksicht und ver schloß geh jedem guten Ratschlage. So, wie er es tat, war es eben richtig, und — damit fertig. Aber schließlich sollte ihn dock) sein Schicksal ereilen. Das Bergstädtchen Hirschselde stand unter der Herrschaft ver Stadt Zittau. Wegen Unstimmigkeiten in der Auslegung von Einquarrierungs- und Assisesachen, wobei die Stadlgerech tigkeit von Hirschselde eine Rolle spielte, forderte der hohe Zit lauer Rat die Hirjchfelder Gerichtssiegel ein, nm daran einige notwendige Aenderungen vorzunehmen. Anstatt nun erst die Schoppen der Gemeinde und die maß gebenden Gerichte zu befragen, lieferte der eigenmächtige Bürgermeister die Siegel einfach der Stadt Zit tau a u s. Das verdroß denn doch die Einwohnerschaft gar sehr, zumal das Gerede aufkam, der Zittauer Rat beabsichtige, aus dem Landstädtchen Hirschselde ein bloßes Dors zu machen. Sol ches ging den braven Hirschseldern stark an die Ehre. Sie ver schworen sich gegen Paul Schicht und rückten dem pflichtver gessenen und eigensinnigen Ortsgewaltigen zu Leibe. Am Vor mittag des 45. Februar 4706 versammelten sich gegen 300 Ein wohner aus dem ^Marktplatz und schickten vier Abgeordnete zu Schicht mit der Aufforderung, sofort bei ihnen zu erscheinen, um stch wegen seiner Leichtfertigkeit zu verantworten. Gerade solche .Menjeden, die sich Uebergrissc und Rücksichts losigkeiten gegen andere erlauben, solange sie die Gewalt besitzen und sich sicher wißen, verlieren am ehesten allen Mut und alle Haltung, wenn sie selbst in Not und Bedrängnis kommen. So auch der sonst so überhebliche Bürgermeister Schicht. Er ähnle nichts Gutes. Am liebsten hätte er sich gedrückt. Da aber eine Flucht nicht mehr möglich war, nahm er in der Besorgnis aller hand Unheils zur Deckung seiner Person gleich vier Gerichts leute mit sich und begab sich mit diesen zwar nicht aus den Nkarkt- platz, sondern in Christoph ^Michaels Gasthof, wo gewöhnlich das Gericht tagte mW wo er sich auch sicherer glaubte als im Freien. Mut Gejohle folgte die iMenge. Schimpfwörter hagelten. Immer größer wurde der Schwarm und immer lauter das Geschrei. Aus der Zittauer, aus der Schlegel-, der Kirch- und der Neißgasse stießen die Leute auf den lMarkt. Vom Steinsteich und selbst vom Viebig kamen sie herbeigeeilt. Sogar die Alten und Gebrechlichen humpelten heran. Alle wollten doch sehen und mit erleben, wie dem verhaßten „Muffel" zugesetzt wurde. Die Führer der Aufständischen waren der Leinweber Abra ham Posselt, ein geweckter und sehr einflußreicher Hirsch- *) Diese kleine Erzählung wurde verfaßt auf Grund einer Darstellung von Dr. Hermann Friedrich Knothe, die sich auf den Wortlaut der über die Ereignisse und Rechtsstreitigkeiten geführten Akten stützt. felver Bürger, und der zwar etwas polternde, aber sonst als syrliche Haut geltende Schmied des Ortes, Hans G n a u s ch. Nklt Ungestüm wurde der Bürgermeister von ihnen angeklagr, die Gemeuwe verraten zu haben. Sie nannten ihn einen nichts würdigen mW meineidigen -Menschen und einen Lumpenhund mW wollten ihn mw die vier Gerichtsleuke in Arrest setzen. Dem Gerichtsmann Friedrich Schlegel, Ven 0er vor Angst Ichier ver gehende Schicht nach Zittau um Hilfe senden wollte, wurde der Uckaeg versperrt. Zn seiner Not und Verzweiflung beschwor Schicht darauf den Pastor Gottfried Tumerell, durch Vermah nungen die aufrührerische Gemeinde zu beschwichtigen. Doch du -Menge wandte sich auch gegen den S-gnicym, zumal sie glaubw, daß auch das wichtige Buch der Geburtsbriefe, die auszustellen ein Privilegium Hrrschseldes war, nach Zittau geschasst wor den sei. AVer P a st o r Oumercll war seiner Sache sich r. Er verlor nicht so schnell die Besinnung wie der Bürgermeister. Er ließ durch den Kantor Moritz Zohne das besagte Buch aus Sem Lurm holen, zeigte es den Aussälfigen und las ihnen sogar die Bestimmungen über die Vorrechte oZrs chseldes vor. D w beruhigte etwas. „Wenn es so ist", meinte Abraham Pvsseir „dann soll es gelten. Aber die Siegel werden auch herbeigeschafft, andernfalls ..." Er sprach nicht zu Ende, machte aber eine nicht mißzuverstehende Bewegung mir der d)uno um den d^>tlv. Erst am späten Abend zerstreute sich die Menge, wobei sie aber immer noch arge Drohungen ausstleß. Kreideweiß sah -er kleine, dicke, sonst so gesundfarbige Paul Schicht aus. Das oar em Schlag gegen seine Gewichtigkeit. An Schlaf war in dieser Nacht natürlich nicht zu denken. Er saß am -Lisch, brütete vor sich hin und schlug ab und zu in ohnmächtiger Wut mit der ge ballten Faust auf die Platte. Zerknirscht war er und doch auch geladen, bis oben hinan. Er sann auf R a ch e. Und schon mi nächsten Tag meldete er denn auch dem Zittauer Staötrichr r Nesen alles, was sich zugetragen hatte, und denunzierte zunächst die vier iManner, die ihn zum ^Marktplatz hatten bringen sollen und die angeblich Hand au ihn gelegt hätten. Wohlweislich sah er davon ab, den Postell und den v-mcupch auch nur anzm.n- gcn, denn bei diesen fürchtete er die Wiedervergeltung. Der Rat zu Zictau gab der Hirschfelder Bewohnerschaft bekannt, gegen Schicht zu klagen, wenn sie glaubte, dazu Ver anlassung zu haben. Die Gemeinde sah jedoch von einer Klrze ab und verlangte nur die Siegel zurück, die der Zitta irr Rat ihr denn auch am 24. Februar 4 706 wieder z u st e l l t e. Aber die vier von Schicht Denunzierten ließ der . car nach Zittau kommen und steckte sie kurzerhand ins Gefäng nis. Das löste nun eine neue Empörung der Hirschfelder aus. Die Gemeinde verklagte den Rat beim Oberamt in Bautz n und forderte die sofortige Herausgabe der Gefangenen. Abraham Posselt und ein anderer Einwohner, namens Christoph Engler, gingen von Haus zu Haus, warben für ihre Sache und sam melten bei den Hauswirten auch Geld zur Betreibung des Prozesses. Der sonst so überhebliche Bürgermeister Schichr benahm sich während dieser ganzen Zeit mucksmäuschenstill n id wagte sich nicht aus seinem Loche heraus. Anders verhielt sich dagegen der Pastor Tumerell. Er fürch tete nur Gott und nicht die Ncenschen. Er glaubte pflichkget.eu zu handeln, indem er den Streit zu schlichten suchte. Er ver urteilte das Vorgehen des starrsinnigen Posselt und seines Hel fers Engler und brachte die beiden auch wegen ihrer erneuten Wühlereien, wodurch dem Landstädtchen Hirschfelde aller Frie den genommen wurde, beim Zittauer Rat zur Anzeige. Sol ches vermochte nun allerdings der weitaus größte Teil der Ein wohnerschaft nicht zu billigen. Und so verscherzte sich der Seel sorger die Liebe und Zuneigung der meisten seiner ihm anver- rrauten Kirchenschäflein. Als Tumerell dieses gewahr wurde,